• Am 10. April findet der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Frankreich statt.
  • Stefan Seidendorf vom Deutsch-Französischen Institut sagt, das Ergebnis habe auch Folgen für die Bundesregierung.
  • Er sieht mögliche gemeinsame Projekte zwischen beiden Ländern, aber auch Konfliktpotenzial.
Ein Interview

Warum ist die französische Präsidentschaftswahl von Bedeutung für Deutschland?

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Stefan Seidendorf: Frankreich ist der wichtigste internationale Partner Deutschlands und steht vor einer Richtungswahl. Zwei Kandidaten, Emmanuel Macron und der Grüne Yannick Jadot, haben eine klar proeuropäische Haltung, auch in dem Sinn, dass sie mit Deutschland gemeinsam die Probleme Europas angehen wollen. Die anderen chancenreichen Kandidatinnen und Kandidaten haben ein zumindest skeptisches Verhältnis zur EU und zur Bundesrepublik. Wenn also weder Macron noch Jadot gewinnen würden, hätte die Bundesregierung ein großes Problem beim Umgang mit aktuellen Krisen wie dem Krieg in der Ukraine, aber auch in Energie- und Wirtschaftsfragen.

Auf dem dritten Platz hinter Macron und der Rechtspopulistin Marine Le Pen steht laut Umfragen aktuell der Linke Jean-Luc Mélenchon. Der schaffte es 2017 fast in die Stichwahl, wie damals sind die linken Parteien aber zerstritten. Könnte er trotzdem für eine Überraschung sorgen?

Das ist nicht ausgeschlossen. Mélenchon ist ein erfahrener Wahlkämpfer und guter Stratege, der sich aus einer schwierigen Position heraus sehr gut in Stellung gebracht hat. Um Le Pen zu überholen, bräuchte es aber noch ein ganzes Stück. Wenn er irgendwie an die Macht käme, was von heute aus schwer vorstellbar erscheint, wäre das schwer für die Bundesregierung. Er hat aus einer kritischen Haltung gegenüber den deutschen Regierungen und der EU seinen Markenkern gemacht, was die Außenpolitik angeht. Da dreht sich bei ihm alles um die Idee, französische Souveränität zurückzuerobern, um letztendlich nur Franzosen in Frankreich über wichtige Fragen entscheiden zu lassen.

Wie bewerten Sie die bisherige Bilanz Macrons? In Deutschland wurde er zum Teil als "Retter Europas" gesehen, in Frankreich als "Präsident der Reichen" kritisiert.

Er hat die wenigen Superreichen tatsächlich finanziell entlastet, aber gleichzeitig auch die Lage der unteren Mittelschicht und der Mittelschicht allgemein verbessert. Was die europapolitische Bilanz angeht, hat es lange gedauert, bis er etwas vorweisen konnte. Das hatte aber nicht zuletzt auch mit der zögerlichen Haltung der deutschen Bundesregierung in Gestalt von Angela Merkel zu tun. In den fünf Jahren seit seinem Amtsantritt ist aber eine neue deutsch-französische Dynamik entstanden, vor allem mit dem großen Schritt eines europäischen Corona-Wiederaufbaufonds.

Aus französischer Sicht gab es vor der Bundestagswahl die Hoffnung, dass die Zusammenarbeit unter einem SPD-Kanzler leichter würde. Bewahrheitet sich das jetzt unter Olaf Scholz?

An der strukturellen Konstellation hat sich erst mal nichts geändert. Es sind zwei sehr unterschiedliche Länder, die in vielen Fällen auf einen gemeinsamen Nenner kommen müssen, damit sich die EU weiterentwickeln kann. Auch Angela Merkel hat sich dieser Zusammenarbeit an sich nie entzogen, aber was gefehlt hat, war eine längerfristige Vision für die EU. Von Olaf Scholz hat man sowas ebenfalls noch nicht gehört. Man kann ihm zugutehalten, dass er sich als Finanzminister 2020 für den Wiederaufbaufonds starkgemacht hat. Aktuell hat er wiederum die Grundelemente sozialdemokratischer Verteidigungspolitik über den Haufen geworfen und ist damit in einer Position, aus der heraus die europäische Verteidigungszusammenarbeit einfacher vertieft werden könnte. Neben seiner Ansage, sehr viel Geld in die Hand nehmen zu wollen, müsste er aber noch definieren, wie eine solche Vertiefung genau aussehen würde.

Welche gemeinsamen Projekte oder Konfliktthemen könnten in Zukunft noch auf der Tagesordnung stehen?

Ich kann mir gut vorstellen, dass es bei einer Wiederwahl Macrons und einer Stabilisierung der internationalen Lage mit Blick auf den Krieg in der Ukraine Fortschritte bei einer ganzen Reihe großer Baustellen gibt. Dazu gehören beispielsweise ein europäischer Mindestlohn und eine europäische Arbeitslosenversicherung sowie ein gemeinsames Budget für die Eurozone. In der Energiepolitik war der Kompromiss bisher, dass jeder das macht, was er möchte und es nur einen gemeinsamen Markt für Energiehandel gibt. In der derzeitigen Krise wird deutlich, dass es da eine stärkere Harmonisierung bräuchte - hier liegt vielleicht das größte Konfliktpotenzial. Aus französischer Sicht war Atomenergie bisher ein geeignetes Übergangsmittel bis zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Und in Deutschland setzte man darauf, diese schon jetzt voranzutreiben und in einer Übergangszeit noch mit Kohle und Gas zu arbeiten. Das ist schwierig zusammenzubringen, weil die zugehörige Debatte in beiden Ländern eine ideologische Komponente hat.

Was ist mit den Finanzen unter einem Minister Christian Lindner? Die FDP stand hier bisher nicht unbedingt für die Politik, für die sich Frankreich in den vergangenen Jahren eingesetzt hat.

In der Vergangenheit hat jeder französische Präsident zunächst mal mit Italien und Spanien geliebäugelt, für deutsche Regierungen waren die Niederlande und vor dem EU-Austritt Großbritannien naheliegender. Am Ende musste man sich aber immer wieder eingestehen, dass der Weg nur über Paris beziehungsweise Berlin geht. Christian Lindner hat aus meiner Sicht jetzt schon gezeigt, dass er bereit ist, von den in Oppositionszeiten geäußerten Positionen Abstand zu nehmen und sich pragmatisch zu verhalten. Seine Partei ist im Europaparlament in einer Fraktionsgemeinschaft mit der von Macron. Der deutsche Finanzminister hat also einen doppelten Anreiz, sich konstruktiv zu verhalten.

Schon länger gibt es deutsch-französische Ministerräte und andere Institutionen. Bringen die wirklich etwas oder sind das nur Gesprächsrunden, bei denen am Ende nichts Konkretes herauskommt?

Letzteres gilt für die große Mehrheit davon, aber sie sind dennoch sehr wichtig für das deutsch-französische Verhältnis. Trotz aller Errungenschaften und gemeinsamer Interessen gibt es noch immer Misstrauen. Egal, ob es um Verwaltung, Kultur oder die Zivilgesellschaft geht: Sie werden immer merken, dass grundlegende Dinge in Frankreich anders sind als in Deutschland. Trotzdem ist Deutschland für Frankreich der wichtigste Handelspartner und andersherum sieht es nicht viel anders aus. Ähnlich ist es in der Außenpolitik: Wenn eines der beiden Länder da Gewicht haben will, benötigt es dazu die EU und dafür braucht es einen deutsch-französischen Konsens. Wenn sich die Regierungen immer nur so in Brüssel treffen würden ohne vorherige Absprache, wäre die EU regelmäßig blockiert.

Zur Person: Stefan Seidendorf ist Stellvertretender Direktor des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg und dort verantwortlich für die Europaabteilung. Träger des Instituts sind unter anderem das Auswärtige Amt und das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg.

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