Nach den Streitigkeiten um Sahra Wagenknecht und niedrigen Umfragewerten war der Wahlerfolg der Linken in Bremen eine Labsal für die Partei. Der Co-Vorsitzende Martin Schirdewan ist fest entschlossen, seine "Partei wieder auf die Erfolgsspur zurückzuführen", wie er im Gespräch mit unserer Redaktion sagt. Er erklärt, warum er die Ungleichheit in Deutschland für "so groß wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten" hält und wie er über das Heizungsgesetz und Waffenlieferungen denkt.

Ein Interview

Herr Schirdewan, die Linke streitet über Sahra Wagenknecht und liegt in bundesweiten Umfragen teilweise unter fünf Prozent. Zerlegt sich Ihre Partei gerade selbst?

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Martin Schirdewan: Bei der Wahl in Bremen haben wir gerade mit knapp elf Prozent ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Auch in Berlin haben wir bei der Wiederholungswahl ein stabiles Ergebnis eingefahren. Wir haben in den vergangenen Monaten verschiedene Oberbürgermeisterwahlen gewonnen, auch in Rostock als größte Stadt in Mecklenburg-Vorpommern. Wir können mit unserem Angebot bei Wahlen erfolgreich sein. Natürlich ist die Linke in der letzten Zeit durch eine schwierige Phase gegangen. Aber wir als Parteivorstand sind fest entschlossen, die Partei wieder auf die Erfolgsspur zurückzuführen.

Spaltet Sahra Wagenknecht nicht gerade die Partei?

Ihre Ankündigung, eine eigene Partei gründen zu wollen, hat uns als Linke geschadet. Die Angriffe auf ihre eigene Partei sind inakzeptabel. Es ist die Partei Die Linke, die mit ihren demokratisch beschlossenen Positionen und der Arbeit zehntausender Mitglieder unsere Abgeordneten in die Parlamente gebracht hat. Da kann man schon erwarten, dass diese Abgeordneten die Partei und Beschlüsse auch respektieren. Mit unserem Projekt, eine sozial gerechte Gesellschaft zu formen, wollen wir auch in diesen Zeiten des Umbruchs ein verlässlicher Partner für die Bevölkerung sein. Die gesellschaftliche Situation erfordert eine starke und einige Linke. Für internes Hickhack darf da kein Platz sein.

Dann wäre doch ein Rauswurf von Wagenknecht nur folgerichtig.

Ich halte nichts von Ausschlussverfahren. Ich sehe meine Aufgabe darin, die Partei zusammenzuhalten. Wir müssen Klarheit in inhaltlichen Positionen schaffen, dafür gibt es demokratische Verfahren und Parteitage. Die Klärungsprozesse laufen, und alle sind gut beraten, sich daran zu halten.

Martin Schirdewan: "Das ganze Gequatsche um eine Parteineugründung soll endlich aufhören"

Gregor Gysi und weitere Linke-Parteigrößen haben den Appell "Es reicht!" veröffentlicht. Darin wurde vor einer "existenziellen Krise mit selbstzerstörerischen Elementen" in der Partei gewarnt. Warum haben Sie nicht unterschrieben?

Als Parteivorsitzender ist mein Job nicht, mich an Appellen zu beteiligen, die an die Partei gerichtet sind, sondern die Partei zu stabilisieren und wieder zu stärken. Aber Kern des Appells ist, dass das ganze Gequatsche um eine Parteineugründung endlich aufhören soll. Das teile ich. Ich arbeite dafür, dass wir 2025 wieder gestärkt in den Bundestag einziehen. Davor sind die Europawahlen im nächsten Jahr ein wichtiges Etappenziel. Unser Thema ist soziale Gerechtigkeit. Das bedeutet Steuergerechtigkeit, Umverteilung von Reich zu Arm, die Bekämpfung von Armut im Alter, bei Kindern, ein Ende der Mietpreisexplosion. Wir wollen die Arbeit umverteilen, mit der Einführung einer Vier-Tage-Woche. Die Ampel-Regierung braucht eine starke linke Opposition, damit der soziale Fortschritt nicht unter die Räder kommt.

Apropos Stärke: Hat sich Ihre Partei nicht in jüngster Zeit selbst geschwächt? Nicht nur prominente Mitglieder wie der Finanzexperte Fabio de Masi oder der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, sind ausgetreten. Nach ihrer umstrittenen Bundestagsrede, in der Wagenknecht im Oktober von einem "Wirtschaftskrieg" vom Westen gegen Russland gesprochen hatte, gab es innerhalb eines Monats über 800 Parteiaustritte.

Jeder einzelne Austritt ist schmerzhaft. Das ist aber Vergangenheit. Es gibt keine Austritte mehr in nennenswerten Größenordnungen. Und unsere aktuelle Umverteilungskampagne läuft gut an. Die Ungleichheit in Deutschland ist so groß wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Große Energie - und Nahrungsmittelkonzerne verdienen sich dumm und dämlich in diesen Krisenzeiten, während viele Leute ihre Rechnungen am Ende des Monats nicht bezahlen können.

Sie haben vor Kurzem ein Verbot von Privatjets gefordert. Wie sieht es mit einem Verbot von Luxusvillen oder Luxusautos aus, die auch alle nicht gut für die Umwelt und nur wenigen reichen Leuten vorbehalten sind?

Wir fordern eine Umverteilung des Reichtums. Wir wollen Freibäder für alle statt Privatpools für Wenige. Gute und bezahlbare Wohnungen für alle statt Luxusvillen. Guten, kostenfreien Nahverkehr statt Luxusautos. Das wollen wir aber mit Steuern und öffentlichen Investitionen erreichen, nicht mit Verboten. Privatjets sind einfach eine besonders überflüssige und rücksichtslose Sauerei, da ist auch mal ein Verbot gerechtfertigt.

"Superreiche sind ein Schlüsselproblem"

Laut der Entwicklungsorganisation Oxfam verursacht ein Milliardär so viel Treibhausgase wie eine Million Menschen. Sind Superreiche das größte Problem für das Klima?

Superreiche sind ein Schlüsselproblem. Sie verursachen ja nicht nur viel Treibhausgas, sie verdienen am Ende des Tages auch ihren Reichtum mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Und sie haben viel Einfluss, um sich ihre Geschäftsmodelle zu Lasten der Allgemeinheit zu erhalten. Wenn wir die Zukunft für die Mehrheit gewinnen wollen, müssen wir uns mit den Superreichen anlegen.

Sie sprachen eingangs über das Wahlergebnis der Bremer Linken. Wie erklären Sie sich den Erfolg?

Der Landesverband hat dort eine hervorragende Politik in schwierigen Zeiten gemacht. Die beiden Linken-Senatorinnen, Claudia Bernhard und Kristina Vogt, haben in der Corona-Pandemie und in der Energiekrise immer die sozialen Belange der Bevölkerung im Auge gehabt. Von schnellen Impfkampagnen bis Härtefall-Fonds – eine kluge und pragmatische Politik, die gleichzeitig auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt gestärkt hat.

Können sich die Bundes-Linken davon eine Scheibe abschneiden?

Wir sind da ja sehr nah beieinander. Die Bremer Linken haben mit einer guten Kommunikation ihre Schwerpunkte richtig gesetzt. Können sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ihre Miete noch leisten? Wie soll Bremen als Wirtschaftsstandort entwickelt werden? Wie können Menschen vor den Folgen der steigenden Inflation geschützt werden? All diese Fragen und Themen zeigen, dass es eine moderne linke Kraft in Deutschland gibt und diese erfolgreich sein kann. Im Zentrum unserer politischen Arbeit muss nach wie vor die soziale Frage stehen. Die sozialen Interessen müssen aber auch bei anderen großen Gesellschaftsthemen durchgesetzt werden, wie beim Klimaschutz. Und es braucht immer eine klare Kante gegen rechts. Das vertreten wir auch als Bundespartei.

"In unseren Wahlkreisbüros sitzen Menschen tränenüberströmt, heulen"

Wie sieht linker Klimaschutz aus?

Er muss sozial gestaltet sein. Beim Murks-Gesetz zu den Heizungen von Klimaminister Robert Habeck fehlt diese Komponente. Das macht den Menschen große Sorgen, treibt sie um. Viele Mieterinnen und Mieter sowie Eigenheimbesitzer wissen nicht, wie sie neue Heizungen und Wärmepumpen finanzieren sollen, wenn das jetzige Gesetzesvorhaben so verabschiedet werden sollte. In unseren Wahlkreisbüros sitzen Menschen tränenüberströmt, heulen, weil sie sich in ihrer Existenz bedroht sehen. Das ist keine Panikmache, sondern eine realistische Zustandsbeschreibung. Wer Klimaschutz über Preisdruck betreiben will und den Markt machen lässt, ohne angemessene soziale Flankierung, macht das auf dem Rücken der Menschen mit wenig Geld. Deshalb muss Habecks Heizungsgesetz in der vorliegenden Form zurückgezogen und grundlegend überarbeitet werden.

Was würden Sie denn anders machen?

Wir müssen endlich den Markt regeln. Es braucht einen Paradigmenwechsel: Da Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt für die ganze Gesellschaft wichtig sind, müssen sie auch in öffentlicher Regie organisiert werden. Als Erstes muss die Modernisierungsumlage gestrichen werden, um die Mieter zu schützen. Kosten für Modernisierungsmaßnahmen dürfen nicht mehr auf die Mieter umgelegt werden. Auch braucht es gemeinnütziges Wohnen, damit Wohnungsgesellschaften oder Vermieter, die sich den Umbau zu mehr Klimafreundlichkeit nicht leisten können, staatlich unterstützt werden. Auch Eigenheimbesitzer dürfen nicht mit dem Umbau ihrer Heizsysteme allein gelassen werden. Es braucht also eine Staffelung der Unterstützung, je nach Einkommen bis zu 100 Prozent.

Wie soll das konkret aussehen?

Wer zehn Villen hat, braucht keine Förderung, wer nur Omas Haus geerbt hat unter Umständen volle Unterstützung. Und statt wie jetzt alle Eigentümer*innen Haus-für-Haus Lösungen erarbeiten zu lassen, braucht es eine staatliche Steuerung von Wärmenetzen und Sanierungsprogrammen. Damit Lösungen auf Quartiers- und Siedlungsebene ermöglicht werden. Dazu müssen Wärmenetze in öffentlichem Eigentum massiv ausgebaut werden, damit die Kommunen eine Wärmeplanung vornehmen können – und somit den Bürgern über Fern- oder Nahwärme-Netze kostengünstiges Heizen ermöglichen. In Dänemark gibt es ein Gewinnverbot für Wärme, das braucht es hier auch. Unterm Strich: Statt immer für große Konzerne und ihre Profite Politik zu machen, brauchen wir Mut zu einem neuen Ansatz: Warum nicht mal Enteignung for Future?

"Finanzminister Christian Lindner darf nicht entscheiden, wie Robert Habeck sein Gesetz zu schreiben hat"

Zurzeit torpediert die Ampel-Partei FDP das Heizungsgesetz. Sie sorgt sich um die finanzielle Leistbarkeit neuer Heizungen bei Bürgern. Die linke Stimme dringt dagegen in der öffentlichen Debatte nicht wirklich durch.

Wir kritisieren zum einen die Regierung für ihre verfehlte Klimapolitik scharf. Es braucht aber noch mehr Druck unsererseits, um die Wärmewende auch sozialverträglich zu gestalten. Wir können klarmachen: Es reicht weder, den Markt machen zu lassen, noch nachträglich ein bisschen auszubessern - der klimagerechte Umbau ist eine öffentliche Aufgabe. Finanzminister Christian Lindner darf nicht entscheiden, wie Robert Habeck sein Gesetz zu schreiben hat. Es gehört ja zu den Peinlichkeiten dieser Regierung, dass da regelmäßig Vorschläge in die Öffentlichkeit gestellt werden, anscheinend unabgesprochen, und dann sagt der Finanzminister: Geht nicht, dafür ist kein Geld da. Außer bei Waffen, dafür ist immer Geld da.

Zum anderen unterbreiten wir Verbesserungsvorschläge für mehr soziale Gerechtigkeit. Unser Vorschlag zur Vier-Tage-Woche wurde beispielsweise von der IG Metall aufgenommen. Es gibt eine gesellschaftliche Debatte über die Verteilung von Arbeitszeit, die Balance zwischen Arbeit und Freizeit, an der wir maßgeblich dran beteiligt sind.

Die Linke konnte gerade in Ostdeutschland früher als Protestpartei viele Wähler für sich gewinnen. Nun hat die AfD teilweise bundesweite Umfragewerte von 16 Prozent und mehr. Ist die rechtspopulistische Partei nun das, was zuvor Ihre Partei war?

Mit ihrer Hetze spaltet die AfD die Gesellschaft und bringt Bevölkerungsgruppen gegeneinander auf. Sie ist stark, wenn Demokraten keine überzeugende Politik vorlegen. Das passiert gerade der Ampel-Koalition, die immer weniger Vertrauen in der Bevölkerung hat. Unsere Aufgabe ist eine klare Kritik von links. Wir zeigen, dass es bessere Alternativen gibt.

Nicht nur in der AfD, auch in der Linken gab es am Anfang des Ukraine-Kriegs viele Stimmen, die den USA die Schuld am Kriegsausbruch gaben. Wie bewerten Sie nach einem Jahr Krieg die russische Aggression mit Putin an der Spitze?

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen und muss sofort beendet werden. Durch Verhandlungen und Diplomatie müssen wir zu einem gerechten Frieden kommen. Letztendlich muss Russland seine Truppen aus der Ukraine abziehen. Sie haben dort einfach nichts zu suchen.

"Militärischer Tunnelblick auf Waffenlieferungen"

Wie sieht es mit dem Nein der Linkspartei zu Waffenlieferungen aus? Hat sich dabei etwas verändert?

Unser Nein zu immer weiteren Waffenlieferungen bleibt richtig. Wären zivile Optionen mit dem Nachdruck verfolgt worden, mit dem man in einem militärischen Tunnelblick auf Waffenlieferungen gesetzt hat, könnten wir heute schon viel weiter sein. Neben den militärischen Optionen, die alle anderen Parteien favorisieren und von denen vor allem die Rüstungskonzerne profitieren, braucht es eine Linke, die auf zivile Konfliktlösung dringt. Die Sanktionen gegen die Oligarchen sind immer noch völlig unzureichend, aber da will Finanzminister Lindner natürlich nicht ran. Da scheint Waffen liefern einfacher - und lukrativer. Wir sind die Friedenspartei. Neben Verhandlungen und Diplomatie verlangen wir mehr humanitäre Unterstützung der Ukraine. Und ein Schuldenschnitt könnte das Land nach dem Krieg schnell wieder voranbringen.

Ohne Waffenlieferungen wäre die Ukraine doch von Russland überrannt worden. Wären Sie für Waffenlieferungen gewesen, wenn Ihre Partei mitregieren würde?

Meine Position wäre die gleiche. Wir müssen zivile Alternativen stärken, um Druck auf Putin auszuüben und diesen fürchterlichen Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Es braucht nicht noch mehr eskalierende, sondern deeskalierende Maßnahmen. Die Kampfjet-Koalition ist doch die nächste rote Linie, die in dem Konflikt gerissen wird. Es scheint kein Ende in der militärischen Aufrüstungsspirale zu geben. Die Bundesregierung beteiligt sich an keiner internationalen Friedensinitiative - etwa mit Brasilien, China oder den Vereinten Nationen. Das ist ein echter Skandal. Lieber wird ein hundert Milliarden schweres Sondervermögen durch den Bundestag gepeitscht. Dafür spart man dann an der Kindergrundsicherung.

Über die Person: Martin Schirdewan ist seit Juni 2022 neben Janine Wissler Co-Vorsitzender der Partei Die Linke auf Bundesebene. Er ist Mitglied des Europäischen Parlaments und seit 2019 Co-Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament.
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