- Von der Kandidatenkür in die Primetime: Annalena Baerbock präsentiert sich zur besten Sendezeit auf ProSieben – und legt einen kämpferischen Auftritt hin.
- Sie inszeniert sich als Alternative zur Groko und verteilt Kritik an Erdogan, Putin und der Corona-Politik.
Annalena Baerbock, so scheint es, kann an diesem Tag nur gewinnen. Um 11 Uhr hat
Die Grünen haben mit ihrer sorgfältig inszenierten Kür einen kleinen Medienhype entfacht,
Baerbock als Kanzlerin: Investitionen statt Schuldenbremse
Wer multitaskingfähig ist, kann via Second Screen live verfolgen, wie aus der Fraktionssitzung der Union immer neue Indiskretionen dringen. Ich, ich, ich, das ist alles, was
"Schmerzhaft" sei die Entscheidung gewesen, meint Baerbock, sie sei auch nicht unbedingt die bessere Kandidatin als Robert Habeck gewesen, sondern "das beste Angebot". Wo der Unterschied ist, führt sie nicht aus. Auch wenn es sich in ihrer Version der Geschichte fast anhört, als würde Habeck sie ins Kanzleramt tragen wie Samweis seinen Freund Frodo im "Herrn der Ringe" auf den Schicksalsberg – sie muss sich jetzt profilieren. Und am Montagabend sieht es so aus, als könnte sie das auch.
Vehement spricht sie sich für einen Lockdown aus, um die steigenden Corona-Zahlen in den Griff zu bekommen – inklusive Tests auch in den Büros und Fabriken. Wenn Arbeitgeber noch immer die Testpflicht zurückweisen, sei das "unsolidarisch": "Was für Kinder in der Schule gilt, muss auch für die Arbeitswelt gelten." Für die Zeit nach Corona schweben den Grünen in vielen Bereichen ein Kurswechsel vor: Investitionspflicht statt Schuldenbremse, Co2-Steuern, Abschaffung der Sanktionen ("Die sind kontraproduktiv und würdelos") und Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes bis auf 600 Euro – und natürlich, über allem, der Klimaschutz: "Wir müssen die Art und Weise, wie wir produzieren, umstellen."
Grüne Kanzlerkandidatin: "Ich habe Respekt und Demut vor dem Amt"
Baerbocks erstes großes TV-Interview ist, das wird schnell klar, ein Heimspiel für die einzige "Nicht-Boomerin" im Rennen um das Kanzleramt, wie es
Nicht immer kommt Baerbock mit solchen Null-Antworten durch. Mischke konfrontiert die Spitzenkandidatin mit den Verboten von Inlandsflügen in Frankreich – wäre das ein grüner Weg für Deutschland? "Natürlich muss sich viel ändern, aber wenn es so einfach wäre ..." - "Ist das eine neue Scheu, weil Sie nicht als Verbotspartei gelten wollen?" Baerbock schlängelt sich durch, es gehe nicht darum, bessere Menschen zu machen, sondern die Regeln zu ändern. "Das klingt sanft", wirft Mischke ein. Das will Baerbock so aber auch nicht stehen lassen: "Es funktioniert nicht sanft, in zentralen Themen müssen wir Dinge ändern."
Breite Wählerschichten dafür zu begeistern, das wird Baerbocks größte Aufgabe in den nächsten sechs Monaten. Im Interview verbreitet sie Zuversicht, ihre Botschaft: Die Menschen und auch die Wirtschaft seien ohnehin schon viel weiter als die Politik.
Baerbocks Rezept für Putin oder Lukaschenko: "Härte und Dialog"
Ein weiteres Fragezeichen hinter Baerbocks Kandidatur: die fehlende Erfahrung, auch auf dem internationalen Parkett. Biden,
Thilo Mischke klopft das Blatt gleich mal ab: "Ist Wladimir Putin ein Mörder", fragt er in Anspielung auf Joe Bidens "Killer"-Aussage. Der Kreml lasse mit Alexej Nawalny "gerade jemanden sterben", entgegnet Baerbock, aber Außenpolitik sei eben komplex, wichtig sei für die Bundesregierung, eine "klare Sprache" zu sprechen. "Genau, eine klare Sprache", hakt Mischke nach: "Ist er ein Mörder?" - "Das kann man von außen schlecht sagen, aber er ist für dieses Regime verantwortlich."
Etwas deutlicher wird Baerbock in Sachen "Sofa-Gate". Dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die EU-Kommissionspräsidentin bei einem Besuch auf einem Sofa platzierte, sei "ein Unding". Die Düpierung von Ursula von der Leyen zeige, dass es weltweit "dieses Gehabe" gebe: "Jetzt braucht es wieder den starken Mann, in manchen Situationen den starken Führer." Auch dazu will Baerbock die Alternative sein – und zumindest im ProSieben-Studio hätte sie offenbar gute Chance auf eine Mehrheit: Zum Abschluss klatscht das Moderatoren-Duo freundlich Beifall. Es gibt schlechtere Auftakte in einen Wahlkampf.
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