• In Deutschland wird regelmäßig über eine mögliche Legalisierung von Cannabis gestritten: Was spricht dafür und was dagegen?
  • Die Verfolgung von Bagatelldelikten bindet wertvolle Ressourcen bei Polizei und Justiz, kritisiert der Jurist Oliver Rabbat.
  • Auch Suchtberater Hans-Jürgen Hallmann plädiert für eine Entkriminalisierung der Konsumenten – das würde die Präventionsarbeit erleichtern.

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Überlastete Justiz, blühender Schwarzmarkt: Auch weil immer mehr Länder und US-Bundesstaaten Cannabis legalisieren, wird in Deutschland regelmäßig darüber gestritten. Lässt sich so der illegale Handel eindämmen? Oder steigt allein der Konsum?

Cannabis: Aktuelle Rechtslage in Deutschland

Der Konsum von Cannabis ist in Deutschland zwar erlaubt. Verboten ist es aber, Cannabisprodukte zu kaufen, zu besitzen, zu verkaufen sowie Hanfpflanzen anzubauen. Je nachdem, mit wie viel man erwischt wird, drohen nach Betäubungsmittelgesetz (BtMG) eine Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Haft. Wer (erstmals) mit einer geringen Menge erwischt wird, kommt oft noch einmal davon: Das Verfahren wird eingestellt.

Was unter "geringer Menge" zu verstehen ist, ist in den Bundesländern allerdings unterschiedlich geregelt: In einigen sind das maximal sechs Gramm, in NRW sind es bis zu zehn, in Berlin sogar bis zu 15 Gramm. Die Staatsanwaltschaft entscheidet, ob ein Verfahren eingestellt wird. Selbst dann besteht allerdings noch die Gefahr, dass der Führerschein eingezogen wird, warnt der Deutsche Anwaltsverein auf seinem Rechtsportal.

Das Strafmaß für den Anbau von Cannabis ist das gleiche wie beim Besitz. Wer erstmals unter Cannabis-Einfluss am Steuer erwischt wird, zahlt ein Bußgeld von 500 Euro, außerdem kassiert er zwei Punkte in Flensburg und vier Wochen Fahrverbot. Verursacht jemand, der Marihuana konsumiert hat, einen Unfall, drohen natürlich strafrechtliche Konsequenzen.

Ein anderes Thema ist medizinisches Cannabis: Seit März 2017 dürfen Ärzte in Deutschland schwerkranken Patienten unter Umständen Cannabisarzneimittel verschreiben. Diese Therapiemöglichkeit richtet sich beispielsweise an Schmerzpatienten oder Menschen mit Spastiken oder Multipler Sklerose.

Die politische Debatte

Sowohl Grüne als auch Linke sprechen sich für eine Legalisierung von Cannabis aus. Die FDP schlägt aktuell Modellprojekte vor, genau wie "eine drastische Ausweitung der Produktion in Deutschland". Erst Ende Oktober scheiterten die Oppositionsparteien im Bundestag allerdings mit Anträgen für einen lockereren Umgang mit Cannabis.

Anfang des Jahres hat die SPD ein Positionspapier verabschiedet: Der Besitz kleiner Mengen sollte demnach künftig nur noch als Ordnungswidrigkeit behandelt werden. Die Union sperrt sich bislang gegen eine lockerere Cannabis-Politik, nur einzelne Politiker aus ihren Reihen zeigen sich offen. Für die AfD-Bundestagsfraktion kommt eine Legalisierung nicht infrage.

Blick ins Ausland

Die Niederlande gelten als Paradies für Kiffer – aber so einfach ist es gar nicht: Die Behörden tolerieren zwar, dass Coffeeshops Cannabis an ihre Kunden abgeben. Die Läden müssen ihre Ware jedoch genau genommen illegal einkaufen, da der Anbau und Ankauf in großen Mengen auch in unserem westlichen Nachbarland eigentlich verboten ist. Im kommenden Jahr soll dort in zehn Städten ein Modellprojekt beginnen: Dort ist nur noch "Staats-Cannabis" erhältlich, in von den Behörden überwachten Anlagen produziertes Rauschmittel.

In Portugal sind Drogen bereits seit Anfang des Jahrtausends entkriminalisiert – nicht nur Cannabis, sondern beispielsweise auch Heroin und Kokain. Portugiesen dürfen geringe Mengen besitzen und konsumieren.

Kanada erlaubt Erwachsenen seit Oktober 2018, eine gewisse Menge Cannabis zu kaufen und zu konsumieren. In Australiens Hauptstadt Canberra sind Anbau und Konsum Anfang dieses Jahres entkriminalisiert worden – im Gegensatz zum Rest des Landes. Und in den USA dürfen Erwachsene bereits in elf Bundesstaaten Cannabis besitzen und konsumieren, in vier weiteren soll es für den Freizeitgebrauch im nächsten Jahr legalisiert werden.

Als erstes Land weltweit hatte Uruguay Cannabis bereits Ende 2013 zum Genuss legalisiert. Dort sind begrenzte Mengen rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Auch in Kolumbien darf Cannabis konsumiert werden.

Knappe Ressourcen bei Polizei und Justiz

Die Verfolgung von Cannabis-Delikten belegt aus Sicht von Oliver Rabbat wichtige Ressourcen bei Polizei und Justiz: Ressourcen, die für die Strafverfolgung anderer – weit schwerwiegenderer – Delikte dringend gebraucht würden.

Der Berliner nennt sich auf seiner Webseite "Cannabis-Anwalt" und berät Klienten, die im Zusammenhang mit der Droge ins Visier der Justiz geraten sind. "Eine solche Anklage kann enorm belastend sein." Der Anwalt gibt ein Beispiel: Jemand, der früher einmal drei Pflanzen auf dem Balkon angebaut habe, könne später Probleme bekommen, Lehrer zu werden. Oftmals fehlt aus Sicht des Juristen hier die Verhältnismäßigkeit.

Für eine Entkriminalisierung von Konsumenten spricht sich auch Hans-Jürgen Hallmann von der Landeskoordinierungsstelle Suchtvorbeugung NRW aus. Er hält eine Einstufung als Ordnungswidrigkeit oder beispielsweise "Beratungspflicht statt Strafverfolgung" für weitaus sinnvoller als die aktuelle Regelung.

Suchtberater: "Keine harmlose Droge"

Aber: "Cannabis ist keine harmlose Droge", betont Hallmann im Gespräch mit unserer Redaktion. Wie andere Rauschmittel auch kann der Konsum zum Teil zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Wie bei allem komme es hier auf das Maß und nicht zuletzt auf das Alter der Konsumierenden an. Wer in jungen Jahren regelmäßig konsumiere, laufe Gefahr, abhängig zu werden und könne etwa in der geistigen Leistungsfähigkeit sowie bei der Wahrnehmung von Gefühlen eingeschränkt sein.

Zudem registrieren Expertinnen und Experten einen Anstieg von Psychosen, die auch mit hohem Cannabis-Konsum in Zusammenhang gebracht werden. Cannabis erzeugt diese zwar nicht, kann sie aber auslösen, erklärt Hallmann. Das liegt vor allem an dem mittlerweile hohen THC-Gehalt: Beim Tetrahydrocannabinol handelt es sich um den psychoaktivsten Wirkstoff der Pflanze. In einem Jahrzehnt – von 2006 bis 2016 – hat sich der THC-Gehalt in Cannabis auf dem europäischen Markt verdoppelt, wie Wissenschaftler der University of Bath und des King’s College London herausfanden.

Regulierung ermöglicht Kontrolle

Auch bei diesem Thema sieht Anwalt Oliver Rabbat einen Vorteil durch die Legalisierung – er betont, dass es nicht um Freigabe geht, sondern um Regulierung: "Durch kontrollierten Anbau und zertifizierte Ware lässt sich die Qualität der Rauschmittel kontrollieren und lenken." Ein Aspekt, der auch Suchtberater Hallmann wichtig ist: "Über eine kontrollierte Abgabe würde Stoff in den Handel gelangen, der nicht so stark wirkt wie möglicherweise illegale Ware."

Wenn Cannabis entkriminalisiert wird, sieht er außerdem einen Vorteil für die Präventionsarbeit: "Lehrer können dann offener mit ihren Schülerinnen und Schülern darüber sprechen." Eine wie auch immer gestaltete Legalisierung selbst würde Jugendliche ohnehin nicht betreffen – da sie über das Jugendschutzgesetz davon ausgeschlossen sind, gibt der Experte zu bedenken.

Aus Sicht des Suchtberaters ist Cannabis längst eine "illegale Alltagsdroge", der Markt groß. "Die Frage ist doch: Wollen wir ihn kontrollieren – oder wollen wir alles so weiterlaufen lassen?"

Lesen Sie auch: Ist Cannabis wirkliche eine harmlose Droge und sollte legalisiert werden?

Plus an Steuereinnahmen – und Kosteneinsparung in der Justiz

Wäre der Verkauf von Cannabis legal, würde der Staat darüber Steuereinnahmen generieren. "Stattdessen subventionieren wir jetzt mit hohen Millionenbeiträgen kriminelle Organisationen und illegale Strukturen", sagt Anwalt Rabbat.

Justus Haucap, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Düsseldorf, hat sich im Auftrag des Deutschen Hanfverbands mit der Frage beschäftigt, um wie viel Geld es hier geht: nach seinen Angaben um – konservativ geschätzt – gut zweieinhalb Milliarden Euro pro Jahr, wie er im Gespräch mit dem "Deutschlandfunk" erzählt. Der Wirtschaftswissenschaftler berücksichtigt hier neben Steuereinnahmen, die jetzt eben nicht erhoben werden, auch polizeiliche und juristische Kosten für all die Ermittlungsverfahren, die eröffnet und dann eingestellt werden. Haucap geht allein hier von rund einer Milliarde Euro aus.

Er rechnet außerdem damit, dass durch eine Cannabis-Legalisierung in Deutschland Arbeitsplätze im fünfstelligen Bereich entstehen würden. In Kanada etwa waren schon Anfang des Jahres knapp 10.000 Menschen in der Branche beschäftigt, dort gibt es auch an mehreren Universitäten einen Studiengang zur kommerziellen Cannabis-Produktion, wie USA-Korrespondentin Antje Passenheim im Tagesschau-Podcast "mal angenommen" berichtet.

Lässt sich so der Schwarzmarkt eindämmen?

Anwalt Oliver Rabbat hält es für sinnvoll, den Schwarzmarkt "auszutrocknen". Denn Verbot hin oder her: Wenn Leute Drogen wollen, bekommen sie sie auch, ist sich der Strafrechtsexperte sicher. Über Strafverfolgung ist dem Markt seiner Erfahrung nach nicht beizukommen: "Wann war der letzte große Dealer vor Gericht?", fragt Rabbat. "Es sind vor allem Kleindealer von der Straße. Und die sind austauschbar."

In Kanada ist der Schwarzmarkt gut zwei Jahre nach der Legalisierung allerdings nicht ausgetrocknet: Etwa die Hälfte der Konsumenten gab rund ein Jahr später an, ihr Cannabis noch immer illegal einzukaufen. Das liege aber auch daran, dass es nicht ausreichend Geschäfte gibt, in denen der Stoff legal zu bekommen ist, erklärt ARD-Korrespondentin Passenheim. Auf dem Schwarzmarkt sei das Cannabis außerdem weit billiger – die Kontrollen des staatlich genehmigten Stoffes müssen finanziert werden. Zudem wolle die Regierung das Rauschmittel nicht zu günstig machen, um junge Menschen nicht zum übermäßigen Konsum zu verleiten.

Große Bedenken, dass durch eine Legalisierung viel mehr Menschen kiffen würden, haben Experten nicht. Weil jeder, der Cannabis haben möchte, schon jetzt leicht drankommt. Auch der Blick nach Portugal, wo die Regeln seit zwei Jahrzehnten weit lockerer sind als andernorts in der EU, gibt keinen Grund zur Sorge: Dort wird weniger gekifft als im EU-Schnitt. Und in Kanada konsumieren nach Angaben der offiziellen Statistikbehörde weniger Menschen Cannabis als vor der Legalisierung.

Über die Experten: Oliver Rabbat ist Fachanwalt für Strafrecht in Berlin. Seine Schwerpunkte sind die Strafverteidigung und das Verkehrsrecht. Dabei hat er sich auf das Thema Cannabis/Betäubungsmittel im Straßenverkehr spezialisiert.
Dr. Hans-Jürgen Hallmann ist Diplom-Pädagoge und leitet die ginko Stiftung für Prävention. Diese ist Träger der Landeskoordinierungsstelle für Suchtvorbeugung NRW sowie der kombinierten Jugendberatungs- und Fachstelle Suchtvorbeugung in Mülheim an der Ruhr.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Oliver Rabbat
  • Gespräch mit Dr. Hans-Jürgen Hallmann
  • Zukunfts-Podcast der tagesschau: "Was, wenn Cannabis in Deutschland legal wäre? | mal angenommen"
  • Deutsche Anwaltauskunft: "Cannabis: Was ist erlaubt?"
  • Deutscher Bundestag: "Opposition scheitert mit Anträgen zum Umgang mit Cannabis"
  • SPD: "Cannabis-Verbotspolitik verändern"
  • Leafly: "öffentlicher Cannabiskonsum erlaubt"
  • Deutschlandfunk Kultur: "Cannabis als Wirtschaftsfaktor: Viel Geld in Tüten"
  • Wiley Online Library: "Increasing potency and price of cannabis in Europe, 2006–16"
  • Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht: Europäischer Drogenbericht Trends und Entwicklungen
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