Seit Wochen, Monaten, Jahren kreist der Brexit-Streit um den sogenannten Backstop für die irische Grenze. Nun soll London angeblich eine Alternative präsentieren.

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Die irische Grenzfrage ist beim geplanten britischen EU-Austritt der größte Stolperstein. Seit mehr als drei Jahren brüten London und Brüssel über das Dilemma, ohne sich einig zu werden. Diese Woche versuchen sie es erneut - unter massivem Zeitdruck vor dem EU-Gipfel nächste Woche und dem angekündigten Brexit-Termin am 31. Oktober.

Doch bereits am Dienstag kam ein herber Rückschlag. Der britische Nachrichtensender Sky News berichtete unter Berufung auf Regierungskreise, London halte ein Abkommen unter Umständen nicht mehr für möglich. Begründet wurde diese Einschätzung mit einem Telefonat zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Premierminister Boris Johnson.

Merkel habe die neuen Vorschläge Johnsons rundheraus abgelehnt und einen Deal als "äußerst unwahrscheinlich" bezeichnet, so die inoffizielle Mitteilung. EU-Ratspräsident Donald Tusk sah darin ein "blame game", also ein Schwarzer-Peter-Spiel, und warf Johnson via Twitter vor, gar keinen Deal zu wollen.

Welche Anreize hat Johnson, die Gespräche scheitern zu lassen?

Der britische Regierungschef hat keine Mehrheit im Parlament und will deshalb so schnell wie möglich eine Neuwahl. Das verwehrt ihm die Opposition bislang jedoch. Trotzdem ist die Regierung längst im Wahlkampfmodus. Johnson kann eine Wahl nur gewinnen, wenn es ihm gelingt, den größten Teil der Brexit-Befürworter auf seine Seite zu ziehen.

Er hat daher einen Austritt am 31. Oktober, mit oder ohne Deal, zu seinem zentralen Wahlversprechen gemacht. Nach außen begründete Johnson die Drohung eines ungeregelten EU-Austritts stets mit der Notwendigkeit, Druck auf Brüssel auszuüben. Ein Angsthasenspiel also: Wer zuerst zuckt, hat verloren.

Doch derzeit sieht es nicht so aus, als könnte er Wort halten. Wollte Johnson ein Abkommen, müsste er der EU Zugeständnisse machen und würde seine Glaubwürdigkeit bei den Brexit-Hardlinern verspielen. Auch ein No-Deal-Brexit ist angesichts des Widerstands im Parlament derzeit wohl nicht zu machen. Beobachter glauben daher, es gehe Johnson nur noch darum, die Schuld für eine Verlängerung anderen in die Schuhe zu schieben.

Wo liegt das Problem bei den Gesprächen?

Mit dem Brexit entsteht auf der irischen Insel eine rund 500 Kilometer lange EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998, mit dem der blutige Bürgerkrieg in der Region beendet wurde, ist die Trennlinie quasi unsichtbar. Die Insel soll nun nicht wieder durch Schlagbäume geteilt werden, sonst wäre der Frieden in Gefahr, so die Befürchtung.

Doch sieht die EU ein ernstes Problem für ihren Binnenmarkt: Nach dem Brexit könnten in Nordirland bald andere Produktstandards, Zölle und Steuern gelten. Die EU fürchtet an der irischen Grenze eine offene "Hintertür" für billige, minderwertige oder unerwünschte Ware, die EU-Herstellern Konkurrenz machen würde. Ein Beispiel wären US-Chlorhühnchen, sollte sie Großbritannien nach dem Brexit zulassen.

Was sagt der Backstop?

Um eine feste Grenze zu vermeiden und den EU-Binnenmarkt dennoch zu schützen, wurde im Austrittsvertrag 2018 eine Stufenlösung vereinbart. Man will das Problem mit einem Abkommen über die künftigen Beziehungen lösen. Bis das steht, gilt aber zunächst eine Notklausel - der sogenannte Backstop. Demnach bleibt ganz Großbritannien in einem Zollgebiet mit der EU. Für Nordirland sollen zudem EU-Binnenmarktregeln gelten.

Warum ist das für Großbritannien ein Problem?

Als Teil einer Zollunion könnte Großbritannien nach dem EU-Austritt bis auf weiteres keine eigenen Handelsabkommen schließen. Darüber hinaus hatte die frühere britische Regierung zugesagt, EU-Standards nicht zu unterbieten.

Johnson sieht indes eine freie Hand beim Handel und bei Standards als wichtige Vorteile des Brexits. Der Backstop ist für ihn eine dauerhafte Fessel, die er unbedingt loswerden will. Er argumentiert: Das Abkommen mit Backstop ist im britischen Parlament chancenlos, immerhin stimmten die Abgeordneten schon drei Mal dagegen.

Was will Johnson stattdessen?

Der britische Premier schlug vorige Woche eine Ersatzlösung vor. Demnach sollen in Nordirland vorerst weiter EU-Lebensmittel- und Produktstandards gelten. Damit wäre die EU-Sorge um den Binnenmarkt deutlich entschärft. Doch will Johnson, dass Großbritannien einschließlich Nordirlands die EU-Zollunion verlässt.

Damit entstünde eine Zollgrenze, und aus EU-Sicht bedeutet das zwangsläufig Kontrollen. Johnson betont aber, diese könnten entfernt von der Grenze dezentral stattfinden. Zu verzollende Waren könnten dabei per Ortungssystemen auf der irischen Insel verfolgt werden.

Warum will die EU das nicht?

Die EU hat zwei ernste Einwände. Die mit neuer Technik unterstützten und so fast unsichtbaren Kontrollen hält sie nicht für machbar. Darüber hinaus stößt sich die EU an einer Veto-Klausel in Johnsons Paket: Die nordirische Volksvertretung soll einmal zu Beginn und dann alle vier Jahre entscheiden dürfen, ob es bei der Ausrichtung an EU-Standards dort bleiben soll.

Doch das komplizierte System der Entscheidungsfindung im nordirischen Parlament würde faktisch zu einem Vetorecht für die protestantische DUP führen, deren Ziel eine möglichst enge Anbindung Nordirlands an Großbritannien ist. Die EU stünde womöglich von heute auf morgen genauso dumm da, wie bei einem Brexit ohne Vertrag. (awa/dpa)

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