Selbst die krisenerprobte Kanzlerin stand selten so unter Druck wie in diesen Tagen. Trotz massiver Kritik hält Angela Merkel aber an ihrem Kurs fest. Der Grund ist einfach: Sie hat kaum eine andere Wahl.

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Angela Merkel galt nie als eisern, im Gegenteil. Nach ihrem Umschwenken beim Atomausstieg oder bei der Wehrpflicht wurde sie als Kanzlerin gesehen, die sich Mehrheitsmeinungen und Stimmungen anpasst.

Kritik und Skandale prallten an ihr ab. US-Diplomaten verpassten ihr deswegen den Spitznamen "Teflon". Mit ihrer Flüchtlingspolitik zeigt sie ein anderes Gesicht.

Die Bundeskanzlerin beharrt auf eine gemeinsame, europäische Lösung. "Einzelne Lösungen, jeder Staat für sich, werden uns da nicht weiterhelfen, sondern wir brauchen einen gesamteuropäischen Ansatz", forderte sie am Freitag nach den deutsch-türkischen Regierungskonsultationen in Berlin.

Und vor allem will Merkel keine Obergrenzen setzen und die offenen Grenzen erhalten.

Obwohl sie von Teilen der Bevölkerung dafür angefeindet wird und auch aus den eigenen Reihen enorme Kritik einstecken muss. Man kann sie dafür stur nennen oder auch – wie der SZ-Journalist Heribert Prantl - souverän.

Doch Merkels Bitte um Geduld passt vor allem jenen nicht, die seit Jahrzehnten auf Bierzelt-Rhetorik setzen: Den Politikern der CSU.

Die CSU pocht auf die Einführung einer Obergrenze


Die Schwesterpartei der CDU drängt seit Monaten auf eine Obergrenze für Asylbewerber. "Wir werden diese Begrenzung weiter massiv einfordern – politisch und möglicherweise auch rechtlich", kündigte CSU-Chef Horst Seehofer an.

Im Nachbarland Österreich wurde die Obergrenze gerade eingeführt. Ob diese aber juristisch überhaupt zulässig ist, bleibt umstritten.

Doch noch größere Zweifel gibt es daran, wie eine Obergrenze in der Praxis eingehalten werden soll. Denn eine Zahl auf ein Blatt Papier zu schreiben, wird keinen Flüchtling davon abhalten, nach Europa zu kommen.

Aber was passiert dann mit den ankommenden Menschen? Auch die Länder auf der Balkanroute werden nicht alle Flüchtlinge aufnehmen wollen und können, die Österreich oder vielleicht bald Deutschland zurückweisen.

Zudem werden dafür nationale Grenzkontrollen nötig sein. Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Bayern, Rainer Nachtigall, sieht mit dieser Aufgabe die Belastungsgrenze für die Polizei überschritten. Das äußert er im Bayerischen Rundfunk.


Zudem wären damit das Schengen-Abkommen und das Reisen ohne Pass innerhalb der EU faktisch ausgesetzt. Das könnte jedoch zu massiven Folgen für die europäische Binnenwirtschaft führen.

Wirtschaftsvertreter warnen vor Umsatzeinbrüchen und Arbeitsplatzverlusten – gerade auch für die Exportnation Deutschland. Viele Firmen produzieren nach dem Prinzip des "Just-In-Time" und lassen sich benötigte Rohstoffe und Bauteile punktgenau anliefern.

Dafür brauchen sie keine Lagerhallen. Bei aufwändigen Grenzkontrollen bricht dieses System jedoch zusammen. Angela Merkel will dies vermeiden.

Ebenso will sie Szenen wie im vergangenen Sommer am Budapester Bahnhof verhindern. Doch auch die krisenerprobte Kanzlerin weiß, dass es nicht lange so weitergehen kann. Für ihren Kurs verliert sie in der Bevölkerung an Rückhalt.

In der Union befürchten Politiker deutliche Niederlagen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt im März. Die AfD gewinnt zudem bei Umfragen an Zustimmung.


Europa: Angst statt Solidarität


Merkel will die Europäische Union mit in die Verantwortung nehmen und tritt weiterhin für eine Quotenregelung ein. Doch die meisten EU-Partner haben zu viel Angst vor den Populisten im eigenen Land, um sich noch um Solidarität zu kümmern.

Schon im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres haben sie sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen gesperrt.

Merkels "Wir schaffen das"-Ansage im September 2015 nehmen sie seitdem als willkommenen Vorwand, um die Flüchtlingssituation als "deutsches Problem" zu werten.

Daher bleibt der Kanzlerin wohl nur eine einzige andere Möglichkeit: Sie muss verhindern, dass Flüchtlinge überhaupt nach Europa kommen – zumindest in so großer Zahl. Die Schlüsselrolle spielt hierbei die Türkei.

Am Freitag trafen sich die deutsche und die türkische Regierung in Berlin. Und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu lobte die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin: "Diese menschliche Haltung und Führungskraft Frau Merkels muss gewürdigt werden."

Zudem versprach Davutoglu: "Weder Frau Merkel noch Deutschland ist in diesem Zusammenhang allein. In dieser kritischen Phase gehen wir Hand in Hand mit Deutschland." Dabei hat Ankara derzeit eigentlich genug mit eigenen Problemen zu kämpfen.

Im Südosten des Landes kommt es täglich zu Gewalt. Die Türkei wird daher bei allem Lob entsprechende Gegenleistungen fordern, um Menschen von der Wanderung nach Europa abzuhalten.

Es braucht Geld, glaubt auch Merkels Finanzminister Wolfgang Schäuble. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos spricht er von finanziellen Hilfen für die Herkunftsregionen der Flüchtlinge.

Auch Flüchtlingscamps wie im Libanon sollen besser versorgt werden, um den Menschen größeren Anreiz zum Bleiben zu geben. Doch gerade dort ist versprochenes Geld bisher oft nicht angekommen.


Schwenkt Merkel doch noch um?


Wie die Bilanz der bisherigen Einwanderung von Flüchtlingen in Deutschland einmal ausfallen wird, entscheidet sich erst in einigen Jahren.

Dann wird Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin sein. Wie lange ihre Amtszeit noch andauern wird, stellen derzeit aber sogar manche ihrer Unionskollegen zur Debatte.

Rechtlich, politisch und wirtschaftlich hat Merkel kaum eine andere Wahl, als ihren bisherigen Kurs fortzusetzen.

Gelingt es ihr aber nicht in absehbarer Zeit, die Zahl der ankommenden Asylsuchenden in Deutschland zu reduzieren, wird auch sie umschwenken müssen. Offen ist, ob die Wähler ihr das verzeihen werden.

Auf lange Sicht wird nur ein Ende des Krieges in Syrien, eine Befriedung der weiteren Konfliktregionen und eine Perspektive für die Menschen in Nordafrika die Migration nach Europa verringern.

Das schafft aber weder Angela Merkel noch Deutschland allein – noch nicht einmal eine geschlossen handelnde Europäische Union.

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