Die Debatte zur Flüchtlingspolitik ist festgefahren. Das beweist die Runde bei Frank Plasberg. Es mangelt an politischen Alternativen, die Koalition bekriegt sich lieber gegenseitig, als konstruktiv voran zu arbeiten. Und die CSU dürfte schon bald ein Problem haben. Das Fazit: Gerade Kanzlerin Angela Merkel könnte von den ganzen Streitigkeiten profitieren.

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Was ist das Thema?

Moderator Frank Plasberg schildert bei "Hart aber fair" ein düsteres Szenario für Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Hätten Sie gedacht, dass man in Deutschland jemals die Frage stellen würde?", fragt er ins Publikum und meint damit wohl, dass lange undenkbar war, Merkel öffentlich infrage zu stellen.

Doch genau das geschieht, vor allem vonseiten des Koalitionspartners CSU. Die Union sei tief zerstritten, die letzten Verbündeten in Europa und die Wähler wendeten sich von der Regierungschefin ab, sagt er und will diskutieren, wie viel Zeit Merkel noch bleibt, um eine politische Wende einzuleiten.

Wer sind die Gäste?

Thomas Oppermann, SPD, Fraktionsvorsitzender. Oppermann verdeutlicht zweierlei: Zum einen, dass selbst die Sozialdemokratie angesichts der Größe der Herausforderung nicht vor populistischen Äußerungen zurückschreckt. Zum anderen, dass die SPD viel kritisiert, selber aber nichts Konstruktives beisteuert, um den Koalitionsstreit beizulegen.

"Wir müssen die Zahl der Flüchtlinge deutlich reduzieren. Das muss schon bald passieren", sagt der 61-Jährige und rechnet vor, dass ansonsten eineinhalb bis zwei Millionen weitere Asylsuchende in diesem Jahr kämen.

Zwischen all den Phrasen sagt er den am meisten bemerkenswerten Satz kurz vor Ende der Sendung: "Wir hätten auch ohne die CSU eine Mehrheit in der Koalition." So offensiv traute sich zuletzt keiner der Spitzenpolitiker, die Regierungskonstellation infrage zu stellen.

Thomas Kreuzer, CSU, Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag. Kreuzer schürt Bedenken. "Es waren 75.000 Menschen, die im Januar bisher kamen. Das sind zehnmal so viele wie zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr", sagt er.

"Wir müssen nationale Lösungen anstreben, nämlich Grenzsicherung und Zurückweisung." Der 56-Jährige ist damit voll auf Parteilinie.

"Wir brauchen eine Obergrenze, sonst haben wir bis Ende des Jahres zwei Millionen Flüchtlinge erreicht", meint er und erklärt, dass 80 Prozent der Menschen in Bayern eine solche Obergrenze wollten.

Was er aber nicht erklärt, ist, ob die CSU nach Wochen der aggressiven Worte auch mal Taten folgen lässt, heißt, ob die Partei tatsächlich bereit dazu wäre, aus Protest gegen Merkels Asylpolitik die Regierung zu verlassen.

Melanie Amann, Politikredakteurin im Hauptstadtbüro des "Spiegel". Sie ist angriffslustig, attackiert munter. "Die SPD ist alles andere als loyal. In Berlin blockiert sie das Asylpaket zwei, der Parteichef redet einmal von kriminellen Ausländern und trägt am nächsten Tag einen "refugee-welcome-button", meint sie.

Zu Kreuzer und dessen CSU sagt sie: "Sie kreieren eine Illusion mit dem Begriff Obergrenze, als könnte man die Zahl der Flüchtlinge steuern wie die Zahl der Brezen auf der Wiesn."

Schließlich verteidigt sie etwas überraschend die Kanzlerin: "Ihr werden überall Knüppel in den Weg geworfen. Wir werden aus der CDU heraus nichts erleben gegen Merkel."

Christian Lindner, FDP, Bundesvorsitzender. Mitunter dünnhäutig. Das schadet seiner Argumentation, die ansonsten gut durchdacht und offenbar bestens einstudiert ist.

"Die Politik von Frau Merkel hat uns in Europa isoliert", sagt er. "Jetzt steht sie in den Scherben ihrer Politik. Deutschland braucht eine Wende."

Und so soll diese herbeigeführt werden: Lindner spricht sich für ein Einwanderungsgesetz aus, dafür, dass Flüchtlinge "nur vorübergehend Schutz erhalten. Wenn wieder Sicherheit im Heimatland herrscht, müssen sie zurück." Dass Merkel aus den eigenen Reihen politisch gestürzt wird, kann er sich nicht vorstellen. "Palastrevolution in der CDU? Da glaube ich nicht dran."

Elmar Brok, CDU, Europaabgeordneter. Er bemüht darum, die Kanzlerin zu stützen, schwimmt dabei aber gehörig.

Schließlich muss er eingestehen, dass die Bürger besorgt, die Stimmung schlecht und die Flüchtlingszahlen zu hoch seien. "Es ist die größte Herausforderung der vergangenen 50, 60 Jahre", sagt er und beschwert sich, dass immer dieselben Parteikollegen zitiert würden, "die aber nicht für die Partei als Gesamtes sprechen".

Es ist ein Indiz dafür, dass die Parteichefin zumindest diese offenbar nicht mehr im Griff hat.

Was war das Rede-Duell des Abends?

Es sind zwei mit völlig unterschiedlichen Intentionen. Zum einen streiten CSU-Politiker Kreuzer und SPD-Mann Oppermann, als wäre einer von beiden in der Opposition und nicht beide Teil der Regierung. Es geht um den Familiennachzug.

Kreuzer schlussfolgert daraus eineinhalb bis zwei Millionen Flüchtlinge mehr. Oppermann meint: "Sie machen den Leuten Angst." Kreuzer entgegnet: "Sie verniedlichen das Problem."

Oppermann spricht in Folge von wenigen, die nachkämen, Kreuzer sagt: "Das kann in die Millionen gehen." Schließlich wirft Oppermann der CSU vor, der AfD Wähler zuzuspielen.

Das andere Duell hat sehr mit persönlichen Eitelkeiten zu tun. Lindner wirft Moderator Plasberg vor, ihn in den vergangenen Wochen zweimal zuerst ein-, dann wieder ausgeladen und gegen Regierungsvertreter eingetauscht zu haben. Peinlich ist das für beide Beteiligten. Plasberg antwortet: "Verschwörungstheorien sind leicht gemacht." Lösungen für das eigentliche Thema lassen sich so zumindest nicht erörtern.

Was war der Moment des Abends?

Als sowohl Oppermann als auch Kreuzer zu ihren Zahlenspielen ausholen und von bis zu zwei Millionen Neuankommenden in diesem Jahr sprechen.

Die schiere Größe dieser Zahl dürfte vor allem den Rechtspopulisten in die Karten spielen. Im Fußball würde man sagen, die beiden haben sich damit taktisch verzockt. Gleichzeitig ist es eine Tendenz dafür, welche Milchmädchenrechnungen die Debatte in den kommenden Monaten bestimmen dürften.

Wie hat sich Plasberg geschlagen?

Meist souverän. "Ich glaube, sie sollten erstmal diese Frage beantworten, Herr Oppermann", meint er energisch zum SPD-Politiker und entgegnet Brok einmal harsch: "Es ist mir scheißegal, was vor zwölf Jahren war."

Eines aber versäumt er: Kreuzer eine klipp und klare Antwort zu entlocken, was denn die CSU nun wirklich zu tun gedenkt – konkret, ob sie die Koalition mit der CDU und der SPD aufkündigt.

Was ist das Ergebnis?

Dass die Kanzlerin eben doch nicht so angezählt ist wie gedacht.

Die CSU traut sich offenbar nicht an den letzten, drastischen Schritt heran. Vielmehr könnte ihr die eigene Attacke schon bald um die Ohren fliegen. Die SPD zumindest hat wohl genug von den Ego-Auftritten aus Bayern. Merkel ist bekannt dafür, Rückschläge auszusitzen. Es könnte ihr auch diesmal gelingen.

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