CDU-Chef Friedrich Merz verriet bei "Caren Miosga", wie er sich die Kanzlerkandidatur der Union gesichert hat. Und er deutete an, dass er bei der nächsten US-Wahl für die Demokratin Kamala Harris stimmen würde.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Er brauchte drei Anläufe, um CDU-Chef zu werden, nicht einmal 30 Prozent würden ihn gern als Bundeskanzler sehen und seine Zustimmungswerte bei jungen Frauen liegen im einstelligen Bereich. Trotzdem wird Friedrich Merz nach den Bundestagswahlen im Herbst 2025 sehr wahrscheinlich neuer Bundeskanzler werden. Die Union liegt in Umfragen seit geraumer Zeit deutlich vor der Konkurrenz und auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Markus Söder machten im September den Weg für Merz' Kanzlerkandidatur frei.

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Es war daher nur konsequent, dass Caren Miosga zum ersten Mal, seitdem sie den Sonntagabendtalk von Anne Will übernommen hat, alle Stühle beiseite räumte und mit Merz nur einen Gast in ihrer Sendung begrüßte. Der Weg zur Kanzlerkandidatur, Ukraine-Krieg, Migrationspolitik und Bürgergeld sowie sein Verhältnis zu Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Markus Söder kamen zur Sprache.

Friedrich Merz empfindet angeblich keine Genugtuung

Genugtuung, jetzt endlich kurz vorm Ziel zu sein, empfinde er nach vergangenen Niederlagen wie der Ausbootung durch Angela Merkel als CDU-Fraktionschef im Jahr 2002 "überhaupt nicht", versicherte Merz. "Das ist ein Gefühl einer großen Verantwortung." Er sei 2021 nur mit der Absicht in den Bundestag zurückgekehrt, ein ganz normaler Abgeordneter zu sein. Alles, was nach 2021 passiert ist, – also die verlorene Bundestagswahl durch Armin Laschet und dessen Rücktritt als Parteichef – sei für Merz nicht absehbar gewesen. Das klang fast so, als sei er als eine Art Überraschungskandidat in die Kanzlerkandidatur hineingestolpert. Dabei wollte der Mann schon 2018 und 2021 Parteichef werden, unterlag aber erst Annegret Kramp-Karrenbauer und dann Laschet. Leider ließ es Miosga bei diesen (V)Erklärungen bewenden. Merz will offensichtlich nicht als jemand gelten, der nachtragend und überambitioniert ist und in den Rückspiegel blickt.

Jedenfalls bemühte sich der 68-Jährige, der bei Amtsantritt der zweitälteste Bundeskanzler nach Konrad Adenauer (73) wäre, einem allzu onkeligen Eindruck entgegenzuwirken. Merz, ein Macho alter Schule? Da musste er lachen. "Ich fühle mich überhaupt nicht angesprochen durch diese Kategorisierung. Wirklich überhaupt nicht." Das doppelte "überhaupt nicht" machte die Verneinung dann wieder etwas weniger glaubwürdig. Merz gab das Ziel aus, mehr CDU-Frauen für den Bundestag zu gewinnen, ein paritätisch besetztes Kabinett lehnt er aber ab.

Und wie sieht er die "Ehe für alle", die die Partei im Mai in ihrem neuen Grundsatzprogramm bejaht hatte? "Ich hätte es befürwortet", behauptete Merz über die Bundestagsabstimmung 2017, bei der die Unionsfraktion überwiegend mit "Nein" votiert hatte. Nach der Antwort versteinerte sich Merz' Mimik. Hat er diesen Satz wirklich aus voller Überzeugung gesagt? Es klang nach: Schaut her, so konservativ wie alle meinen, bin ich doch gar nicht.

Merz will Dienstpflicht für Männer und Frauen

Inhaltlich erfuhr man nach einer Stunde Merz-Interview wenig Neues. Er würde den deutschen Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine liefern und die Reichweitenbeschränkung für Raketenangriffe mit westlichen Waffen in Russland nach Abstimmung mit den europäischen Partnern aufheben. Aber nur, wenn sich Russlands Präsident Wladimir Putin nicht daran hält, keine weitere zivile Infrastruktur in der Ukraine zu bombardieren. Merz ist für eine weitere Erhöhung des Wehretats und will eine allgemeine einjährige Dienstpflicht für Männer und Frauen einführen. Denn Putin sei laut einer "Risikoeinschätzung" in sechs bis acht Jahren in der Lage, Nato-Territorium anzugreifen. Wenn er dann überhaupt noch lebt, möchte man hinterherschieben.

Beim Bürgergeld würde Merz die Zumutbarkeitsregeln für die Aufnahme eines neuen Jobs lockern und das Schonvermögen zumindest reduzieren, um die rund vier Millionen Arbeitsfähigen unter den Bürgergeldempfängern in Arbeit zu bekommen. Ihm gehe es nicht darum, die Höhe der Zahlungen zu verringern, so Merz. Auch gegen die planmäßige Erhöhung des Mindestlohns durch die zuständige Kommission habe er nichts einzuwenden. Merz forderte eine Agenda 2030 für die schwächelnde Wirtschaftsnation Deutschland und lobte ausdrücklich die Agenda 2010 des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Die Rente mit 70 und eine Aufweichung der Schuldenbremse lehnte Merz ab.

Merz über Söder: "Ein solches Bild gibt es von ihm bisher wirklich nicht"

Auffällig humorig gab sich Merz, als es um seinen Rivalen Markus Söder ging. Klar, den hat er jetzt auch ausgestochen. Er nähere sich in Sachen Körpergröße "von oben" an ihn an, sagte Merz schmunzelnd, und spekulierte, anstatt 1,98 Meter vielleicht nur noch 1,96 Meter groß zu sein. Söder misst 1,94 Meter. Lachen musste er bei einem Bild, auf dem Söder sich vor ihm verbeugt. "Ein solches Bild gibt es von ihm bisher wirklich nicht."

Wie denn die Entscheidung zur Kanzlerkandidatur genau zustande gekommen sei, wollte Miosga wissen. Gab es auch so ein legendäres Frühstück wie zwischen Angela Merkel und dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im Jahr 2002? Nein, es seien mehrere Treffen gewesen, berichtete Merz. Von Anfang an habe er ein Gezerre wie zwischen Söder und Laschet vor der verlorenen Bundestagswahl 2021 vermeiden wollen. Merz habe mit Söder offenbar frühzeitig Klartext gesprochen. "Ich habe ihm auch sehr deutlich gesagt: Markus, so was machste mit mir nicht."

Am Ende der Sendung deutete Merz an, dass er bei der nächsten US-Wahl für Kamala Harris stimmen würde. Aussprechen wollte er das als Kanzler in spe, der es mit beiden zu tun bekommen könnte, nicht. Doch Miosga entlockte ihm die Antwort indirekt. Merz hatte Trump nach dem Sturm aufs Kapitol im Januar 2021 als Gefahr für die Demokratie bezeichnet. Ob er das immer noch so sehe? "Das ist so und das sehe ich unverändert so."

"Rückschritt oder Fortschritt – sind Sie ein Mann für morgen, Herr Merz?", lautete das Thema der Sendung. Nach 60 Minuten Miosga wirkte Friedrich Merz zwar nicht wie ein Mann von gestern. Aber ein moderner, integrierender CDU-Kandidat "von morgen" wie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst oder Daniel Günther aus Schleswig-Holstein ist der 68-Jährige auch nicht. Merz ist kein großer Menschenfänger, er erzählte bei Miosga keine Anekdoten aus seinem sicherlich riesigen Erfahrungsschatz, um besondere Standpunkte zu unterstreichen.

Manchmal entstand der Eindruck: Der Mann ist, da er jetzt kurz vor dem Kanzleramt steht, vor allem bemüht, nicht zu patzen. Was bei der aktuellen Ampel-Regierung, die sich seit Jahren selbst zerlegt, schon ausreichen könnte. Denn eines versprach Merz komplett überzeugend. Er wolle eine Regierung anführen, die nicht ständig streitet.

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