Die Aktionen linker pro-palästinensischer Aktivisten vergiften das Klima an den Universitäten. Eine Journalistin beobachtete dabei "Ansätze einer Meinungsdiktatur". Es werde alles ausgeblendet, was nicht zur eigenen Ideologie passt. Ein anderer Gast nahm zu den Genozid-Vorwürfen gegen Israel Stellung.
Das war das Thema
Die Proteste gegen Israel haben seit dem Einmarsch in den Gazastreifen als Folge des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober 2023 eine neue Qualität erreicht. Jüdische Studenten fühlen sich an Universitäten nicht mehr sicher, wo pro-palästinensische Protestcamps und Demonstrationen zur neuen Realität gehören. Dort verbünden sich Menschen mit Wurzeln in arabischen Ländern mit linken, "woken" Aktivisten. Der Grat zwischen Trauer über die zehntausenden zivilen Opfer in Gaza, berechtigter Kritik an der israelischen Regierung und antisemitischen Losungen wie "From the river to the sea" ist schmal. Das Thema bei Maybrit Illner: "Protest gegen Israel – was unterscheidet Kritik von Hass?"
Das waren die Gäste
Herbert Reul: Der CDU-Innenminister Nordrhein-Westfalens forderte mit seinen bekannten markigen Sprüchen harte Kante gegen Antisemitismus. "Wenn Menschen andere Menschen verhetzen, dann ist Ende im Gelände." Kritik übte er auch an Uni-Lehrkräften, die übergriffige Aktionen pro-palästinensischer Aktivisten verharmlosen und sich nicht klar gegen Israel- und Judenhass stellen. Diese müssten als Bedienstete des Staates daran erinnert werden, so Reul, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.
Ahmad Mansour: Der arabisch-israelische Extremismusforscher und Psychologe nahm das Weltbild einiger linker, "woker" Studenten auseinander. Ihre Ideologie gehe davon aus, dass es nur Schwarz und Weiß gibt, Unterdrücker und Unterdrückte, People of Color und Weiße – und in diesem Weltbild ist Israel ein kolonialer Unterdrückerstaat. Aber die meisten arabischen Israelis würden laut einer Umfrage, wenn es die Zweistaatenlösung gäbe, lieber weiter in Israel leben und nicht in Palästina. So etwas, so Mansour, würde nicht in das Weltbild der linken Studenten passen. Genau wie sein Werdegang als erfolgreicher arabischer Israeli.
Souad Mekhennet: Die Journalistin (Washington Post) beobachtet eine immer größere Dämonisierung Israels. Und speziell auf den pro-palästinensischen Demos in den USA "Ansätze einer Meinungsdiktatur". Sie habe erst "Free free Palestine" sagen sollen als Bedingung für ein Interview – für sie inakzeptabel. Es gebe keine Bereitschaft mehr, dem anderen zuzuhören oder aufeinander zuzugehen. "Es wird alles ausgeblendet", was nicht zur eigenen Ideologie passt – beispielsweise, dass einige arabische Staaten gute Beziehungen zu Israel pflegen. Trotzdem warnte sie davor, alle Demonstranten in einen Topf zu werfen. Nicht jeder, der gegen die zivilen Opfer in Gaza auf die Straße geht, "ist ein Islamist", so Mekhennet.
Ronen Steinke: Der jüdische Journalist Autor nannte den linken Antisemitismus eigentlich nicht neu, aber "in dieser Zuspitzung schon neu". An den Antisemismus der RAF zu erinnern, darauf kam in diesem Moment niemand. Auch Steinke würde nicht alle Anti-Israel-Demonstranten in die Terror-Ecke stellen, stattdessen plädierte er für einen radikalen Dialog – auch mit jenen, die antisemitische Slogans rufen. Er kann nicht verstehen, dass die Linke nicht für ein friedliches Zusammenleben "ohne Über-Unter-Ordnungsverhältis" zwischen Juden und Arabern eintritt, sondern dafür, dass man "die nächste Vertreibungswelle beklatscht". Denn das würde ja passieren, wenn Palästina vom Fluss (dem Jordan) bis zum Meer (dem Mittelmeer) geschaffen würde. Was sagt der Journalist zum Genozid-Vorwurf gegen Israel in Gaza? "Dass das Ganze einem Masterplan folgen würde, der auf Vernichtung hinausläuft, das sehen wir nicht", sagte Steinke. Dennoch würden einige Mitglieder des israelischen Kabinetts Vernichtungsfantasien äußern – was er klar verurteilte.
Das war der Moment des Abends
Ahmad Mansour konnte seine Empörung über die Israelfeinde und Antisemiten, die nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 aus der Deckung gehen, nicht verhehlen. "Diese Menschen lassen die Juden nach dem größten Pogrom seit dem 2. Weltkrieg im Stich. Nicht nur im Stich lassen. Sie machen ihr Leben zur Hölle, auch hier in Europa. Sie bedrohen sie, sie schüchtern sie ein, sie wollen auch das Land wegnehmen." Er kenne viele Juden, die schon einen Plan B hätten zur Flucht – traurige Realität im Jahr 2024.
Das war das Rededuell des Abends
Herbert Reul brüstete sich mit dem Verbot des Vereins "Palästina Solidarität Duisburg" wegen mutmaßlicher Unterstützung der islamistischen Terrororganisation Hamas. "Ein Staat, der wehrhaft ist, kann nicht einfach zugucken", sagte er.
Souad Mekhennet erwiderte, es dürfte nicht der Eindruck entstehen, dass es "nur um Verbote innerhalb der muslimischen Gesellschaft hier in Deutschland" gehe "und bei den Rechten schaut man weg". Reul rief dazwischen: "Das machen wir nicht!" Mekhennet legte nach. Das Schlimmste sei, "wenn man den Menschen das Gefühl gibt, es gibt Doppelstandards". Das habe man nach dem 11. September teilweise erlebt. Vermutlich eine Anspielung auf die damals priorisierte Verfolgung des islamistischen Terrorismus durch die Sicherheitsbehörden, währenddessen die rechte Terrorzelle NSU in Deutschland zwischen 2000 und 2006 unbehelligt neun Menschen erschießen konnte. Die Täter der damals sogenannten "Döner-Morde" wurden von den Ermittlern im kriminellen Migrantenmilieu vermutet - und mögliche rechtsextremistische Tatmotive vorschnell verworfen. Ein eklatantes Versagen der Sicherheitsbehörden.
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Der deutschen Justiz und Politik wird oft ein zögerlicher Umgang mit Kriminellen vorgeworfen. In diese Wunde legte auch
Guter und wichtiger Punkt der Moderatorin am Ende der Sendung: Sie wies darauf hin, dass die meisten antisemitischen Straftaten in Deutschland aus der rechten Ecke kommen – das darf in der Diskussion um linken und muslimischen Antisemitismus nicht vergessen werden, war aber eben nicht Thema der Sendung. Kleiner Kritikpunkt: Dass sie bei der Frage an Ronen Steinke suggerierte, der nun aufgeflammte Antisemitismus von links sei etwas Neues, war – siehe RAF – ein wenig geschichtsvergessen.
Das ist das Fazit
Wo fängt eigentlich Antisemitismus an? Bei einer der Kernfragen der Sendung verwies Ronen Steinke auf die Schwierigkeit einer allgemeingültigen Definition. In der jüdischen Community in Deutschland werde darüber gestritten, genau wie in der Wissenschaft und in Israel selbst. Er schlug den kleinsten gemeinsamen Nenner vor, auf den sich doch eigentlich alle einigen können müssten, was glasklar antisemitisch ist: "Leute zu attackieren, nur weil sie jüdisch sind."
Ahmad Mansour sah derweil im Internet, wo Islamisten und andere Antisemiten oft ungestört ihre Propaganda verbreiten können, einen großen Hebel zum Ansetzen: "Warum sind wir noch nicht in den Sozialen Medien aktiver? Mit Gegennarrativen, mit Vorbildern, mit Aufklärung, mit politischer Bildung", fragte er fast anklagend. "Da haben wir nicht mal angefangen. Das ist eine Riesenaufgabe für die Politik." Auch in der Kommunikation mit der jetzigen Generation junger Muslime "haben wir versagt", so Mansour. Auch Souad Mekhennet zeigte sich tief enttäuscht, dass junge Muslime in Hamburg teilweise den selben Gruppierungen hinterherlaufen, die schon die Hamburger Zelle der 9/11-Attentäter mit radikalisiert hatten – vor mehr als 20 Jahren! "Da müssen wir uns wirklich überlegen, was läuft hier falsch und was können wir tun."
Ihr Fazit der Debatte zwischen pro-palästinensischen und pro-israelischen Meinungsmachern fiel ernüchternd aus. "Da muss man schon sagen, dass Hamas den Propagandakrieg schon fast gewonnen hat." Vor allem den Kampf um die Köpfe an den Universitäten. So blieb auch die Frage, wann und wie die verfeindeten Lager wieder zueinander finden können, in dieser Sendung unbeantwortet. Vermutlich auch, weil es darauf keine besonders hoffnungsvollen Antworten gibt.
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