Was unsere Kolumnistin Marie von den Benken diese Woche beschäftigt hat? Fußball, Fußball und nochmal Fußball. Aus der Pleite des BVB lassen sich nämlich so einige Schlüsse ziehen.
Der berühmte Volksmund beschert uns allerlei Weisheiten, deren Ursprung sich im sportlichen Wettkampf finden lässt. Die meisten haben sich lange bevor die Generation heutiger Bundesliga-Profis überhaupt geboren war zu Metaphern für alle Lebensbereiche entwickelt. Im Erfolg zeigt sich der wahre Charakter etwa. Oder: Champions erkennt man nicht daran, wie sie mit Siegen umgehen, sondern mit Niederlagen.
In einer Familie, in der sich viel um Fußball dreht, lernt man sehr schnell, dass man auch aus Rückschlägen lernen kann. Ich bin kein Fan von "nur aus Fehlern wird man klug", denn ich mache ungern Fehler und lerne auch aus Erfolgen – zumal es den fehlerfreien Sieg nicht gibt. Aber natürlich kann man in der Analyse dessen, was man anders hätte machen können, wertvolle Überlegungen ableiten, die man in der Zukunft mehr berücksichtigen sollte.
Millionentruppe aus der Schickeria-Stadt München
Steht man in der Öffentlichkeit, wie die Protagonisten eines Fußballvereins zum Beispiel, kommt noch eine weitere Ebene hinzu. Die Dynamik, die aus der Erwartungshaltung von außen entsteht. Sie kann berauschen, sie kann aber auch lähmen. Sie kann Flügel verleihen, oder übergroße Rucksäcke. Die Reaktion auf Siege, vor allem aber auch auf Niederlagen, wird von draußen, vom Publikum, von den Medien, von den Fans geprägt und entscheidend beeinflusst. Als ich gerade elf Jahre alt war, habe ich die Lektion gelernt, dass Sympathie für Heldenreisen über die Grenzen von Fanlagern hinaus gehen kann.
Damals, 2001, wurde der FC Schalke 04, zum sogenannten Meister der Herzen. Aufgrund einer Fehlinformation über den Schlusspfiff im Parallelspiel (Grüße an Rollo Fuhrmann an dieser Stelle) wähnte man sich bereits als Meister. Die Knappen, überragt vom schillernden Rudi Assauer auf der Tribüne und einem dänischen Stürmer namens Ebbe Sand, hatten das Unglaubliche geschafft: dem übermächtigen FC Bayern die Schale entrissen. Die favorisierte Millionentruppe aus der Schickeria-Stadt München gegen die stets knapp an der Insolvenz vorbeischrammende Malocher-Truppe aus dem Pott.
Also, fast. Denn die Mutter aller Herzschlagfinale hatte noch eine letzte Episode im Köcher. Quasi in der Nachspielzeit der Nachspielzeit murmelte der Rekordmeister irgendwie noch ein fragwürdiges Tor über die Linie und
Fußball ist unser Leben
Damals jedenfalls lernte ich, dass man im Zweifel eher dem verhassten Derby-Rivalen die Daumen drückt als dem offenbar noch mehr verhassten FC Hollywood. Ein Schickimicki-Club, der nicht wie ein Traditionsverein wirkt, sondern wie ein Kundendienst für anspruchsvolle Canapés-Folklore in VIP-Lounges, wo entspannt Champagner geschlürft wird, während man den unten auf dem Rasen stattfindenden Wettkampf nebenbei an Bildschirmen verfolgt. Und wo der zahlende Kunde mit entsprechenden Ansprüchen empört zehn Minuten vor Schluss das Stadion verlässt, wenn das Produkt ihm nicht zusagt. Wie im Heimspiel gegen Leipzig, als der Dosenclub gegen den Weißwurstclub das Spiel drehte.
In Dortmund ticken die Uhren anders. Knapp 400.000 in Gelb gehüllte Menschen in der Stadt und viele Millionen Fans an den Bildschirmen haben am Samstag der unverhofften Chance entgegengefiebert, die elfte Meisterschaft des FC Bayern in Serie zu verhindern. Die meisten davon waren angesichts von zwei Punkten Puffer und dem Heimspiel gegen Mainz 05 recht zuversichtlich – ich auch. Allerdings nur bis zur 15. Minute. Da erzielte der Gast aus dem Nichts das 0:1. Wer sich auskennt mit der Eigendynamik solcher immens wichtigen Spiele in Symbiose mit der Drucksituation für den BVB und der traditionell recht ausgeprägten Neigung des Teams, in entscheidenden Momenten nicht mal ansatzweise das eigene Potenzial auszuschöpfen, der ahnte da bereits: Das wird ein denkwürdiges Spiel – aber keines, das mit einem Meistertitel gekrönt wird.
Untermauert wurde dieser Eindruck von einem vier Minuten später relativ sang und klanglos verschossenen Elfmeter von Sebastian Haller, der weder die Entschlossenheit, im Notfall den Sieg erzwingen zu wollen, zeigte, noch eine nervliche und taktische Ausgereiftheit des Teams.
Spätestens mit diesem vollkommen unnötigen Gegentor war klar, dass nur noch sehr viel Glück, haarsträubende Fehler der Mainzer oder der 1. FC Köln (parallel gegen den FC Bayern München spielend) etwas dafür tun können, dass
Die ganze Welt hasst den FC Bayern?
Man kann diesem FC Bayern viel vorwerfen. Nicht aber, dass er keinen Marco Reus hat. Marco ist in Dortmund geboren, seine gesamte Familie und Freunde leben hier. Er hatte bei seiner Geburt einen Standortvorteil. Parallel dazu von jemandem wie Joshua Kimmich zu erwarten, den Rest seines Lebens beim FV 08 Rottweil in der Bezirksliga zu verweilen, ist wohl selbst dem härtesten Fußballromantiker eine Spur zu stringent.
Was man dem FC Bayern ebenfalls nicht vorwerfen kann, ist es, zum elften Mal in Serie Meister geworden zu sein. Im Gegenteil. Diese Saison haben sie sich mit oftmals überraschend durchwachsenen Leistungen nebst einem bizarren Trainerwechsel alle Mühe gegeben, die Tür für Borussia Dortmund aufzureißen. Dort hatte man, vor allem in Person des als Retter gefeierten Aki Watzke, stets betont, man sei mit Bayern München nicht auf Augenhöhe, aber man müsse und wolle bereit sein, wenn Bayern mal strauchelt. Die Tür, das wissen wir heute, durchschritt der BVB nicht. Glückwunsch an den verdienten Meister an dieser Stelle.
Auch wenn man es als BVB-Fan ungern hört: Das mit der Augenhöhe ist korrekt. Der FC Bayern spielt wirtschaftlich in einer anderen Liga. In München holt man Starspieler wie Leroy Sané von Manchester City, Lucas Hernández von Atletico, Sadio Mané vom Champions League-Sieger Liverpool oder de Ligt von Serienmeister Juventus Turin. Allein diese vier Spieler kosteten um die 230 Millionen Euro – nur in Ablösesummen. Handgelder, Provisionen und achtstellige Gehälter noch gar nicht einberechnet, Dortmund holt derweil einen Bellingham aus der zweiten englischen Liga. Die vier teuersten Spieler der vergangenen Jahre heißen Haller, Adeyemi, Malen und Can – und haben insgesamt etwa 115 Millionen gekostet. Der gesamte Kader der Dortmunder wird auf 545 Millionen taxiert, der von Bayern auf 980 Millionen. Der FC Bayern wies für 2021/22 einen Umsatz von 665 Millionen Euro aus, der BVB 352 Millionen.
Dafür muss der FC Bayern sich nicht entschuldigen. Auch in München bekommen sie nichts geschenkt – von ein paar zweifelhaften Schiedsrichter-Entscheidungen hier und da mal abgesehen. Ich führe das nur aus, um zu verdeutlichen: Unter normalen Umständen müsste der FC Bayern Jahr für Jahr mit 20, 25 Punkten Vorsprung Meister werden. Wenn also Geld mal versehentlich etwas weniger Tore schießt als statistisch zu erwarten, dann muss der selbsternannte zweite Leuchtturm der Liga bereit sein.
War der BVB aber nicht. Nicht am letzten Spieltag, was besonders schmerzhaft ist. Aber auch schon nicht in Partien wie in Stuttgart oder gegen Bremen. Wenn man es nicht schafft, ein Heimspiel gegen einen Verein zu gewinnen, für den es um nichts mehr geht – getragen von der unverhofften Meister-Euphorie und gigantischen Fans -, dann ist man zu Recht nicht Meister. Auch wenn es gute Gründe gibt, sich nach der surrealen Entlassungsposse um Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic, die praktisch während der Meisterfeier öffentlich gemacht wurde, einem Verein wie Borussia Dortmund emotional näher zu wähnen als einem FC Bayern. Und auch ich – natürlich – hätte mir einen Deutschen Meister aus Dortmund gewünscht. Aber so ist es nicht gekommen und damit muss man als BVB-Fan nun umgehen. Immerhin bleibt die leise Hoffnung, dass es nicht wieder elf Jahre dauert, bis der FC Bayern mal strauchelt. Und dann, aber wirklich, dann müssen wir bereit sein.
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