Die wichtigste Vokabel für Chronistinnen wie mich, die wöchentlich eine Kolumne zu füllen haben, lautet: ereignisreich. Wenn die Woche nur so dahinplätschert wie ein Spiel der Nationalmannschaft, ist es mitunter anstrengend die wichtigsten Leuchttürme der gesellschaftlichen und politischen Topereignisse herauszuarbeiten.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das ist in etwa so, als solle man aus den Reden von Alice Weidel die zehn vernünftigsten politischen Forderungen extrahieren. Da würde dann halt auch ein hochbezahltes Investigativteam am Ende mit einem leeren Zettel dastehen. Wenn man also ganz viel Pech hat, muss man tagelang Twitter-Trends, Podcasts und Eilmeldungen durchforsten, um überhaupt etwas thematisch Brauchbares zu finden. Das ist anstrengend.

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Anders ist das natürlich, wenn man etwa bei der "Welt" arbeitet und seine Themen zumeist nicht selbst erarbeiten muss. Da heißt es dann morgens in der Konferenz: "Wir brauchen mal wieder was Provokantes, damit wir 1.000 sexistische und rassistische Kommentare von intellektuellen Geisterfahrern, also vielleicht mal behaupten, "Fridays For Future" wäre eine von Putin bezahlte und aus Russland gesteuerte Bewegung, deren Zweck weniger dem Klimaschutz, sondern mehr der Destabilisierung des Westens dienlich sein sollte. Wer macht´s?" Das passt dann auch gut in die bei "Selbstdenkern" mit Hauptinformationsquelle Telegram sehr beliebte Theorie, China hätte die Klimakrise erfunden. Das jedenfalls behauptet der inzwischen offenbar als Leitbild der "Welt" fungierende Donald Trump gerne.

Bei so viel Absurditäten journalistischer Selbstaufgabe trifft einen verschwörungstheoretisch zuletzt so überversorgten Schwurbelthemen-Connaisseur wie mich die Meldung natürlich recht hart, dass die Redaktionen von "Welt" und "Bild" demnächst zusammengelegt werden könnten. Erst der Einstellungs- und Beförderungsstopp, jetzt das Damoklesschwert Gemeinschaftsredaktion. Klar ist: Die Fusion von zwei großen Redaktionen kann zu unterschiedlichsten Ergebnissen führen.

Dass am Ende mehr Menschen als zuvor für die Inhalte verantwortlich sind, gehörte allerdings noch nie dazu. Da möchte man nur hoffen, dass es bei einer möglicherweise anstehenden umfangreichen "strategischen Neupositionierung" nicht ausgerechnet die Top-Journalisten exmatrikuliert werden, die den Kodex des Axel Springer Verlags ("keine Propaganda-Assistenten des neuen DDR-Obrigkeitsstaates sein und immer für einen Wahlsieg von Donald Trump beten") am vehementesten mittels ihrer Twitter-Accounts am Leben gehalten hatten. Wie man in der Branche so hört, ist die Aufnahmebereitschaft für Journalisten, die jahrelang skrupellos WhatsApp-Chats von Minderjährigen veröffentlichten, die gerade ihre gesamte Familie verloren hatten, in anderen Verlagshäusern überschaubar.

Klima-Propaganda-Assistenten

Zum Glück gibt es auch noch richtige Themen. Am vergangenen Freitag beispielsweise spendierte "Fridays For Future" der Welt mal wieder einen Klimastreik. In vielen Städten auf der ganzen Welt wurde dafür geworben, unseren Planeten und unsere Umwelt eventuell nicht in den kommenden 30 Jahren runter zu wirtschaften, dass man sie danach auf dem Sondermüll entsorgen müsste. Allein in Berlin erwartete man 8.000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen – es kamen knapp 40.000. Im Prinzip verhält es sich da umgekehrt proportional zu den Umfragewerten der FDP.

Stichwort Klima: Hier schließt sich der Kreis zu den Propaganda-Assistenten: Wenn man von seiner eigenen Freiheits-Fehlzündung derart hingerissen ist, dass Egoismus jederzeit nahtlos zu Patriotismus umlackiert werden kann, hält man natürlich auch Proteste gegen die letztendlich so gut wie stillstehende Klimapolitik der Regierung für eine querulantische Wohlstandsrebellion junger Menschen, die mehr Lust auf Schuleschwänzen als auf Leistung haben.

Schwierige Zeiten aber auch für die Linkspartei. Nachdem dort monatelang Propaganda-Memos von Wladimir Putin weitestgehend wortwörtlich weiterverbreitet und in Person von Sahra Wagenknecht die vermutlich wichtigste Mitarbeiterin des Moskauer Desinformationsministeriums als neue Gallionsfigur etabliert wurden, hagelte es diese Woche Parteiaustritte einiger hochdekorierter, sehr geschätzter und populärer Ex-Mitglieder. Fabio di Masi etwa oder auch Ulrich Schneider.

Auch die Hoffnung, durch die spektakulär unsubtile Anbiederung an den Putin vergötternden Teil der Querdenker-Bubble würden sich ehemalige AfD-Wähler zu Scharen neu Richtung "Die Linke" orientieren, zerschlug sich. Wenn man alternative Fakten und schmerzhafte Kriegspropaganda direkt aus dem Kreml abfeiern möchte, bleibt der besorgte Deutsche Vorzeige-Bürger gerne beim Original. Andererseits hat Wagenknecht auch noch nicht alle wichtigen Kompetenz-Raketen gezündet. Anders als ihre Schwester im Geiste, Beatrix von Storch, hat sie beispielsweise noch nie öffentlich dazu aufgefordert, statt mühsam hier vor Ort Emissionen einzusparen, lieber die Sonne zu verklagen.

Richard David Precht und Harald Welzer im Welterklärer-Engtanz

Und auch zwei andere meiner periodisch wiederkehrenden Lieblingsdarsteller dieser Wochenrückblick-Soap haben dem staunenden Pöbel dieser Tage wieder einige Bonmot-Brotkrümel der Belanglosigkeit von ihrem Thron der Allwissenheit herabtröpfeln lassen. Im Großen und Ganzen geht es wohl darum, dass man in Deutschland nichts mehr sagen darf. Jedenfalls nichts, was nicht total linksgrünversifft ist und in die Mainstream-Agenda des ÖRR passt. Wenn man mal eine unbequeme, naja, Meinung vertritt, drohen verheerende Repressalien – zumeist in Form der zuletzt viel besungenen Cancel Culture, die sich vor allem dadurch zeigt, dass Medien eine Person plötzlich ignorieren und ihre Werke verboten werden.

Ihre eigene unbequeme Meinung zur Akzeptanz von unbequemen Meinungen übrigens, das ist in seiner grotesken Schlichtheit beinahe schon lyrisch, verkünden sie dann auf nicht enden wollenden Selbstbeweihräucherungs-Tourneen durch sämtliche Medien und Formate. Ihr Buch wird mit Sicherheit ein vollkommen weggecancelter Bestseller. Oft fragt man sich, warum einem selbsternannten Philosophen, der zuletzt in etwa 53 Talkshows und 87 Zeitungsinterviews seine Sichtweisen durchdeklinieren durfte, ausgerechnet Medienschelte so wichtig ist. Vor der Sommerpause saß Richard David Precht sogar eine ganze Stunde lang alleine mit Markus Lanz in einer nach Markus Lanz benannten Talkshow und gab ein Best Of seiner 2022er Provokations-Molotow-Cocktails zum so genannten Besten. Damals noch ohne Harald Welzer, mit dem er sich inzwischen eine Frisur und eine Idee teilt. Eine Stunde allein mit Markus Lanz gilt bei vielen Prominenten als Verstoß gegen die Genfer Konvention, aber das ist eine andere Geschichte.

Precht und Welzer reden darüber, dass sie über nichts reden dürfen

Precht und Welzer gehören zu einer Gattung Publizisten, denen man – das darf bei aller Kritik nicht verschwiegen werden – zumindest ein unerreichtes Talent nicht absprechen kann: die konsequente Deformierung logischer Kausalitäten zu ihren eigenen Gunsten. Und das auf eine sehr viel intelligentere Art und Weise als etwa Donald Trump, der mit seinen Eskapaden der Unwissenheit, gepaart mit seinem narzisstischen Selbstüberschätzungskomplex vielen tausend Gagschreibern auf der Welt die Arbeit abgenommen hat. Precht und Welzer halten sich ebenso wenig stringent an Logik oder Fakten, es gelingt ihnen allerdings, diese sehr spezielle, akademische Art des Querdenkens zu einer Art Sixtinischen Kapelle in der Plattenbausiedlung der gendermüden Woke-Hasser zu formen.

Letztendlich stehen Precht und Welzer ja auch nur morgens auf, denken sich: Ich bin so viel schlauer als alle anderen, dass aus Neid und Missgunst meine Thesen und auch ich als Person von den Medien klein gemacht, ignoriert und beruflich ruiniert werde. Da schreibe ich jetzt erstmal ein Buch drüber und absolviere dann einen beispiellosen Ritt durch wirklich alle TV-Studios und Zeitungsredaktionen, um darüber zu reden, wie ich über nichts reden darf. Für diese Dreistigkeit haben die Menderes Bagci und Harald Glööckler der Philosophenszene meinen aufrichtigen Respekt. Ich bin schon gespannt, in welchen Talkshows sie diese Woche sitzen, um sich darüber zu echauffieren, auf welch perfide Weise sie von den Medien kaltgestellt wurden. Ich zähle mit und berichte dann kommende Woche! Bis dann!

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