Merkwürdige Umfragezahlen und wilde Vorwürfe von Jens Spahn: Bei "Anne Will" debattiert die Runde über das zweite TV-Triell zwischen Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock. Einen klaren Gewinner gibt es hier wie dort nicht.
Das eigene Publikum aufzufordern, den Fernseher abzuschalten, hat eine kleine, aber sehr feine Tradition im deutschen TV – man denke nur an das obligatorische Ende der "Löwenzahn"-Folgen und an die legendäre Bernd-das-Brot-Nachtschleife "Bernd in hell".
Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch reiht sich bei "
Schönes Schlusswort eigentlich, nur liegt fast die ganze Sendung noch vor Münch und den anderen Studiogästen. "Sehr gut, dass wir uns das anderthalb Stunden angeguckt haben und jetzt drüber reden", entgegnet Anne Will mit einem verblüfften Lächeln auf den Lippen. "Das macht einen guten Eindruck."
Wer auf Münch hört und abschaltet verpasst merkwürdige Umfragen, einen wild um sich schlagenden Bundesgesundheitsminister
Das sind die Gäste bei "Anne Will"
Einen angriffslustigen
Wenig überraschend attestiert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seinem Parteivorsitzenden Armin Laschet einen gelungenen Auftritt. "Er hat Scholz bei der Verantwortung gepackt, dass seine Ohrenfarbe sich der Krawattenfarbe angenähert hat. Er hat einen wunden Punkt getroffen."
Für das Team
Warum stehen die Deutschen plötzlich auf Olaf Scholz? Er stehe eben für den "moderaten Kurs", meint "Welt"-Journalist
Das ist das Rede-Duell des Abends
Im Fußball würde man sagen: Die Union holt in der Schlussphase die Brechstange raus. Jens Spahn versucht es mal wieder mit der Erzählung, die SPD verstecke ihre Linksausleger – eine Behauptung, mit der schon Friedrich Merz falsch lag. Vor drei Tagen sei noch Saskia Esken angekündigt gewesen, raunt Spahn, der sich sofort eine Verwarnung von Anne Will einfängt. "Keine Verschwörungen, Frau Esken hat abgesagt."
So ganz aus der Luft gegriffen scheint der Vorwurf aber nicht, denn Spürhund Robin Alexander hat sie "an der Pommesbude getroffen". Spahn legt nach: "Sie verstecken Sie erfolgreich", wirft er Dreyer vor, die das Ganze "ziemlich unverschämt" findet: "Sie können Saskia Esken mögen oder nicht, aber man kann mit niemandem so umgehen."
Das ist der Moment des Abends
Wer auch immer wirklich der Gewinner des Abends war beim Triell, die Verlierer stehen fest: Das Moderatoren-Duo Maybrit Illner und Oliver Kohr legte eine holprige Leistung hin, immer wieder unterbrachen sie sich gegenseitig, von den "wichtigen Themen", die besprochen werden sollten, blieb nicht viel übrig.
Alles halb so wild, hätte die Nachbesprechung bei Anne Will spannende Analysen geboten, kontroverse Meinungen oder wenigstens ein paar Faktenchecks. Stattdessen liefert die Redaktion gleich zu Beginn eine Blitzumfrage, basierend auf den Eindrücken zur Halbzeit des Triells – für wen soll das von Interesse sein, geschweige denn von Relevanz?
Das Update, das WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni später auf Basis der vollen 75 Minuten Triell präsentiert, treibt die Banalität auf die Spitze: Der überwältigende Teil der SPD-Anhänger empfindet also Olaf Scholz als Gewinner des Abends. Wer hätte es gedacht?
Der Höhepunkt der Berichterstattung:
So hat sich Anne Will geschlagen
Man kann das natürlich alles so machen – Gebührengelder für Blitzumfragen ausgeben, die immergleichen Fragen zu Koalitionsoptionen stellen, Parteifreunde erläutern lassen, warum ihr Kandidat so einen überragenden Auftritt hingelegt hat. Ist dann halt nur grottenschlechte Politikberichterstattung und peinlich für die Öffentlich-Rechtlichen.
Was man auch machen könnte: Eine Ad-Hoc-Recherche-Einheit aufstellen mit 20 der besten und schnellsten Redakteurinnen und Redakteure, die wirkliche Einordnung leisten.
Wer war nochmal verantwortlich für den Cum-Ex-Skandal? (Antwort: Es will keiner gewesen sein, aber in der fraglichen Zeit waren Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble Minister). Was meint Armin Laschet, wenn er sagt: "Wenn mein Finanzminister so arbeiten würde, hätten wir ein Problem?" (Antwort: Gar nix. Sein Finanzminister wurde gerade vom Rechnungshof gerügt und ist immer noch im Amt.) Wer hat in welchem Punkt die Unwahrheit gesagt? (Antwort: Schwer zu sagen, aber man würde es gern von unabhängigen Journalisten erfahren, und nicht von Vertretern der politischen Konkurrenz.)
Wenn das zu viel verlangt ist, liebe ARD und liebes ZDF, dann doch lieber Rezo.
Das ist das Ergebnis
Immerhin wäre eines geklärt: Jens Spahn würde Hans-Georg Maaßen wählen. Teile der Union, namentlich Karin Prien aus Armin Laschets "Zukunftsteam", rücken ja schon vom Rechtsaußen ab, der Bundesgesundheitsminister nicht. "Die CDU sollte überall gewählt werden", sagt er, also auch im Bundestagswahlkreis 196.
Warum die CDU gewählt werden sollte? Weil die Union "einmal mehr Deutschland durch eine schwere Krise geführt hat", sagt Spahn, die SPD stehe hingegen für ein Linksbündnis mit Olaf Scholz als "Feigenblatt". Klarer Lagerwahlkampf also, aber was ist eigentlich mit den Themen?
"Laschet und die Themen, das ist ein Problem", sagt Politikwissenschaftlerin Ursula Münch, die beobachtet, dass die Union in Ermangelung eines echten Alleinstellungsmerkmals versucht, über Sicherheit und solide Finanzen zu sprechen. Noch verfängt es nicht so recht, je nach Umfrageinstitut hat Laschet zwar leicht zugelegt, eine Trendwende ist aus den ohnehin recht wackligen Daten noch nicht herauszulesen.
Wenn Laschet den großen Umschwung in einem Triell erzwingen will, bleibt ihm noch eine Chance: Am 19. September auf ProSieben, Sat.1 und KabelEins.
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