Die FDP ist dabei, führungslos in die außerparlamentarische Opposition zu taumeln. Erst im Mai soll ein Parteitag einen Nachfolger für Christian Lindner bestimmen. Hinter den Kulissen droht ein Machtkampf. Wer hat das Zeug zur Nummer eins?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als Christian Lindner am Montag nach der Bundestagswahl vor der Presse tritt, sieht er mitgenommen aus. Über elf Jahre steht er schon an der Spitze der FDP, länger als Hans-Dietrich Genscher und Guido Westerwelle. Und nun endet seine Amtszeit da, wo sie einst begann: in der außerparlamentarischen Opposition.

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Die Freien Demokraten haben bei der Wahl ein Debakel erlebt: 4,3 Prozent. Sie haben den Wiedereinzug in den Bundestag nicht nur ganz knapp verpasst, nein, es war sehr deutlich. Das geht auch am Vorsitzenden nicht spurlos vorbei. Lindner, so viel steht fest, ist nach diesem Wahlsonntag ein tragischer Held. Er hat die FDP quasi im Alleingang aus der Versenkung bis in die Regierung geführt – und nun wieder zurück.

Jetzt rächt sich, dass Lindner, dieses politische Kraftwerk, keinen Nachfolger aufgebaut hat. Dabei hat die FDP talentierte Fachpolitiker in den Reihen ihrer Bundestagsfraktion, keine Frage. Aber Lindner überstrahlte in seiner Amtszeit alles. In der selbsternannten Partei der Individualisten gab es schlicht niemanden, der den großen Vorsitzenden herausfordern wollte. Oder es konnte.

Nun ist die FDP dabei, führungslos in die außerparlamentarische Opposition zu taumeln. Erst im Mai ist ein Bundesparteitag angesetzt, dann wählen die Liberalen eine neue Spitze. Solange ist Christian Lindner im Amt, ein Vorsitzender auf Abruf. Bei den Liberalen hat die Post-Lindner-Ära bereits begonnen, alles dreht sich um die Frage: Wer kann Vorsitzender? Es deutet sich ein Machtkampf an.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: anschlussfähig an SPD und Grüne

Als erstes aus der Deckung gewagt hat sich die Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Noch in der Wahlnacht hat sie der "Bild" gesagt, sie werde "dort in der Partei Verantwortung übernehmen, wo es notwendig ist und wo es gewünscht wird". Was für die 66-jährige Düsseldorferin spricht: Strack-Zimmermann ist ein bekanntes Gesicht, sie ist schlagfertig und: Sie hat als Spitzenkandidatin bei der Europawahl 2024 – gegen den Trend – mit 5,2 Prozent ein respektables Ergebnis für die FDP eingefahren.

Allerdings hat Strack-Zimmermann in der Partei, vorsichtig ausgedrückt, nicht nur Freunde. Für manche gilt sie sogar als sozialliberal. Dazu muss man wissen: In Teilen der FDP ist das ein Schimpfwort. Der letzte überzeugte Sozialliberale war der vor Kurzem verstorbene Gerhart Baum. Was zweifellos richtig ist: Strack-Zimmermann verengt Freiheit nicht auf "Mehr Netto vom Brutto", die beliebteste Losung der FDP. Sie steht auch für einen Bürgerrechtsliberalismus, der prinzipiell anschlussfähig ist an SPD und Grüne.

Auch im Kulturkampf mischt Strack-Zimmermann nicht mit. Ausfälle gegen Gendern, "woke" Ideologie, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder eine angeblich eingeschränkte Meinungsfreiheit sind von ihr nicht überliefert. Teile der FDP wollen aber auch in diese Schlacht ziehen – vor allem auf dem wirtschaftsliberalen und libertären Flügel.

Wolfgang Kubicki: Bekannt, aber mit Schlagseite nach rechts

Diese Sehnsucht bedient Wolfgang Kubicki. Er, der Partei-Haudegen, hat in der Wahlnacht zwar gesagt, dass seine Karriere vorbei sei. Am nächsten Morgen hatte er es sich aber schon wieder anders überlegt. Auf X schrieb Kubicki, dass er "von so vielen Menschen aus der Partei und von Unterstützern" gebeten wurde, die Führung zu übernehmen und jetzt "ernsthaft darüber nachdenke, im Mai zu kandidieren, um die Partei zusammenzuhalten und neu zu motivieren".

Was für Kubicki spricht: Er ist erfahren, rhetorisch versiert und neben Christian Lindner vermutlich das prominenteste Gesicht der FDP. In der außerparlamentarischen Opposition, wo Aufmerksamkeit hart erkämpft werden muss, ist das sicher ein Vorteil. Allerdings steht Kubicki mit fast 73 Jahren nicht für einen Neuanfang. Und: Er spricht vor allem die Hardcore-Liberalen an. Typus: westdeutsch, männlich, eher älter. Wirtschaftspolitisch libertär, gesellschaftspolitisch konservativ.

Kubicki ist ein Grünen-Fresser, das kommt beim Stammpublikum der FDP gut an, es ist aber keine Antwort darauf, was Liberalismus im 21. Jahrhundert sein soll. Der eher progressive Teil der Partei dürfte mit ihm an der Spitze fremdeln.

Fraktionschef Christian Dürr: Einer, der Brücken bauen kann

Die Stärke von Christian Lindner war es, die beiden Flügel der Partei immer wieder auszugleichen, hinter sich zu versammeln. So navigierte er die FDP relativ geräuschlos durch seine langjährige Amtszeit. Sowohl Marie-Agnes Strack-Zimmermann als auch Wolfgang Kubicki polarisieren. Das spricht gegen sie – und für eine Konsenslösung.

Die könnte Christian Dürr sein. Der Niedersachse ist 47 Jahre alt, damit im besten Politiker-Alter. Als Fraktionschef im Bundestag hat er gezeigt, dass er Brücken in der FDP bauen kann – auch wenn Dürr eher dem konservativen Lager zugeordnet wird. Anders als Kubicki ist er aber kein Lautsprecher, die plumpe Attacke überlässt er anderen.

Auch Ampel-Politiker haben immer wieder gut über die Zusammenarbeit mit Dürr berichtet. Und: Als CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag sein "Zustrombegrenzungsgesetz" durchdrücken wollte, war es Dürr, der versuchte, einen Konsens unter den Fraktionen der Mitte auszuloten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Seine eigene Fraktion hatte Dürr nicht hinter sich versammelt, rund ein Viertel der FDP-Abgeordneten wollte kein Gesetz mit Hilfe der AfD durch den Bundestag bringen, die Abstimmung scheiterte.

Letzter Ausweg: Doppelspitze?

Noch hat sich Dürr sich nicht zu seinen Ambitionen geäußert. Sollte er aber den Parteivorsitz anstreben, hätte er ein Problem: In Niedersachsen ist die FDP aus dem Landtag geflogen, Dürr hätte kein Machtbasis, aus der Berliner Parteizentrale müsste er alleine wirken. Erschwerend kommt hinzu: Der FDP-Vorsitz ist ein Ehrenamt. Die einzige mit einem Mandat abgesicherte Bewerberin wäre also Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die im EU-Parlament sitzt.

Allerdings lässt sich eine Parteisatzung auch ändern. Die FDP könnte ihren Parteichef bezahlen – und etwas Revolutionäres wagen, eine Doppelspitze, die bislang auch nicht vorgesehen ist. Mann und Frau, progressiv und konservativ. Das könnte die Partei in der Breite mitnehmen. Denn eines ist den meisten Liberalen auch klar: Für Flügelkämpfe oder gar eine Spaltung ist die Situation zu ernst.

Verwendete Quellen