Friedrich Merz galt vielen in der CDU als Hoffnungsträger. Doch als Parteichef blieb der Merz-Effekt aus. Die Union verharrt im Umfragekeller. Dabei bietet die Ampel genug Angriffsfläche. Was läuft schief?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es gibt Aussagen im Leben eines Politikers, die können lange nachhängen. Etwa diese hier: Als CDU-Chef traue er sich zu, die AfD zu halbieren. So hat sich Friedrich Merz erstmals Ende 2018 – damals noch als Bewerber um den Parteivorsitz – geäußert. Viereinhalb Jahre später hat Merz ein wichtiges Ziel erreicht: Er steht an der Spitze der CDU. Aber die AfD ist nicht halbiert.

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Im Gegenteil: Die Rechtspopulisten erklimmen in den Umfragen immer neue Höchstwerte. Zuletzt lagen sie in einer Insa-Erhebung bei 20,5 Prozent, knapp vor der Kanzlerpartei SPD und deutlich vor den Grünen. AfD-Chefin Alice Weidel kokettiert bereits mit einem eigenen Kanzlerkandidaten.

Die Union schafft es nicht, vom Ampel-Frust zu profitieren

Und die Union? Sie verharrt im Umfragetief. Konstant messen die Demoskopen Werte um die 30 Prozent für sie, meistens darunter. Zu wenig für CDU und CSU, die sich als natürliche Kanzlerparteien sehen. Und zu wenig für den selbstbewussten Merz, der für viele in der Union als Hoffnungsträger galt. Durchsetzungsstark, wirtschaftsfreundlich und rhetorisch stark: So sehen seine Anhänger Merz. Und so sieht sich der CDU-Chef auch gerne selbst.

Doch es gelingt ihm nicht, die Unzufriedenheit mit der Politik der Bundesregierung für die Union zu nutzen. Während sich die Ampel selbst zerlegt, profitiert nur eine Partei: die AfD.

Lange reagierte Merz ungehalten, wenn man ihn auf seine früheren Aussagen zur Halbierung der Rechtsaußen-Partei ansprach. Inzwischen ist er zurückgerudert – zumindest ein bisschen. "Wenn die Politik der Bundesregierung die AfD jetzt eher wieder stärkt, dann kann die Opposition sie nicht halbieren", sagte er "T-Online".

Kritik am Kurs auch in den eigenen Reihen

Die Ampel ist also schuld. Dabei dürften die Gründe ebenso bei der Union selbst liegen. So sehen es auch die eigenen Leute.

"Das, womit man uns wahrnimmt, ist nicht das, was die Menschen beschäftigt", sagt etwa Serap Güler, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Bundesvorstand der CDU. Sie findet: Die Unionsfraktion liefere ja. Von 188 Initiativen der Ampel hätten CDU und CSU 101 unterstützt. Beim Gebäudeenergiegesetz habe die Fraktion vier eigene Anträge eingebracht, die "inhaltlich wirklich gut waren". "Wir machen keine Fundamentalopposition", sagt Güler im Gespräch mit unserer Redaktion.

Nun hat es die Opposition naturgemäß schwerer, mit ihren Themen durchzudringen. Überspitzt gesagt: Ein kluger Antrag garantiert selten mediale Aufmerksamkeit. Einige in der Union setzen daher auf Lautstärke.

"Habecks Heizungswahn": Die Union setzt auf schrille Töne

Beispiel Heizungsgesetz: Thüringens CDU-Chef Mario Voigt empörte sich via "Bild" über "Habecks Heizungswahn". CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schlug in die gleiche Kerbe, als er von "Habecks Heizungsüberwachungsgesetz" sprach und den Grünen-Politiker in die Nähe der Stasi rückte. Auch andere Unionspolitiker bemühten die Methode Holzhammer.

Ähnlich aggressiv klingt es, wenn sich die Union in den Kulturkampf stürzt. Immer wieder im Fokus: der Öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) und das Thema Gendern. Geht es nach Hamburgs Ex-CDU-Chef Christoph Ploß, müsste geschlechtsneutrale Sprache bei staatlichen Stellen gleich ganz verboten werden. Nur: In diesem Fall wären nicht die Grünen die Verbots-Partei – sondern die Union.

Das Gender-Thema beschäftigt auch den Parteichef: "Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD", schreibt Merz in seinem wöchentlichen Newsletter.

Und als die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein kürzlich in Polizeiuniform beim CDU-Grundsatzkonvent auftrat und dort unter anderem über "Gendersternchen" (schlecht) und "Zigeunerschnitzel" (gut) sprach, fand der Parteichef das schlicht: "Brilliant".

Ein neues Programm soll her – mit Forderungen, die im Kopf bleiben

Im Hintergrund arbeitet die CDU an einem neuen Grundsatzprogramm. Es tut sich also etwas, auch inhaltlich. Programmchef Carsten Linnemann setzt auf möglichst konkrete Forderungen, die im Kopf bleiben sollen. Die Frage aber ist: Wer liest ein Parteiprogramm wirklich? Und ist die Union – anders als die SPD – nicht viel weniger Programm- als vielmehr pragmatische Regierungspartei?

Jüngste inhaltliche Vorstöße sorgten nicht unbedingt dafür, die Union als populäre Alternative zur Ampel zu präsentieren. CDU-Vize Jens Spahn forderte die sofortige Abschaffung der Rente mit 63. Kein Gewinnerthema. Ob die "Agenda für Deutschland", ein gemeinsames Papier von CDU und CSU, das Potenzial dafür hat? Rund drei Monate vor den wichtigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen versucht die Union, sich klar von der Ampel abzugrenzen.

Kernforderungen sind unter anderem: umfangreiche Steuer- und Abgabensenkungen, die strikte Ablehnung des Heizungsgesetzes und ein härteres Vorgehen gegen Clan-Kriminalität. Es ist der Versuch, inhaltlich in die Offensive zu kommen.

Politikexperte: Es bringt nichts, den Sound der Rechten zu kopieren

Für mehr Wirbel sorgten zuletzt Debatten um vermeintliche "Wokeness", links-grüne Medien und Gendern. Dabei erinnert der Ton in Teilen der Union an die AfD. Nur, dass davon nicht sie profitiert, sondern das Original.

Marcel Lewandowsky wundert das nicht. Er ist Politikwissenschaftler und beschäftigt sich mit Parteien und Populismus. "Aus der Forschung wissen wir, dass eine solche Strategie – den Sound der Rechten zu kopieren – bei konservativen Parteien nicht verfängt", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Union sei nicht nur für rechtskonservative Wähler Heimat. Sie müsse auch ein liberal-konservatives Publikum ansprechen, findet Lewandowsky. Also alte Merkel-Wähler. "Diese große Gruppe will einen modernen Konservatismus ohne Kulturkampf-Rhetorik", sagt der Politikexperte.

Beispiel Klimaschutz: Wo sich die Ampel oft im kleinteiligen Mikromanagement verheddert, könnte die Union auf marktwirtschaftliche Instrumente wie Wettbewerb setzen – und so ihren Markenkern stärken. "Das würde auch zum Profil von Friedrich Merz passen, der mit einem Macher-Image angetreten ist", sagt Lewandowsky.

CDU-Vorstand Güler: Über konkrete Probleme reden, nicht übers Gendern

Pragmatische Lösungsansätze für konkrete Probleme entwickeln. Das wünscht sich auch CDU-Vorstandsmitglied Serap Güler. "Die Union darf keine absoluten Antworten geben. Nicht das Klima steht über allem und auch nicht die Wirtschaft. Wir sind die Partei, die Brücken schlägt", sagt sie.

Es gebe Menschen in diesem Land, die wüssten Mitte des Monats nicht, wie sie finanziell bis zum Ende durchhalten sollen. "Die interessieren sich nicht fürs Gendern", sagt Güler, sondern dafür, wie die Politik die Inflation in den Griff bekommt. "Wenn die größte Volkspartei in Deutschland aber mit anderen, nebensächlichen Debatten auffällt, fühlen sich viele vor den Kopf gestoßen."

Im Kern geht es um die Frage: Womit will die Union wahrgenommen werden? Wofür steht sie? Und wovon grenzt sie sich ab?

CDU-Chef Merz setzt in dieser Gemengelage auf klare Kante gegen die Grünen. Sie seien "der Hauptgegner" in der Bundesregierung und verantwortlich dafür, "dass diese Polarisierung um die Energiepolitik, um die Umweltpolitik in Deutschland in dieser Weise entstanden ist", findet Merz. Dabei weiß auch er: Ohne die Grünen hat die Union im Bund – abseits einer Großen Koalition – keine Machtperspektive. Eine riskante Strategie, die auch in den eigenen Reihen Kritik hervorruft.

Sind die Grünen der Hauptgegner? Nein, sagt ein ehemaliger CDU-General

"Wir koalieren mit den Grünen in sechs Bundesländern. Und das klappt überall ziemlich gut", sagt der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz im Gespräch mit unserer Redaktion. Polenz ist kein aktiver Politiker mehr, auf Twitter hat er sich aber mit nachdenklichen Beiträgen einen Namen gemacht. Über 80.000 Menschen folgen ihm.

Polenz rät seiner Partei, auf Schaum vor dem Mund zu verzichten. Der 77-Jährige wünscht sich Maß und Mitte. Das C im Parteinamen sei Verpflichtung – inhaltlich und stilistisch. Persönliche Herabsetzungen wie von Robert Habeck seien mit dem christlichen Menschenbild nicht zu vereinbaren. "Grüne, SPD und FDP sind unsere Mitbewerber", sagt Polenz. "Die AfD aber ist unser politischer Feind".

Von seiner Partei wünscht sich Polenz eine klare Abgrenzung von Rechtsaußen. Kritik an der Ampel müsse immer mit einem Gegenvorschlag verbunden sein. Dann unterscheide sich die Union diametral von der AfD. "Die lebt nur von Wut und Angst. Davon kann die Union nicht leben. Nicht mal kurzfristig."

Verwendete Quellen:

  • Gespräche mit Serap Güler, Ruprecht Polenz und Marcel Lewandowsky
  • bild.de: Ist Merz noch die richtige Alternative für Deutschland?
  • t-online.de: "CDU-Chef Friedrich Merz warnt: Das muss uns alarmieren"
  • faz.net: Übers Gendern in Medien freut sich nur die AfD
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