Mit der Maßnahme, die Mehrwertsteuer für ein halbes Jahr um drei Prozent zu senken, hat die große Koalition für eine Überraschung im Konjunkturpaket gesorgt. Während Wirtschaftsexperten überwiegend positiv darauf reagiert haben, regt sich in der Opposition Widerstand. Vom "Porsche-Rabatt" ist sogar die Rede.
Die Idee war eine echte Überraschung: Zur Ankurbelung der Konjunktur in der Coronakrise hat die Bundesregierung vergangene Woche eine Steuererleichterung erdacht, die allen Bürgern zugutekommen soll: Konkret soll der Mehrwertsteuersatz vom 1. Juli bis zum 31. Dezember von 19 auf 16 Prozent sinken. Der ermäßigte Satz, der für viele Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs gilt, sinkt von 7 auf 5 Prozent.
Das rege den Konsum an und sei sozial gerecht ausgestaltet, weil die Mehrwertsteuer von allen gezahlt werde, argumentierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vergangene Woche.
Das Paket mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro soll die Folgen der Corona-Pandemie abfedern und zudem einen zukunftsgerechten Umbau der Wirtschaft vorantreiben.
Mit dieser Maßnahme hatten nur wenige gerechnet. Neben Lob gab es auch von mehreren Seiten Kritik. Zu schnell, zu gering, zu bürokratisch, zu kurz und zu wenig zielgerichtet lauten die Vorwürfe, die vor allem aus der Opposition formuliert werden. Wir beleuchten die einzelnen Kritikpunkte.
Warum muss die Maßnahme so schnell eingeführt werden?
Um die Maßnahme zur zweiten Jahreshälfte tatsächlich einzuführen, mussten Kabinett, Bundestag und Bundesrat nun rasch handeln. Schon am Freitagvormittag (12. Juni) bei einer Sondersitzung in Berlin wurden Teile des von der Großen Koalition vereinbarten Konjunkturpakets auf den Weg gebracht.
Bundesfinanzminister
Bringt die Senkung der Mehrwertsteuer einen zu hohen bürokratischen Aufwand mit sich?
Die geplante temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer stellt den Einzelhandel vor große Herausforderungen. "Wir haben es mit einem vergleichsweise hohen Aufwand zu tun. Das würde einen hohen zweistelligen Millionenbetrag kosten", sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, Stefan Genth, der Deutschen Presse-Agentur. Kassensysteme müssten umgestellt werden, Preisschilder ersetzt und Werbung neu gestaltet werden.
Rechtlich sei jedoch auch ein "Rechnungsrabatt" möglich: Dabei würden die Preise der einzelnen Artikel - in einem durchschnittlichen Supermarkt sind das rund 15.000, in großflächigen sogar 40.000 - wie bisher am Regal ausgeschildert und die Vergünstigung erst an der Kasse berechnet. "Man kann den Gesamtpreis an der Kasse entsprechend reduzieren. Das ist juristisch und verbraucherrechtlich möglich", sagte Genth. Allerdings müsse sich zeigen, ob es bei den Kunden dafür Akzeptanz geben oder ob eine mangelnde Preistransparenz bemängelt werde.
In sechs Monaten müssen die Händler erneut alle Preise neu berechnen und auszeichnen. Hinzu kommt Genth zufolge, dass eine Wiedererhöhung der Preise schwerer an die Kunden vermittelbar sei. "Es wäre fatal, wenn am 1. Januar drei Prozent aufgeschlagen werden müssen und der Handel auf einem Teil der Kosten sitzen bleibt."
"Das kommt sehr kurzfristig, es sind nur noch gut drei Wochen, um sich umzustellen", sagte die Steuerberaterin und Umsatz-Steuerexpertin der Beratung Bakertilly, Marion Fetzer, der dpa. "Das ist sowohl für große Unternehmen als auch für kleinere Händler eine Herausforderung."
Auch für die Buchhaltung in größeren Unternehmen und all jene Händler, die Kassensysteme im Einsatz haben, bringt die temporäre Senkung Umstellungen mit sich. Beim Softwarekonzern SAP, dessen Dienste viele Unternehmen dafür nutzen, bleibt man dennoch entspannt. "Die Mehrwertsteuersätze zu ändern, ist ein einfacher, schlanker Prozess", sagte ein Sprecher. Die Kunden müssten lediglich in dem betreffenden Kästchen die Zahlen anpassen. "Große Konzerne, die weltweit in über 100 Ländern aktiv sind, machen das ständig - die Logik der Mehrwertsteuer ist zwar in jedem Land dieselbe, aber die Parameter ändern sich immer mal wieder."
Reicht eine Senkung um drei Prozent aus?
Kritik an einer zu geringen Absenkung wies Finanzminister Scholz zurück. In diesem Punkt sei er "anderer Meinung". Die Mehrwertsteuer-Maßnahme sei auch nur ein Ansatz im Konzept der Regierung.
Dazu komme unter anderem noch der Kinderbonus für Familien von 300 Euro pro Kind, der "eine erhebliche finanzielle Stärkung" darstelle und "etliche Milliarden" koste. Zu nennen sei ferner noch das verlängerte Kurzarbeitergeld aus dem ersten von der Bundesregierung beschlossenen Stabilisierungspaket und finanzielle Hilfen für Kommunen.
Die FDP warf der Großen Koalition vor, dass ihre Maßnahmen zur steuerlichen Entlastung nur ein Tropfen auf den heißen Stein seien. FDP-Fraktionsvize Christian Dürr sagte der dpa: "Von der Mehrwertsteuersenkung werden die Menschen kaum etwas spüren." Er rechnete vor: "Eine Familie, die im Monat rund 350 Euro fürs Auto oder öffentliche Verkehrsmittel ausgibt, hätte dadurch maximal acht Euro mehr im Portemonnaie – und das auch nur bis Dezember."
Und selbst wenn man annehmen würde, dass der reduzierte Steuersatz vollständig an die Verbraucher weitergegeben werde, würde ein durchschnittlicher Haushalt insgesamt höchstens 30 Euro pro Monat sparen, argumentierte Dürr und fügte hinzu: "Ab Januar müssen sich die Menschen dann neben der Erhöhung der Kfz-Steuer auch wieder auf den vollen Mehrwertsteuersatz einstellen. Das ist absurd und wird unsere Wirtschaft nicht voranbringen."
Profitieren von der Senkung überhaupt die, welche die Regierung erreichen will?
Noch kurz vor dem geplanten Kabinettsbeschluss zur vorübergehenden Senkung der Mehrwertsteuer meldete die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Bedenken an. Bei Tabak und Alkohol sei eine Preissenkung das falsche Signal, sagte Daniela Ludwig (CSU) den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Freitag. Dies konterkariere alle Bemühungen der deutschen Drogenpolitik, den Tabak- und Alkoholkonsum zu senken.
Ludwig sagte dazu, ihr sei bewusst, "dass es sich bei dieser Entscheidung um ein Gesamtpaket handelt, das schnell und umfassend greifen soll". Dennoch halte sie die Steuersenkung für Tabak- und Alkoholprodukte für schwierig. Sie habe daher die Fraktionsführungen von Union und SPD in einem Brief gebeten, die Senkung noch einmal kritisch zu überprüfen.
Die Linksfraktion kritisierte die geplante Mehrwertsteuersenkung insgesamt. Der Vorsitzende
Von der Mehrwertsteuersenkung würden deshalb vor allem diejenigen profitieren, die eigentlich keine weiteren Steuerentlastungen benötigen, wie zum Beispiel die Käufer großer Luxus-Autos, argumentierte Bartsch. "Die Koalition hat hier eine Kaufprämie durch die Hintertür auf den Weg gebracht - einen Porsche-Rabatt."
Bartsch forderte stattdessen einen größeren Umbau des Steuersystems. Nötig seien höhere Steuern für Millionäre und Milliardäre und eine dauerhafte Absenkung der Belastung für kleine und mittlere Einkommen und Unternehmen.
Ist die halbjährige Befristung richtig?
Darüber herrscht auch innerhalb der GroKo Dissens. CSU-Chef Markus Söder und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hatten eine Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung ins nächste Jahr hinein nicht ausgeschlossen - anders als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD).
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sagte im "Focus": "Ich möchte gerade durch die zeitliche Begrenzung die Anreizwirkung verstärken. Die Leute sollen jetzt leichter über Anschaffungen nachdenken können, die Wirtschaft soll jetzt anspringen. Wenn wir das Zeitlimit weglassen, konterkariert das einen Teil der erwünschten Wirkung."
Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) betonte im "Morning Briefing" des Journalisten Gabor Steingart, dass die Senkung bewusst befristet sei. Dass sie wegen der anstehenden Bundestagswahl sowie Landtagswahlen in zahlreichen Bundesländern im kommenden Jahr verlängert werde, glaube er nicht. "Die Partei oder der Politiker, der als erster glaubt, er könne in den Wahlkampfmodus gehen, er könne aus parteitaktischen Gründen notwendige Entscheidungen unterlassen, der hat die Rechnung ohne die Wähler gemacht", sagte Altmaier. Die Wähler beobachteten klug, wie jeder mit seiner Verantwortung umgehe.
Mit Material von dpa und afp.
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