Wie lässt sich der rasante Anstieg der Neuinfektionen eindämmen? Mit 2G? Mit einer Impfpflicht? Darüber diskutierte Anne Will am Sonntagabend mit ihren Gästen. Eine Lösung gab es freilich nicht, dafür aber deutliche Worte des Vorsitzenden des Weltärztebundes.

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Beim Blick auf die Zahl der Neuinfektionen bekommen nicht nur Ärztinnen und Ärzte Sorgenfalten. Auch "die" Politik versucht nun mit neuen und alten Maßnahmen, der drohenden Überlastung der Krankenhäuser Herr zu werden.

So gilt in Österreich bereits seit einigen Tagen eine 3G-Regelung am Arbeitsplatz, nun soll ab Montag für viele Bereiche nur noch ein 2G-Zugang gelten. Auch in Sachsen und Bayern greifen nun strengere Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund fragt Anne Will am Sonntagabend: "Corona-Neuinfektionen auf Höchststand - braucht Deutschland eine Impfpflicht?"

Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will

Darüber diskutierte Anne Will mit ihren Gästen

Natürlich über die Impfpflicht. Vorher will Katrin Göring-Eckardt erst einmal ein paar Missverständnisse ausräumen, zum Beispiel über das angekündigte Auslaufen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite: "Wir brauchen einen rechtssicheren Schutz. Es geht ja nicht darum, zu sagen, wir brauchen keine Corona-Maßnahmen mehr. Aber angesichts der Tatsache, dass zwei Drittel geimpft sind, muss man jetzt zu Maßnahmen kommen, die ausreichend sind, die hilfreich sind und die dafür sorgen, dass sie auch nicht von den Gerichten gekippt werden können."

Göring-Eckardts Vorwurf: Die aktuelle Situation sei schön länger absehbar gewesen und die bisherige Bundesregierung habe versäumt, entsprechende Maßnahmen vorzubereiten.

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Und über genau diese entsprechenden Maßnahmen wurde dann diskutiert. Zum Beispiel über die 2G-Regelung. Über sie sagt Frank Ulrich Montgomery: "Da, wo man hohe Inzidenzen hat, da, wo man aber auch Probleme mit Lüftungen, mit Kühlung, mit all diesen Dingen hat, brauchen wir 2G." Göring-Eckardt hatte bereits zuvor erklärt, dass die Konzepte der neuen Regierung, den Ländern hier jeglichen Spielraum lassen.

Eine Impflicht nur für Pflegekräfte, um Alte und Kranke besser zu schützen, ist ebenfalls eine der diskutierten Maßnahmen – der jedoch Christine Vogler eine deutliche Absage erteilt: "Wir werden als deutscher Pflegerat keine Impfpflicht einfordern können nur für Pflegende, weil wir hier den Fokus auf Pflegende haben, die hier als Pandemie-TreiberInnen gelten, weil sie dann nur als Einzige ins Visier genommen werden. Das können wir so nicht stehen lassen. Wir wollen die auch nicht. Wir wollen die Impfpflicht für alle, dann gehen wird da mit." Vogler sieht Pflegende durch eine solche Impfpflicht sonst "im Fadenkreuz". Man solle statt auf die Berufsgruppen lieber den Fokus auf die Einrichtungen legen.

400er-Marke: Ganz Thüringen in höchster Corona-Warnstufe

Am Samstag rutschte mit dem Landkreis Nordhausen die letzte verbleibende Kommune Thüringens in die höchste Corona-Warnstufe. Dort lag die Zahl der wöchentlichen Neuinfektionen je 100 000 Einwohner den dritten Tag in Folge über 200. Vorschaubild: picture alliance

"Ich bin tatsächlich ein bisschen erstaunt, weil es einen wesentlichen Unterschied gibt zwischen einer allgemeinen undifferenzierten Impfpflicht für alle Menschen mit sehr, sehr unterschiedlichen Risiken und der Überlegung, eine Impfpflicht dort einzuführen, wo eine besondere, berufliche Verantwortung besteht für Menschen, die besonders gefährdet sind", entgegnet ihr Alena Buyx vom Ethikrat. Diese Verantwortung entstehe aber auch nicht nur in der Pflege, sondern in vielen anderen Berufsgruppen auch. "Entscheidend ist, welche Tätigkeit ausgeübt wird", so Buyx.

Markus Söder ist für eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen "sehr offen". Doch eine Impfpflicht für Berufsgruppen ist immer noch eine Impfpflicht. "Ist Impfen eine reine Privatsache?", fragt Anne Will daher noch einmal bezüglich einer Impfpflicht nach für den Fall, dass man mit allen Überzeugungsmitteln irgendwann am Ende ist. "Nein, nicht in einer pandemischen Situation. Und ist es auch tatsächlich sonst fast nie. Es gibt einige wenige Impfungen, die sind ganz strikter Individualschutz. Aber alle anderen Impfungen haben immer auch positive Effekte auf andere Menschen", erklärt die Vorsitzende des Ethikrats Buyx.

Insbesondere in einer Pandemie, in der die freie Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, einen Effekt auf andere habe: "Man hat ein viel höheres Risiko, schwer zu erkranken oder zu sterben. Man hat auch ein höheres Risiko als geimpfte Menschen, das Virus noch weiterzugeben. Wir wissen zwar, dass auch Geimpfte das Virus noch weitergeben können, aber seltener und kürzer. Das sind ganz klare Effekte auf andere Menschen", ergänzt Buyx und verweist auf die hohe Impfquote in Portugal: "Da ist die Sache durch."

Der Schlagabtausch des Abends

Dass Markus Söder ein ewiger Stichler ist, nur um am Ende seine Hände in Unschuld zu waschen, musste vor nicht allzu langer Zeit Armin Laschet erfahren. Bei "Anne Will" setzt Söder seinen Stil fort, diesmal gegenüber Katrin Göring-Eckardt. Immer wieder erklärt Söder, man müsse nun gemeinsam "jenseits der Parteigrenzen" Lösungen erarbeiten - nur, um dann diese Gemeinsamkeit mit spitzen Bemerkungen aufs Spiel zu setzen.

Auch Göring-Eckardt warnt angesichts der aktuellen Lage vor "parteipolitischem Geplänkel", macht aber am Ende genau das und lässt sich auf Söders Sticheleien ein. Man dürfte sowohl in Berlin als auch in München froh gewesen sein, einer gemeinsamen Bundesregierung aus dem Weg gegangen zu sein.

Der unangenehmste Moment des Abends

"Warum ist die Impfquote in Bayern eigentlich immer noch so gering?", will Anne Will von Markus Söder wissen. Eigentlich eine harmlose Frage, die man sachlich diskutieren kann, um vielleicht sogar etwas daraus zu lernen. Doch Markus Söder greift lieber in die unterste Schublade politischer Auseinandersetzung: "Der eine Ansatz wäre, dass wir besonders viele Querdenker haben. Frau Göring-Eckardt, wir haben auch besonders viele Anhänger von Ihnen, nämlich esoterische Gruppen, die das genauso sehen, die allen möglichen Heilpraktikern glauben." "Wir sind das Team Wissenschaft, Herr Söder", entgegnet ihm Göring-Eckardt.

So schlug sich Anne Will

"Es ist ja schon interessant, dass ein Land wie Bayern, mit - wie man immer sagt - den besten funktionierenden Verwaltungen in ganz Deutschland, es anders als das Land Bremen nicht hinbekommt, die Impfquote zu steigern", beginnt Göring-Eckardt bereits in den ersten Minuten, am Image von Söders vermeintlichem Vorzeigeland zu kratzen.

Mag das nicht ganz ohne politische Rivalität formuliert gewesen sein, fragt auch Anne Will an anderer Stelle nach, warum denn die Impfquote in Bayern im Vergleich zu anderen Ländern so niedrig sei. Doch statt Söder an dieser Stelle festzunageln, lässt sie ihm nicht nur seinen Esoteriker-Aussetzer durchgehen, sondern entlässt ihn aus der Frage, ohne eine wirkliche Antwort bekommen zu haben.

Auch bei der Frage, warum er die Situation in der Pflege nicht verbessert habe, lässt sie ihn mit einem lapidaren "Wir haben's versucht, anzustoßen" davonkommen.

Der Satz des Abends

Als Frank Ulrich Montgomery erklärt, dass es wohl lokal, regional und vielleicht auch bundesweit wieder härtere Maßnahmen geben wird, sagt der Vorsitzende des Weltärztebundes: "Denn momentan erleben wir ja wirklich eine Tyrannei der Ungeimpfen, die über das Zweidrittel der Geimpften bestimmen und uns diese ganzen Maßnahmen aufoktroyieren."

"Tyrannei?", fragt Will noch einmal nach und Montgomery bleibt bei dieser Deutlichkeit seiner Aussage: "Ja, ich benutze bewusst den Begriff der Tyrannei, denn in Ländern, in denen 97 Prozent geimpft sind, wie in Portugal, gibt es all diese einschränkenden Maßnahmen nicht mehr, weil man sie nicht mehr braucht. Impfdurchbrüche, um das mal zu sagen, das sind gerade einmal zwei Promille der Geimpften, die einen Impfdurchbruch haben."

Die Erkenntnisse des Abends

Dass an so einem Abend nicht die Lösung ausgearbeitet wird, mit der man doch noch irgendwie sicher durch den Winter kommt, war abzusehen. Dass aber nach einer Stunde Diskussion doch noch so viele Fragen offen sind, eher nicht. Zum Beispiel, welche Vorteile eine Impfpflicht für Pflegende gegenüber einer Testpflicht hat. Oder die Frage, warum denn die Impfquote nicht ausreichend hoch ist. Dass Markus Söder hier nicht der richtige Ansprechpartner ist, hätte man sich auch ohne seine Diffamierungen denken können. Wüsste er eine Antwort, wäre die Impfquote in Bayern ja höher.

Auch die Frage nach der Impfpflicht für Tätigkeiten in der Pflege wurde längst nicht zufriedenstellend diskutiert. Was ist beispielsweise mit den vielen Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen? Würden die einer solchen Impfpflicht, wenn es sie gäbe, unterliegen?

Über die von Markus Söder völlig zu recht aufgeworfene Frage nach den Auskunftsmöglichkeiten von Arbeitgebern über den Impfstatus ihrer Angestellten wurde ebenfalls nur unzureichend geredet, obwohl genau das mit Sicherheit den Arbeitsalltag sehr vieler Menschen direkt betrifft. Kurzum: Der Diskussion hätte nicht nur ein Jurist, sondern ein bisschen mehr Fokussierung gutgetan.

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