Bei Anne Will ging es am Sonntagabend um die Entlastungspolitik der Bundesregierung in Sachen Energiepreise. Dabei bekamen sich die Ampel-Vertreter Kevin Kühnert (SPD) und Christian Dürr (FDP) mit dem Oppositions-Politiker Andreas Jung (CDU) ziemlich in die Haare. Doch auch innerhalb der Regierung scheint nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen zu sein: Dürr spielte seine Forderung an Habeck im Studio über Bande.

Eine Kritik
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Die Bundesregierung will die hohen Energiepreise mit einem "Abwehrschirm" in Milliardenhöhe dämpfen. Die Investitionen sollen über Kredite von bis zu 200 Milliarden Euro finanziert werden. Dafür muss der Bundestag erneut eine Ausnahme von der Schuldenbremse beschließen. Die Gasumlage wurde in letzter Minute gestoppt.

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Das ist das Thema bei "Anne Will"

Die Bundesregierung will mit einem Abwehrschirm von 200 Milliarden Euro Unternehmen und Verbraucher bei den Energiepreisen entlasten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem milliardenschweren "Doppel-Wumms" gegen die Krise. Anne Will wollte von ihren Gästen wissen: "Muss sich jetzt tatsächlich niemand mehr sorgen?" und "Wie soll die Gas- und Strompreisbremse überhaupt funktionieren?". Dabei ging es um Preissubventionierung, Sparanreize, Gießkannen-Prinzip und die Verlängerung der Atomkraftwerke.

Das sind die Gäste

Kevin Kühnert (SPD): "Auch, wenn wir jetzt Grundbedarfe für Haushalte, für Unternehmen durch diese enormen Mittel wieder bezahlbar machen, heißt das natürlich nicht, dass wir von unserer Pflicht entbunden sind, Einsparungen zu leisten", sagte der SPD-Generalsekretär. Das sei weiterhin nötig, um über den Winter zu kommen. Die Preisbremsen hätten im Gegensatz zu Maßnahmen wie dem Wohngeld den Vorteil, dass die Kosten für Haushalte gar nicht erst entstehen und sie nicht im Nachgang Anträge stellen müssten.

Christian Dürr (FDP): Der Fraktionsvorsitzende sagte: "Diese hohen Gas- und Strompreise kann sich niemand leisten". Der Abwehrschirm wolle bei den "verdammt hohen Preisen" ansetzen. "Für diese Krise haben wir keine Blaupause", erinnerte Dürr. Beim Thema Gasumlage hätte er sich aber schnellere Entscheidungen gewünscht. "Ich würde mir eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke wüschen, da wünsche ich mir noch Bewegung von Robert Habeck auch ins kommende Jahr hinein", sagte er.

Andreas Jung (CDU): Der energiepolitische Sprecher kritisierte: "Zu Beginn der Heizperiode einigt sich die Regierung auf Ziele, nachdem sie den ganzen Sommer damit vertan hat, sich an der Gasumlage abzuarbeiten, die zu einer Mehrbelastung geführt hätte." Es sei ein Maximum an Chaos verursacht worden. Das, was als Überschrift und "Doppel-Wumms" formuliert worden sei, müsse jetzt konkret werden. "Wir müssen nach wie vor Sorge tragen für die Staatsfinanzen", mahnte Jung. Es brauche einen nationalen Energiespar-Pakt für das ganze Land.

Sabine Werth: Die Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel e.V. berichtete: "Es kommen viele Menschen, die sagen: 'Ich habe nie gedacht, dass ich einmal zur Tafel gehen würde'". Nach Corona seien ihre Ersparnisse aber aufgebraucht. "Es sind Menschen, die Insolvenz in ihren kleinen Firmen angemeldet haben, die Solo-Selbstständige waren". Werth war sich aber auch sicher: "Die Energiepreise werden sich erst noch richtig doll auswirken". Die Panik sei groß.

Antje Höning: "Ich sehe große Probleme bei der Gas- und Strompreisbremse", sagte die Leiterin der Wirtschaftsredaktion der "Rheinischen Post". Preise würden ein wichtiges Signal senden, dass Leute sparen. "Wenn wir die Preise heruntersubventionieren, nehmen wir einen wichtigen Sparanreiz", sagte Höning. Man müsse den Preismechanismus wirken lassen, damit auch das Angebot wieder hochkomme. Die Bundesregierung laufe mit der Gießkanne durch Deutschland, nicht alle Leute bräuchten Unterstützung. "Ein Bayer-Chef braucht keinen Tankrabatt".

Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

CDU-Mann Jung hatte der Ampel gerade erneut vorgeworfen, sich zu viel Zeit gelassen zu haben. Gesprächsformate mit Beteiligung der Ministerpräsidenten, ähnlich wie im Rahmen der Pandemie, seien geboten. Da holte Kühnert aus und verwies zunächst auf die drei Entlastungspakete: "Das sind alles Maßnahmen, die uns jetzt helfen. Was uns nicht hilft, ist eine längliche Problembeschreibung von irgendwelchen Sitzungen, die man hätte abhalten sollen".

Jung funkte in unverständlicher Lautstärke dazwischen, bis Kühnert wieder das Wort ergriff: "Sie müssen doch nicht so tun als hätte in irgendeinem Rathaus in Deutschland jemand noch nicht längst entschieden, dass Temperaturen dort auf 19 Grad gesenkt werden." Man müsse niemanden zu einer Sitzung einladen, damit die Vernunft Einzug halte. Entscheidungen könne es aber erst geben, "nachdem man Fakten abgewogen und Rechtssicherheit hergestellt" habe.

Dazu müsse sich Scholz mit Expertinnen und Experten austauschen. "Sonst sind Sie doch und zwar zurecht, in vier Wochen der erste, der hier mit uns zusammensitzt und uns durchs Studio durchprügelt, dass wir uns das nicht ausreichend überlegt haben, wie das funktioniert. Wir haben jetzt einen Schuss frei und der muss sitzen."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Journalistin Höning kritisiert die Gas- und Strompreisbremse scharf: Schon jetzt würden die privaten Haushalte zu wenig sparen, obwohl die Preise so hoch seien. Sie war sich sicher: "Wenn wir die Preise heruntersubventionieren, nehmen wir einen wichtigen Sparanreiz." FDP-Mann Dürr widersprach: "Der Anreiz ist da, der Anreiz ist absolut da – für alle Betriebe, für alle privaten Haushalte". Jeder mache sich darüber Gedanken zuhause, wo er noch spare könne.

"Das Preissignal alleine reicht nicht, um die Menge auszuweiten", sagte er über die Angebotsseite auf dem Energiemarkt. Bei der Frage der Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke brauche es schnell eine politische Entscheidung. "Da würde ich mir von den ersten Schritten von Robert Habeck noch ein bisschen mehr Bewegung wünschen", wiederholte er in Richtung Koalitions-Partner.

So hat sich Anne Will geschlagen

Anne Will hatte an den richtigen Stellen die richtigen Argumente parat. Besonders FDP-Politiker Dürr ließ sie nicht davonkommen. Als er die Preissubventionierungen verteidigte erinnerte sie ihn beispielsweise daran: "Anfang September haben Sie noch etwas ganz anderes gefordert, da waren Sie noch überhaupt kein Fan von irgendwelchen Energiepreisdeckeln". Entlarvend schob sie dann noch hinterher: "Was ist passiert, außer, dass nächste Woche Landtagswahl in Ihrem Heimatbundesland ist?" Als Dürr dann sagte "Das sind jetzt 200 Milliarden Schutzschirm", korrigierte Will seine Wortwahl und kommentierte "Schulden".

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

Ein Abend mit mehreren Erkenntnissen: Auffällig war zum einen, wie FDP-Politiker Dürr den Abend nutzte, um seinen Wunsch der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken an Koalitionspartner Habeck zu spielen. Deutlich wurde außerdem, dass in einer Frage scheinbar Uneinigkeit herrscht. Wie viel Sparanreiz gibt es in der Bevölkerung bereits? Und zuletzt formulierte Journalistin Höning ein wichtiges Ergebnis, nachdem sie die Streitigkeiten zwischen Regierungs- und Oppositionsvertretern beobachtete: "Ich glaube, die Bevölkerung findet das gerade ziemlich abschreckend, wie Sie sich gegenseitig Vorwürfe machen, anstatt gemeinsam zu gucken, was man da machen kann".

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