Am Donnerstagabend diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen über die ukrainischen Flüchtlinge und die deutsche Integrationspolitik. Wiederholt sich 2015 oder hat man aus Fehlern gelernt? Ergibt es Sinn, die Menschen aus der Ukraine voll zu integrieren und ihnen beispielsweise im bereits überlasteten System Kitaplätze zur Verfügung zu stellen – oder gehen sie sowieso wieder zurück? Antworten gab es nicht auf alle Fragen, dafür einen ziemlich wütenden Carsten Linnemann.

Eine Kritik
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Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind Millionen Menschen auf der Flucht. Auch in Deutschland sind bereits über eine Millionen Geflüchtete aus der Ukraine registriert worden. Kommunen kommen hinsichtlich der Flüchtlingszahlen an ihre Grenzen und schlagen Alarm.

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Das ist das Thema bei "maybrit illner"

Deutschlands Solidarität mit der Ukraine ist gefragt, auch und gerade beim Thema Flüchtlinge. Ein historischer Fluchtwinter steht bevor. "Schafft Deutschland das noch einmal? Wie schwer wird es in Zeiten steigender Preise?", wollte Maybrit Illner von ihren Studiogästen wissen. Anders formuliert lautete die Frage: "Weniger Geld, mehr Flüchtlinge: Ist Deutschland noch stark genug?" Dabei ging es um Verteilungskämpfe, Arbeitsmarktintegration, Pull-Faktoren, nach Deutschland zu kommen und die Stimmung in der Bevölkerung.

Das sind die Gäste

  • Nancy Faeser (SPD): Bundesinnenministerin: "Wir können nicht genau vorhersagen, wie viele Menschen, die dort vor Bomben und Angriffen fliehen müssen, tatsächlich das Land verlassen". Es stimme aber nicht, dass Menschen hierherkommen, weil sie mehr Geld als in anderen Ländern bekommen. "Das ist durch nichts belegt", so Faeser.
  • Carsten Linnemann (CDU): Der stellvertretende Parteivorsitzender meinte: "Entscheidend ist, dass wir hier nicht in einem halben Jahr wieder sitzen und sagen: "Jetzt ist dieses Land überfordert". Er warnte vor einem Kontrollverlust wie im Jahr 2015. Damals sei die Zahl der Flüchtlinge so groß gewesen, dass man nicht mehr überblickt habe, wer mit welcher Berechtigung nach Deutschland gekommen war. "Es braucht Rechtsstaatlichkeit. Die sehen wir zurzeit nicht", kritisierte er.
  • Boris Palmer: Der Oberbürgermeister Tübingen: "Da wir in einer Welt der begrenzten Ressourcen leben, entstehen Ressourcenkonkurrenzen zum Beispiel um Wohnraum, um Kita-Plätze, um Grundschulplätze." Man müsse darüber diskutieren, ob es richtig sei, so zu tun, als ob man die Menschen voll integriere. "Ob das richtig ist für die Ukraine, die sich auf Dauer eigentlich nicht leisten kann, all diese Menschen zu verlieren an Europa, an Westeuropa. Und ob es richtig ist in Hinblick auf die Konkurrenzen, die dann bei uns entstehen. "
  • Sirkka Jendis: "Die Tafeln sind ein Seismograph der Gesellschaft. Wir haben eine sehr, sehr angespannte Situation zur Zeit", so die Geschäftsführerin der Tafeln. Seit Anfang des Jahres verzeichne die Tafel einen Kundenzuwachs von über 50 Prozent. Mehrere Tafeln hätten temporäre Aufnahmestopps verkündet. Die Behörden hätten Flüchtlinge zu den Tafeln geschickt. "Das suggeriert, wir wären ein Teil des sozialstaatlichen Systems. Das sind wir nicht. Wir sind eine zivilgesellschaftliche Ehrenamtsorganisation", kritisierte Jendis.
  • Gerald Knaus: Der Migrationsforscher sagte: "Putins Ziel ist es, die Europäer mit der Angst vor Flüchtlingen in die Knie zu zwingen". Putin habe gesehen, wie nervös europäische Regierungen reagiert hätten auf kleine Zahlen aus Belarus. "Wir stehen vor der größten Flüchtlingskatastrophe seit den 40er Jahren in Europa. Wir stehen vor dem Versuch, durch Terror den Zivilisten Europa zu erpressen. Wir müssen signalisieren an Putin, dass er damit keinen Erfolg hat. Dann müssen wir das Land zusammenhalten und konkrete, praktische Lösungen finden", mahnte Knaus. Denkbar seien beispielsweise private Zuschüsse für aufnehmende Haushalte und Spielgruppen für ukrainische Kinder.
  • Ann-Katrin Müller: Die Politikredakteurin vom "Spiegel" sagte: "Man hat leider meines Erachtens nach die Strukturen sehr zurückgebaut, obwohl man eigentlich wissen konnte, dass weiter Flüchtlinge kommen." Die Kommunen und Behörden seien aber diesmal besser aufgestellt, jeder wisse, was er tue. "Man setzt immer noch sehr auf Ehrenamt", so Müller. Erschreckend sei, dass dieselbe Rhetorik wie 2015 wieder Einzug halte. "Dann hat man nichts aus 2015 gelernt", meinte sie. "Wir haben ein wahnsinniges Problem in Deutschland, Arbeitsplätze zu finden. Menschen, die grundsätzlich bleiben wollen oder müssen, sollten wir soweit integrieren, dass sie dann auf den Arbeitsmarkt können. 85 Milliarden gehen jedes Jahr der deutschen Wirtschaft verloren", forderte Müller.

Das ist der Moment des Abends bei "maybrit illner"

Bei diesem Thema redete sich Linnemann richtig in Rage: "Dieses Bürgergeld verschiebt etwas in Deutschland!", kritisierte er scharf. Es gäbe mehrere Modellrechnungen und in vielen Konstellationen sei es besser, Bürgergeld zu wählen, anstatt zu arbeiten. "Ist Arbeit in Deutschland eigentlich gar nichts mehr wert? Eigentlich müsste man ein Denkmal bauen für die Menschen, die in Deutschland arbeiten", ärgerte er sich lautstark.

"Wie wollen Sie das gegenüber einem Geringverdiener rechtfertigen, der in Deutschland jeden Morgen um 6 Uhr aufsteht, auf den Wecker klopft und arbeiten geht?", fragte er scharf Richtung SPD-Politikerin Faeser. "Was ist das denn für ein Gesellschaftsbild! 40 Stunden arbeiten und dann gehe ich noch aufstocken, damit ich das Gleiche bekomme, wie jemand der nicht arbeitet? Da bin ich raus, das ist nicht meine Politik!". Man dürfe die Menschen, die jeden Morgen aufstehen würden und arbeiten gehen, nicht vergessen.

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Das ist das Rede-Duell des Abends

"Es kippt irgendwann die Integrationsbereitschaft", warnte Linnemann. Es sei deshalb gut, in der Sendung darüber zu reden. Da schaltete sich Journalistin Müller ein: Es sei noch überhaupt nicht von einem Vertrauensverlust die Rede. "Man sieht das auch an Umfragen nicht", sagte sie.

Linnemann wandte ein: "Deswegen muss man frühzeitig darüber reden!". Müller blieb dran, man dürfe aber auch keine Stimmung herbeireden. Sie trat noch einmal in Bezug auf Friedrich Merz nach. Der hatte in einem Interview über angeblichen "Sozialtourismus" der Ukrainer gesprochen. "Ich habe recherchiert, wo diese Info herkam. Die kam aus pro-russischen Querdenker-Kanälen und Co. Das war russische Desinformation, die der Chef der größten Oppositionspartei in Deutschland gesagt hat!", sagte Müller. Merz habe sich nicht angemessen entschuldigt.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Im Gesprächsthema Migration steckt Zündstoff, das weiß man nicht erst seit diesem Jahr. Da versprach die Besetzung bei Illner einiges, explosiv wurde es dann aber nicht. Fragen wie "Kann es eine Situation geben, in der unsere Möglichkeiten enden?" oder "Ist man gleich ein Extremist oder Rassist, wenn man fürchtet, Deutschland könnte überfordert sein?" waren durchschnittlich, brachten die Diskussion aber auch nicht sonderlich voran. Sparen können hätte sie sich Einschübe wie "Es trifft eine Bevölkerung in Angst auf eine große Zahl an Flüchtlingen" und "Ist das eine Kapitulationserklärung der misslungenen Abschiebung?". Es hätte ihrer Moderation gut zu Gesicht gestanden, vehementer auf Lösungen zu pochen.

Das ist das Ergebnis bei "maybrit illner"

Über weite Teile der Sendung schien es, als würden sich die Gäste auf unterschiedlichem Wege Luft machen: Über fehlende Kita-Plätze, über das Bürgergeld, über Fehler in 2015, über Kommunikation der Behörden und über Aussagen von Friedrich Merz. Das war zu viel Bestandsaufnahme und zu wenig lösungsorientiert. Das wirklich entscheidende Ergebnis hielt Migrationsforscher Knaus aber zum Ende der Sendung fest: Es ist enorm wichtig, der Ukraine zu helfen, denn davon hängen auch die Flüchtlingszahlen ab. Stichpunkte sind zum Beispiel die Hyperinflation in der Ukraine und die Unterstützung der Binnenvertriebenen.

Verwendete Quellen:

  • ZDF: Sendung "maybrit illner" vom 03.11.2022
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