Dient eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Deutschlands der Integration? Die Bundesregierung glaubt offenbar ja und prüft eine Wohnsitzauflage für anerkannte Asylbewerber. Dabei gibt es große regionale Unterschiede.

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Im Jahr 2015 sind mehr als eine Million Menschen nach Deutschland gekommen. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge haben rund 392.000 Personen einen Asylantrag in Deutschland gestellt.

Den Höhepunkt erreichte der Flüchtlingszuzug im November mit knapp 58.000 Anträgen. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) sagte der ARD dazu, die Zahl der nach Deutschland geflohenen Menschen sei "immer noch hoch".

Zeit für einen Strategiewechsel

Im Dezember seien es aber "rund 60 Prozent weniger gewesen als im November". Trotzdem scheint nun der Punkt erreicht, an dem die Bundesregierung einen Strategiewechsel in der Flüchtlingspolitik anstrebt.

So schicken nach Angaben der österreichischen Polizei deutsche Behörden vermehrt Geflüchtete nach Österreich zurück, obwohl diese nach Skandinavien weiterziehen wollen.

"Die Zahl ist von täglich 60 im Dezember auf täglich 200 seit Jahresbeginn gestiegen", sagte David Furtner, Polizeisprecher von Oberösterreich, der Nachrichtenagentur AFP.

Droht Deutschland die Ghettoisierung?

Hinzu kommt, dass Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) künftig einen Zuzug von Geflüchteten in Ballungszentren unterbinden will.

Bislang betrifft die sogenannten Residenzpflicht in Deutschland nur Asylbewerber und Geduldete. Sie dürfen sich nicht ohne Behördengenehmigung außerhalb ihres Wohnortes aufhalten.

Die Regelung gilt bislang allerdings nur für drei Monate. Gabriel hat vor dem Hintergrund der Vorfälle in Köln in einem Interview mit der ARD erklärt, eine vergleichbare Auflage bald auch anerkannten Flüchtlingen zumuten zu wollen.

Im Interview begründete der SPD-Chef seine Haltung damit, dass sonst "alle in die Großstädte" ziehen würden. "Da massiert sich das Problem und wir kriegen richtige Ghettoprobleme", formulierte es Gabriel.

Kanzleramtsminister Altmaier unterstützt die Position und sagte der ARD, er sehe eine "große Chance, eine solche Wohnsitzauflage in den nächsten Wochen gemeinsam zu vereinbaren".

Doch was die Koalition für ein gelungenes Integrationskonzept hält, könnte sich als Fehleinschätzung entpuppen.

Mehr Ressentiments in der Landbevölkerung

Die räumliche Trennung von Arm und Reich, Schwarz und Weiß hat etwa in den USA oder auch in Frankreich im Hinblick auf die Zahl der Opfer von Polizeigewalt, die Benachteiligungen in Ausbildung, Beruf und bei der Wohnungswahl zu keiner Verbesserung geführt.

Im Gegenteil: Das gesellschaftliche Klima ist immer noch angespannt. Auch wenn die Diskriminierung im Alltag nicht mehr so offen zutage tritt.

Segregation als Schritt hin zu einer funktionierenden Wertegemeinschaft erscheint mit Blick auf die Problemgebiete also nicht nur in den Pariser Vorstädten als falscher Ansatz einer nachhaltigen Stadtplanungspolitik.

Dass die Politik nun eine Lösung in ländlicheren Gegenden sieht, hält Cornelia Koppetsch, Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt, jedoch für gefährlich.

Auf dem Land seien die Anfeindungen von Seiten einer meist schrumpfenden Ursprungsbevölkerung oft besonders groß. "Deshalb gestaltet sich die Integration eher schwieriger", sagt Koppetsch.

"Ländliche Bevölkerungen sind sozial viel geschlossener im Hinblick auf Fremde allgemein".

Gerade im Osten, wo vergleichsweise wenig Migranten angesiedelt sind, seien Dorfgemeinschaften tendenziell ressentimentgeladener.

Der Grund: "Die Zurückgebliebenen fühlen sich oftmals vernachlässigt", erklärt Koppetsch.

Musterbeispiel Süddeutschland?

Dabei ergebe sich theoretisch genau dort durch die Ansiedlung von Neuankömmlingen ein neues Gemeinschaftspotential.

"Man könnte so die Lücken schließen, die die Weggezogenen hinterlassen haben". Aber dagegen wehrten sich die Eingesessenen meistens, weil sie nicht auf eine Stufe mit den Geflüchteten gestellt werden wollten, glaubt Koppetsch.

Gleichzeitig warnt die 48-Jährige vor einem möglichen Verdrängungswettbewerb zwischen den neuen Bewohnern und der arbeitslosen, deutschstämmigen Bevölkerung zugunsten der Neueinwanderer, weil diese wahrscheinlich eher bereit seien, für weniger Lohn zu arbeiten.

Dabei zeigt sich allerdings, dass es regionale Unterschiede gibt. Im süddeutschen Raum ist die Mehrheit der Migranten nicht nur vielfach in dauerhaften Beschäftigungsverhältnissen untergebracht. Ebenso ausgeprägt scheint ihr Wunsch, hier Wurzeln zu schlagen und dazuzugehören.

Zumindest legt dies eine Studie des Verbands der Privaten Bausparkassen nahe. "Schaffe, schaffe, Häusle baue", so Andreas Zehnder, der Vorstandsvorsitzende des Verbandes, zur Veröffentlichung der Ergebnisse 2014 – das gelte offenbar "für Deutsche türkischer Abstammung genauso wie für Deutsche schwäbischer Abstammung".

Integrationsfähig heißt nicht auch intergrationswillig

Die Zusammenführung beider Gruppen verantwortungsbewusst zu organisieren, um keinen Keil zwischen Hiesigen und Zugezogenen zu treiben, erfordert vor allem Offenheit.

Was ist wirklich das Ziel einer planmäßigen Verortung von Flüchtlingen? Die finanzielle Entlastung der Gemeinden und Kommunen hat mithilfe des Bundes geklappt, auch wenn viele Orte ihre Kapazitätsgrenzen erreicht haben.

Bleibt neben der Fähigkeit also noch die Frage nach dem Willen zur Integration. Solange es darauf noch keine eindeutige Antwort gibt, fällt es auch der Hochschulprofessorin schwer, Gabriels Vorstoß nachzuvollziehen.

Sie gibt zu bedenken: "Städte sind bevölkerungstechnisch durchmischter und per se toleranter – auch gegenüber Migranten. Und dort, wo Flüchtlinge eher toleriert werden, haben sie bessere Chancen auf Integration. Besser zumindest, als wenn sie gezwungen werden, irgendwo zu bleiben, wo sie nicht sein möchten."

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