"Fußballprofessor" und Hassfigur, Ärger mit Fußballromantikern und Cristiano Ronaldo: So tickt Ralf Rangnick, der mit Österreich aktuell bei der Europameisterschaft in Deutschland begeistert.
Das Fußballfachmagazin "Kicker" druckte zur Fußball-Europameisterschaft gerade ein lustiges Throwback-Foto aus dem Jahr 1985. Es zeigt eine Szene aus dem Training der Amateure des VfB Stuttgart. An einem Tisch sitzt ein junger Mann mit Schnauzbart, der etwas auf einem Klemmbrett notiert. Daneben stehen irritierte Mannschaftskameraden. Der Mann mit dem Klemmbrett ist der junge Ralf Rangnick (66). Der studierte gerade auf der Universität Stuttgart Sport und Englisch auf Lehramt und trainierte nebenbei die Amateure des VfB.
Fast 40 Jahre später kann
Ein Einzug ins Viertelfinale wäre der größte Erfolg der Alpenrepublik bei einer EM. Und eine Genugtuung für den Coach aus Backnang bei Stuttgart, der trotz seines Rufs als Fachmann selten um die großen Titel mitspielte. Auch, weil er immer wieder bei Vorgesetzten aneckte und Vereine frühzeitig verlassen musste.
Ralf Rangnick: Der (Ober)fußballlehrer Deutschlands
Das alte Bild mit dem Klemmbrett ist typisch für Ralf Rangnick und sein Image als Oberlehrer. Legendär sein Auftritt im "aktuellen Sportstudio" im Dezember 1998. An der Taktiktafel erklärte Ralf Rangnick dem Moderator Michael Steinbrecher (58) und ganz Deutschland, wie die Viererkette und das Pressing funktioniert. Begriffe, die heute gang und gäbe sind, für viele damals aber Neuland darstellten. Bei der WM 1998 war die DFB-Elf unter Trainer Berti Vogts (77) im Viertelfinale gegen Kroatien ausgeschieden.
Ralf Rangnick im Sportstudio über die Viererkette (1998) [English subtitles]
Seit der Lektion im "Sportstudio" hatte Ralf Rangnick sein Image als "Professor" weg. Der Baden-Württemberger war nie ein Menschenfänger wie der deutsche Bundestrainer Julian Nagelsmann (36) oder der ebenfalls nahe Stuttgart aufgewachsene Jürgen Klopp (57). Der hat zwar einen Universitätsabschluss als Sportwissenschaftler, wurde aber nie als "Professor" tituliert. Ralf Rangnick wirkt dagegen eher wie ein Sparkassenleiter, trocken bis arrogant. Flirten mit den Medien war nie seine Sache.
Ein Liebling der Fans war Ralf Rangnick nie. Obwohl er zunächst kleinen Mannschaften zu überraschendem Erfolg verhalf. So wie dem SSV Ulm 1846, den er als Aufsteiger an die Tabellenspitze der 2. Bundesliga führte. Ein Erfolg, der ihm erst die Einladung ins "Sportstudio" und dann 1999 den Trainerposten bei seinem Heimatverein VfB Stuttgart einbrachte.
Vom "Professor" zur "Hure des modernen Fußballs"
2006 übernahm Ralf Rangnick den Cheftrainerposten bei der TSG 1899 Hoffenheim. Den vom schwerreichen Mäzen Dietmar Hopp (84) geförderten Dorfverein führte er innerhalb von zwei Jahren von der dritten in die erste Liga. Da ihm später mit RB Leipzig, einem weiteren Retortenverein, ähnliches gelang, wurde er zur Hassfigur von Fußballromantikern. Er galt nun als "Hure des modernen Fußballs", wie er einmal auf einem Banner von Fans des Karlsruher SC beschimpft wurde.
Von ewiggestrigen "Fans" wurde Rangnick schon zuvor verspottet, als er 2011 wegen eines Burnouts seinen Trainerjob beim FC Schalke 04 auflöste. Auch hier war der zweifache Vater, der sich 2018 von seiner langjährigen Partnerin trennte, ein Pionier. Er war einer der ersten Sportler und Trainer, der offen mit psychischen Problemen umging.
Ärger mit Ronaldo - Frieden in Österreich?
2019 zog sich Ralf Rangnick als Sportdirektor von Leipzig ins zweite Glied zurück, machte sich dann als Berater für diverse Klubs selbstständig. Nach eineinhalb Jahren kehrte er überraschend auf die Trainerbank zurück, er übernahm in England beim kriselnden Traditionsverein Manchester United. Dort zeigte sich
Ralf Rangnick suchte sich immer wieder Vereine, bei denen er seine Vision durchsetzen kann, ohne dass ihn verkrustete Strukturen bremsen. 2022 versuchte er dies erstmals bei einer Nationalmannschaft. Durchaus überraschend wurde der Schwabe Teamchef der österreichischen Auswahl. Immerhin kannte er das Land aus seiner Zeit beim RB Leipzig-Schwesterclub RB Salzburg.
Obwohl Rangnick in einer Nationalmannschaft weniger Gelegenheit hat, sein komplexes System einzustudieren, funktioniert sein Fußball erstaunlich gut. Österreich setzte sich bei der EM nach einer überzeugenden Quali in einer schweren Gruppe mit Frankreich und den Niederlanden durch.
Neben dem Platz wirkt er bei den Nachbarn weniger verbissen als in seiner Zeit in Deutschland ohne den Ballast seines Images in seinem Geburtsland. "Ich bin mit vollem Herzen österreichischer Teamchef", sagte Rangnick kurz vor der EM, als er ein Angebot des großen FC Bayern München ablehnte. Dort wäre er wohl sowieso an den etablierten Strukturen gescheitert. (smi/spot) © spot on news
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