Wenn in einer Woche Trump wiedergewählt wird und sich gleichzeitig die deutsche Regierung auflöst, dann kann das eine Satire-Show wie das "ZDF Magazin Royale" bereichern und gleichzeitig überfordern. Vor allem, wenn beides so schnell passiert. Umso wichtiger, dass Jan Böhmermann in dieser Lage am Freitagabend Rückgrat zeigt. Indem er zeigt, wie man Rückgrat zeigt.

Christian Vock
Eine Kritik
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"Gute Zeiten für Satire", behauptet die Off-Sprecherin im Intro der neuesten Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" und gerade in dieser Woche könnte sie damit richtiger kaum liegen. Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und die Entlassung Christian Lindners als Finanzminister und das damit verbundene Ende der Ampel-Koalition – jedes Ereignis für sich wäre schon eine gute Zeit für Satire. Deshalb hat wohl niemand in der "ZDF Magazin Royale"-Redaktion sagen müssen: "Da müssen wir was machen!", zu offensichtlich ist die Größe der Situation.

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Die Frage, die man stattdessen in den Konferenzen gehört haben wird, muss "Okay, was machen wir?" gewesen sein. Denn Satire hat mindestens zwei Aufgaben. Die erste ist: Den Finger in die Wunde zu legen. Beziehungsweise: Erst einmal eine wunde Stelle ausfindig machen, in die man dann den Finger legen kann. Doch bei Trumps Wiederwahl und dem Ende der Ampel ist die Wunde vielleicht so groß, dass man gar keinen Finger mehr hineinlegen muss.

Bleibt also Aufgabe Nummer zwei: Das Lachen, das einem angesichts der Situation im Hals stecken bleibt, doch noch zu lösen. Mit anderen Worten: Die Situation irgendwie mit Humor zu verarbeiten oder zumindest verarbeitbar zu machen. Doch für beides, Wunden aufreißen und heilen, braucht man Zeit und man kann sich vorstellen, wie hektisch es in den Fluren der für das "ZDF Magazin Royale" verantwortlichen Produktionsfirma, Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld, zugegangen sein muss, als erst einmal jemand die Frage "Was machen wir?" gestellt hat.

"ZDF Magazin Royale": Vorbereiten auf "'ne anstrengende Zeit"

Die Antwort, aber das ist reine Spekulation, könnte vielleicht so gelautet haben: "Das ist jetzt alles echt sehr kurzfristig, eine komplett passende Show kriegen wir so schnell nicht hin. Daher machen wir alles nach Plan, machen aber die Übergänge so, dass sie zur aktuellen Situation passen." In der Praxis sieht das dann am Freitagabend so aus, dass Jan Böhmermann nicht nur einmal Sätze sagt wie "Was war das für 'ne Woche!" oder "Das war 'ne wilde Woche" und dann erst einmal, wie offenbar langfristig geplant, das "ZDF Streit Ressort", eine immer mal wiederkehrende Rubrik, durchzieht.

In diesem Fall ist es eine Talkshow-Parodie zum Thema "Kamala vs. Trump – wer hat denn jetzt eigentlich gewonnen?", in der Böhmermann als Richard-David-Precht Double, die Figur des rheinischen Comedians Ingo Blumhorst, "Rose Bluff" als Gayle-Tufts-Parodie und ein Skelett mit blonder Perücke als Thomas Gottschalk diskutieren, was aber erstaunlich wenig mit der US-Wahl zu tun hat. Dann aber biegt Böhmermann zum Ende der Ampel ab, um mit dem erwähnten Übergang die aktuelle Lage mit zum eigentlichen Thema der Folge zu nehmen.

"Wir leben zum Glück in einem Sozialstaat. Christian Lindner, du kannst dich aufs Bürgergeld verlassen", kommt Böhmermann seinen Humorpflichten nach, indem er die Entlassung Lindners und dessen Abneigung gegen das Bürgergeld miteinander verknüpft. Dann packt Böhmermann das Ampel-Ende und die USA-Wahl und drückt beides über die Ziellinie, um mit dem zu beginnen, was ihm in dieser Folge eigentlich am Herzen liegt: "Das wird 'ne anstrengende Zeit, auf die wir uns gut vorbereiten sollten und das machen wir hier heute im 'ZDF Magazin Royale'. Denn heute geht es um das unterschätzteste Körperteil des Menschen: das Rückgrat."

Dietrich Bonhoeffer beim "ZDF Magazin Royale"

"Wenige haben es, viele wollen es. Bei vielen scheitert's schon daran, dass sie nicht wissen, wie man's richtig schreibt", erklärt Böhmermann und zerrt dann die ans Licht, die dieses Rückgrat seiner Meinung nach nicht haben. Tom Buhrow etwa, scheidender Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR), als dieser sich 2019, "als man in der AfD bei Hakenkreuz-Tattoos noch langärmlig tragen musste", wie Böhmermann kommentiert, bei der "Oma ist 'ne alte Umweltsau"-Affäre nicht vor seine Mitarbeiter stellte.

Oder die Reaktion des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet, der in derselben Angelegenheit mahnte, Kinder nicht zu instrumentalisieren. "Der Mann, der immer ganz genau weiß, wann man lachen darf und wann nicht", kommentiert Böhmermann und zeigt dann Bilder des lachenden Laschets bei dessen Besuch im Flutgebiet in Erftstadt 2021. "Wir brauchen Rückgrat, sonst wird's gefährlich", zieht Böhmermann ein Zwischenfazit, fragt aber gleichzeitig: "Reicht das überhaupt noch in Zukunft? Überzeugungen, die kann man ja heutzutage sehr erfolgreich einfach simulieren." Es folgen Bilder von Donald Trump, der seine angebliche Bibeltreue sehr flexibel gestaltet. "Willkommen im Zeitalter der Überzeugungssimulation!", meint Böhmermann dazu.

Trump zeige auch Rückgrat, aber nur, "wie bei allen anderen rechten Populisten", indem er gegen die hetze, die ohnehin ganz unten sind. Für Böhmermann der passende Zeitpunkt, Dietrich Bonhoeffer zu zitieren: "Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich bloßstellen, es lässt sich notfalls mit Gewalt verhindern. Das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurücklässt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos." "Wir leben in einer Zeit, in der Comedy-Shows im Fernsehen am Freitagabend Dietrich Bonhoeffer zitieren, und zwar nicht als Witz, sondern ganz im Ernst", kommentiert Böhmermann.

"Wer kein Rückgrat hat, der muss jetzt lernen, sich zu winden"

Eine in der Tat bittere Erkenntnis, aber sind wir wirklich wehrlos gegen Dummheit? Vermutlich nicht. Es gibt Mittel, die Auswirkungen von Dummheit kleiner zu halten. Widerstand, rechtliche Vorkehrungen, die Demokratie sturmfest machen, Zusammenhalt – und eben Rückgrat zeigen. Denn Rückgrat zu zeigen heißt auch: Zeigen, dass man da ist – auch wenn's ungemütlich wird. Gerade dann. Denn Rückgrat braucht den Gegenwind und Menschen, die sich mitten hineinstellen. Wen er nicht zu den Menschen mit Rückgrat zählt, zeigt Böhmermann wenig später.

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"Rückgrat. Wir leben in Zeiten, in denen es sich wirklich lohnen kann, keines zu haben", erklärt Böhmermann und nennt als Beispiel Amazon-Gründer Jeff Bezos, einen der reichsten Menschen der Welt, der in einer seiner Zeitungen, der "Washington Post", eine Wahlempfehlung für Kamala Harris unterbunden hat. In einer der wichtigsten Zeitungen der USA. "Dem gehts um Macht und vor allem um Geld. Und mit Rückgrat zeigen, damit wird man nicht reich", erklärt Böhmermann und macht mit Jens Spahn weiter.

"Wer kein Rückgrat hat, der muss jetzt lernen, sich zu winden", meint Böhmermann und zeigt dann einen Einspieler, in dem sich CDU-Politiker Jens Spahn um eine Antwort auf die Frage von Sandra Maischberger windet, ob Kamala Harris die bessere Präsidentin für die USA wäre. "Ich halte mich grundsätzlich raus", erklärt Spahn da haltungslos und reiht sich damit nahtlos in seine Vorgänger ein.

Adieu Tristesse!

Die sind in dieser Ausgabe nicht nur Beispiele für Rückgratlosigkeit, sondern damit auch die Möglichkeit, das Lachen, das im Hals stecken geblieben ist, zu lösen. Jens Spahn, Armin Laschet, Jeff Bezos, Tom Buhrow sind diesmal ebenso Hauptdarsteller und Satire-Ziele wie Rapper Bushido, als der in einem Video-Einspieler erklärt, er habe durch Investments in die Rüstungsindustrie mit den aktuellen geopolitischen Problemen Geld gemacht. Aber anders, als vielleicht in anderen Ausgaben des "ZDF Magazin Royale", endet Böhmermann nicht in Tristesse angesichts der scheinbar riesigen Rücksichtslosigkeit.

Denn all das bedeute nicht, dass es in Deutschland keine stabilen politischen Kräfte gebe, die Europa durch die nächsten harten Jahre führen könnten, findet Böhmermann und sagt: "Es gibt mehr von ihnen als man denkt. Wir müssen sie nur finden. Menschen mit Rückgrat. Mutige Menschen, die trotz der geopolitischen Probleme auf der Welt. Verantwortung übernehmen. Die richtigen Entscheidungen treffen, Weitblick beweisen, für Zusammenhalt stehen, Vorbilder sind, Rückgrat zeigen."

Damit bleibt die jüngste Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" keine reine Bestandsaufnahme, in welch rückgratloser Welt wir gerade leben, sondern wird zum Mutmacher. Da verzeiht man auch mit Leichtigkeit, dass man die Welle der Ereignisse, von der man selbst erfasst wurde, nicht mehr in einer eigenen Show auffangen konnte. Das ist dann vielleicht ja etwas für die nächste Ausgabe. Bis dahin steht dafür Böhmermanns Appell, der zehnmal wertvoller ist: "Anstrengende Zeiten liegen vor uns. Jedes stabile Rückgrat wird gebraucht. Und zwar wirklich jedes." Denn Rückgrat zu haben, ist das Rückgrat einer Gesellschaft. Oder sollte es sein.

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