Das Handspiel von Bastian Schweinsteiger leitete die Niederlage von Deutschland gegen Frankreich ein. Der ehemalige EM- und WM-Schiedsrichter Bernd Heynemann sieht den Pfiff kritisch.

Mehr News zur Fußball-EM

Herr Heynemann, war der Elfmeterpfiff nach dem Handspiel von Bastian Schweinsteiger berechtigt oder nicht?

Bernd Heynemann: Wenn das Handspiel von Jerome Boateng gegen Italien ein 100-prozentiger Elfmeter war, ist das Handspiel von Schweinsteiger maximal ein 30-prozentiger Elfmeter gewesen. Boateng hatte eine ganz andere Körperhaltung, eine blockende Haltung. Er wollte den Ball abwehren. Schweinsteiger hingegen ging in den Zweikampf. Man hätte nicht pfeifen müssen.

Es war also eine natürliche Körperhaltung von Schweinsteiger?

Genau. Er wollte mit dem Kopf zum Ball gehen. Was soll er denn mit seinen Armen machen? Soll er dem Ball wie ein Pinguin entgegen springen? Ich habe mich sehr gewundert, dass in den Kommentaren behauptet wurde, der Schiedsrichter hätte korrekt entschieden.

Die deutschen Spieler waren von dem Pfiff offenbar überrascht.

Natürlich. Joachim Löw musste die Spieler in der Halbzeit erst einmal beruhigen. Vergleichen wir das noch einmal mit dem Handspiel von Boateng gegen Italien: Alle Spieler wussten, dass Boateng blöde in den Zweikampf ging. Niemand hat sich beim Schiedsrichter beschwert. Gestern hingegen war der Pfiff für alle unverständlich.

War die Situation für den Schiedsrichter Nicola Rizzoli vielleicht schwer zu sehen?

So wie der Rizzoli stand, konnte er das überhaupt nicht richtig sehen. Das war eher eine Entscheidung des Assistenten - meiner Meinung nach eine sehr kleinliche. Es gab andere Spielsituationen, die haben mich an Catchen erinnert. Da wurde nicht gepfiffen. Von daher passt der Elfmeterpfiff nicht zur sonstigen Spielleitung. Würde man diese Spielsituation auf einem Schiedsrichter-Lehrgang zeigen, würden mindestens 50 Prozent der Teilnehmer sagen, dass das kein Elfmeter war.

Wie beurteilen Sie ansonsten die Leistung des Schiedsrichters?

Der Rizzoli hat sich als eine Person dargestellt, die unantastbar ist. Niemanden ließ er näher als zwei Meter an sich heran. Er war ein typischer italienischer Schiedsrichter. Die gegebenen Karten waren allerdings größtenteils korrekt. Nur das Foulspiel von Emre Can hätte keine Gelbe Karte nach sich ziehen müssen. Das Foul war weder taktisch noch brutal. Letztendlich war es eine normale Schiedsrichterleistung.

War die Ansetzung von dem Italiener Nicola Rizzoli etwas unglücklich? Immerhin ist Italien wenige Tage zuvor gegen Deutschland ausgeschieden ...

Das war wirklich unglücklich. Mit solch einer Ansetzung deponiert man praktisch Sprengstoff. Wie wir sehen, wird dieses Thema nun groß aufgeblasen. Das hätte man sich ersparen können, indem ein anderer Schiedsrichter das Spiel pfeift. Pierluigi Collina (Referee-Boss der UEFA, Anm.d.Red.) hätte voraussehen müssen, dass Diskussionen entstehen.

Rizzoli pfiff auch das WM-Finale 2014 zwischen Deutschland und Argentinien. Damals wurde ihm teilweise vorgeworfen, er hätte ein Foul von Manuel Neuer gegen Gonzalo Higuain mit einem Elfmeter ahnden müssen. Hat ein Schiedsrichter so etwas noch im Gedächtnis, sodass er im nächsten Spiel kleinlicher gegen die Deutschen pfeift?

Nein. Das spielt keine Rolle. Wie sagt man so schön: Die nächste Spiel ist immer das Schwierigste. Was man früher geleistet hat, ist bedeutungslos. Das WM-Finale ist nun zwei Jahre her. Niemanden, der auf dem Feld steht, interessiert das noch.

Bernd Heynemann war bis 2001 Bundesliga-Schiedsrichter und bis August 2010 Schiedsrichterbeobachter der Bundesliga, der 2. Bundesliga und in der Champions League. Er pfiff insgesamt 151 Bundesligaspiele und kam in 42 Europapokal-Partien zum Einsatz. Außerdem pfiff er bei der EM 1996 in England und der WM 1998 in Frankreich. Seit April 2015 ist Heynemann für die CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt vertreten.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.