Die Brisanz der aktuellen Entwicklung im Konflikt mit Russland beschäftigt derzeit die Politik weltweit und auf allen Ebenen. Frank Plasberg zwang sie nun zu einem Themenwechsel der jüngsten "Hart aber fair"-Ausgabe. Die Frage: Beginnt jetzt ein Krieg um die Ukraine? Die Antwort ist beunruhigend.
Die Inflation steigt gerade weltweit und das ist auch der "Hart aber fair"-Redaktion aufgefallen. Dementsprechend wollte
Denn weil
Mit diesen Gästen diskutierte Frank Plasberg:
Christian Dürr (FDP), Vorsitzender der BundestagsfraktionNorbert Röttgen (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages- Vassili Golod, WDR-Redakteur mit ukrainischen und russischen Wurzeln
- Udo Lielischkies, Journalist und ehemaliger Leiter des ARD-Studios in Moskau
- Sarah Pagung, Russland-Expertin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) (zugeschaltet)
- Hermann-Josef Tenhagen, Wirtschaftsjournalist
- Ina Ruck, Leitern der ARD-Studios in Moskau (zugeschaltet)
- Markus Preiß, Leiter des ARD-Studios in Brüssel (zugeschaltet)
Die Themen des Abends:
Die Lage ist brisant und so verschwendet Plasberg keine Zeit. Was die Anerkennung der Separatistengebiete durch Putin bedeute, will Plasberg wissen. "Das ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts", erklärt
Ob denn trotzdem noch irgendetwas Putin stoppen kann, will Plasberg wissen, doch Sarah Pagung macht dem Moderator da wenig Hoffnung: "Ich fürchte, dass die westlichen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung in Russland mittlerweile wirklich sehr begrenzt sind." Anhand der großen Truppenanzahl, die für die Anerkennung gar nicht gebraucht werde, fragt sich Pagung: "Was folgt jetzt weiter?" Ihre Antwort: "Ich glaube, wir müssen der Tatsache ins Gesicht sehen, dass die erneute Kriegsgefahr enorm hoch ist."
In diesem Punkt herrscht traurige Einigkeit in der Runde, umso spannender die Eindrücke, die Plasbergs Gäste von Putin selbst haben. "In seiner Weltsicht ist die Ukraine kein souveräner Staat", erklärt Vassili Golod Putins Gedanken. Ina Ruck sieht das auch so, doch sehe Putin dabei "sehr wirklichkeitsfremd" auf die Menschen in der Ukraine: "Da ist nicht mehr viel vom Brudervolk."
Udo Lielischkies wiederholt die Vermutung der amerikanischen Russland-Expertin Fiona Hill, dass Putin womöglich krank und verbittet sei. Putin umgebe sich nur noch mit Falken. "Andere, moderatere Gruppierungen haben da nicht mehr viel zu bestellen", spekuliert Lielischkies.
Wie sollte der Westen nun reagieren?
Natürlich wird angesichts der brisanten Lage über die Reaktion des Westens diskutiert und dabei langfristige von kurzfristige Reaktionen unterschieden. Kurzfristig stehen natürlich Sanktionen auf dem Plan. Christian Dürr glaubt, dass die Menschen in Russland von Sanktionen "massiv betroffen" wären. Sarah Pagung gibt zu bedenken, dass Sanktionen immer ein Marathon seien. Zudem würden sie die Oligarchen eher näher ans System binden, weil dort die Quelle ihres Reichtums sei.
Gleichzeitig könnten Sanktionen aber langfristig einen Effekt haben, "weil sie Ressourcen einschränken, Ressourcen verknappen und damit auch den Handlungsspielraum der russischen Regierung deutlich einschränken", so Pagung. Allerdings seien Sanktionen immer nur bei einem Einmarsch angedroht worden, doch Putins Taktik ist die der Verschleppung, so dass man sich im Westen überlegen solle, nicht jetzt schon Sanktionen zu verhängen, "weil sie sonst einfach ins Leere laufen." Hier bekommt Pagung später noch Zustimmung von Norbert Röttgen: "Wenn diese Sanktionen noch etwas bewirken sollen in puncto Abschreckung, dann müssen sie jetzt kommen."
Christian Dürr zählt die Lehren auf, die man langfristig ziehen müsse und die heißen: Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern im Allgemeinen und insbesondere von russischen. Dazu müsse man unter anderem weiter in erneuerbare Energien investieren, genauso aber in Infrastruktur zum Beispiel in Häfen, um Flüssiggas anderer Länder beziehen zu können, denn Deutschland könne nicht zu 100 Prozent energieautark werden.
Die besorgniserregendsten Momente des Abends bei "Hart aber fair":
Dass die Gefahr eines Krieges groß ist, ist besorgniserregend genug, dass es offenbar keine genaue Einschätzung der Situation im Kreml gibt, macht die Sache nicht besser. Auf die Frage, wer noch Einfluss auf Putin habe, antwortet jedenfalls CDU-Mann Norbert Röttgen: "Nach meiner Einschätzung haben wir keine Kenntnis – auch unsere Geheimdienste nicht – (…) des allerinnersten Machtzirkels." Röttgens Eindruck ist aber, dass sich Putin immer mehr abschotte und man keinen relevanten Berater mehr identifizieren könne.
"Wir hören, dass viele Leute keinen Zugang mehr zu ihm haben", unterstreicht Ina Ruck aus Moskau Röttgens Einschätzung, muss dabei aber spekulieren: "Der Eindruck ist doch sehr, dass Putin mit seiner eigenen Weltsicht beschäftigt ist und offenbar nur noch sehr wenig Beratung bekommt."
Umso schwerer fällt dann auch die Einschätzung aus, wie weit Putin gehen wird. Belässt er es bei den Separatistengebieten, dringt er weiter in die Ukraine vor, in die gesamte Ukraine oder ist auch die Ukraine nicht genug und Putin will alte Sowjetzustände wiederherstellen und greift auch nach anderen Ländern? "Ich glaube nicht an die Herstellung eines Sowjetreiches im historischen Sinne, aber ich glaube, was die Kontinuität hier ist, ist der Großmachtanspruch, den Russland hat", erklärt Russland-Expertin Pagung dazu.
Dieser Großmachtanspruch beinhalte auch den Vormachtanspruch im postsowjetischen Raum. Darin fühle sich Russland von der NATO bedroht, nicht von einem Angriff des Westens. Pagung hofft, dass die NATO mit dem Bündnisfall-Artikel einen ausreichenden Schutz für die NATO-Mitglieder habe. "Ich muss aber auch sagen, dass mich die Rede heute und auch die 'Unterhaltung' im Sicherheitsrat doch sehr besorgt hat, weil da eine Art Eigendynamik in Gang gesetzt scheint, die sich zunehmend von der Realität abkoppelt und die auch dazu führt, dass wir, ehrlich gesagt, immer weniger einschätzen können, was Putin, was die Regierung im Kreml eigentlich vorhat."
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So schlug sich Frank Plasberg:
Gut. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass sich die Redaktion, wie Plasberg erklärt, erst am Montagabend um 19.30 Uhr für eine Themenänderung entschieden hatte. Einige Gäste wie Hermann-Josef Tenhagen und Christian Dürr konnten bleiben, die anderen Gäste mussten auf die Schnelle eingeladen werden. Für die Kurzfristigkeit der Änderung lief die Show aber vergleichsweise reibungslos. Hier und da hakte es etwas, als etwa noch an der Übersetzung von Putins Rede gearbeitet wurde, aber ansonsten war das eine gute Leistung der Redaktion.
Der bedrückendste Moment des Abends:
Nicht nur aufgrund seiner familiären Beziehungen nach Russland und in die Ukraine geht Vassili Golod das Schicksal der Ukraine nahe. Als Frank Plasberg gegen Ende der Sendung einen Zuschauerkommentar vorliest, trifft dieser Golod sichtbar. Dort heißt es: "Ich bin der Meinung, dass man Putin sein Ding machen lassen soll. Deutschland soll sich bestenfalls raushalten, weil wir sonst nur Nachteile zu befürchten haben. (…) Putin bekommen wir eh nicht aufgehalten. Das ist ein sturer Kopf und macht, was er will."
Golod ist angesichts des Kommentars sichtlich angefasst: "Es tut mir weh, das zu hören. (…) Die Ukraine ist ein demokratisches und unabhängiges Land, das unseren Werten viel näher steht, als es Russland tut. Ich finde, es ist eine wichtige Aufgabe der deutschen und europäischen Politik, diesem Land zu helfen. Der Angriff, diesen Tag, den wir heute erleben, das ist ein Angriff auf die Demokratie, das ist ein Angriff auf die Unabhängigkeit von Staaten. Und ich finde es wirklich schade, wenn ein Mensch, der in einer Demokratie lebt, die Vorteile einer Demokratie genießt, (…) so etwas sagt. Das höre ich leider sehr, sehr oft in Deutschland."
Das Fazit:
Es war eine kurzfristige, aber dennoch gute Diskussion, da man trotz mancher Spekulationen einen schärferen Blick auf Putin und seine Absichten und Verhaltensweisen gewinnen konnte. Zum Beispiel das, was Markus Preiß aus Brüssel berichten konnte: "Ein Regierungschef hat mir mal gesagt: Sein Eindruck von Putin ist, man muss sehr genau zuhören, was er sagt und sich klarmachen: Was er sagt, meint er ernst."
Folgt man diesem Eindruck ist das, was der Ukraine, was Europa droht, nichts Gutes. Denn dass sich Putin an den Verhandlungstisch setzt, um zu deeskalieren oder gar seine Politik zu ändern, scheint ausgeschlossen und der Weg, den der Kreml beschreiten will, bereits entschieden. Oder wie es Norbert Röttgen formuliert: "Putin hat heute nun wirklich endgültig klargemacht, wie er vorgehen wird und was er will. Und ich finde, es war schon seit längerem klar: Putin will nicht verhandeln."
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