Das Haushaltsurteil hat die Ampel in eine Regierungskrise gestürzt. Angesichts dessen fordert Altbundespräsident Joachim Gauck bei Maischberger von Bundeskanzler Olaf Scholz eine neue kommunikative Entschlossenheit. Sänger Heinz Rudolf Kunze ist derweil so desillusioniert, dass er sogar einer neuen GroKo etwas abgewinnen könnte.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wie soll die Ampel-Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die aktuelle Haushaltskrise überwinden? Wie sicher sitzt die Regierung überhaupt noch im Sattel? Das waren die zentralen Fragen in der Dienstagsausgabe von Sandra Maischberger.

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Am Ende der Sendung sprach Altbundespräsident Joachim Gauck mit der Gastgeberin über den Vertrauensverlust der Bürger in die Politik, die Auswirkungen der Kriege in Nahost und der Ukraine und einen Kurswechsel in der deutschen Migrationspolitik. Auch Scholz' Führungsstil kam zur Sprache.

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Das waren die Gäste

  • Oskar Lafontaine: Der ehemalige SPD- und Linken-Parteichef kritisiert die Energiepolitik der Regierung und den Verzicht auf billige Energie aus Russland aufgrund des Ukrainekrieges. Auch die immer neuen Waffenlieferungen an die Kiew seien aufgrund Tausender von Toten seit Kriegsbeginn nicht zu verantworten. "Was hat es gebracht?", fragte Lafontaine. "Dass die Ukraine nicht von Russland erobert wurde, vielleicht?", hätte man ihm in diesem Moment gern geantwortet. Engere Beziehungen zu Russland stellte er in die Tradition seines politischen Vorbildes Willy Brandt. "Das ist nicht AfD-nah, sondern ein Gebot der Vernunft", stellte Lafontaine klar. Und was sagte der frühere Bundesfinanzminister zur aktuellen Haushaltskrise? Von der Schuldenbremse hält er nicht viel. Um die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgekommenen Milliarden-Löcher zu stopfen, brauche es Investitionen in Infrastruktur. Die Migrationspolitik nannte er "töricht", Lafontaine forderte mehr Unterstützung in Afrika, um die Fluchtursachen zu bekämpfen und den Ärmsten der Armen zu helfen. Ein aktives Engagement in der geplanten Partei seiner Ehefrau Sahra Wagenknecht schloss Lafontaine aus Altersgründen aus. "In der ersten Reihe möchte ich nicht mehr stehen".
  • Joachim Gauck: Der Bundespräsident a.D. vermisst derzeit eine Politik, die "erkennbar führt". Vor allem in der Migrationspolitik, die viele Bürger umtreibt. Seine Sorge ist, dass das Vertrauensdefizit in die liberale Demokratie damit weiter zunimmt. Deswegen ist Gauck für eine Verschärfung des Kurses. Aber nicht, weil er eine "Entheimatung" fürchtet, wie er es nannte. Der Staat müsse auch unsympathische Spielräume entdecken: die Grenzen dichter machen, Leute zurückschicken ohne Aufenthaltstitel und mit Ländern wie Tunesien zusammenarbeiten, um ihre Bürger zurückzunehmen. Gauck warb leidenschaftlich für die Unterstützung Israels und kritisierte das langjährige Wegschauen beim muslimischen Antisemitismus hierzulande als "falsche Toleranz". Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ärgert er sich jedoch mehr über deutschen Antisemitismus.
  • Heinz Rudolf Kunze: Der Rocksänger und Liedermacher ist vom Bundeskanzler enttäuscht. Scholz habe laut ihm "keine Vision, hat keinen grundsätzlichen Plan." Ob er für ihn wie für die SPD-Ikone Willy Brandt trommeln würde, wollte Maischberger wissen. "Wenn, dann aus Mitgefühl." Kunze ist von der Ampel so desillusioniert, dass er sogar einer neuen Großen Koalition etwas abgewinnen könnte. "Das fanden wir mal sehr schlecht, aber die Dinge haben sich geändert." Sollte die Regierung keine Wende in der Migrationspolitik schaffen, befürchtet er einen weiteren Rechtsruck. "Die allermeisten wollen überhaupt keinen einzigen Flüchtling mehr", schilderte er Eindrücke aus seinem Umfeld. Schließlich bekannte sich Kunze – in der Kulturszene durchaus keine Selbstverständlichkeit – klipp und klar zu Israel. "Sie müssen siegen. Sie sind dazu verdammt."
  • Ulrike Herrmann: Die Wirtschaftskorrespondentin der "taz" warf CDU-Chef Merz angesichts seiner Kritik an der Haushaltspolitik der Regierung Heuchelei vor. Merz tue so, "als habe die Union noch nie einen Schattenhaushalt gegründet", sagte Herrmann. Dabei habe es 27 Schattenhaushalte unter Angela Merkel gegeben. "Die Idee, dass man an der Schuldenbremse vorbeiarbeitet, ist der Union bekannt". Herrmann rechnet daher damit, dass die Schuldenbremse mit Unterstützung der Union aufgeweicht wird, weil auch die CDU geführten Bundesländer viel Geld für neue Investitionen benötigen. Neuwahlen hält die taz-Frau für unwahrscheinlich. Zum einen, weil die AfD stark gewinnen würde. Zudem sei aus Sicht der CDU Friedrich Merz kein geeigneter Kanzlerkandidat. Außerdem liege die FDP gerade "knapp über der Todeszone" mit nur 5,5 Prozent in den Umfragen. Sie empfahl den Liberalen, den nicht funktionierenden Kurs "Opposition in der Regierung" aufzugeben. Schließlich warb Herrmann dafür, konstruktiv mit Zuwanderung umzugehen und die Menschen angesichts des Bedarfs besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
  • Nikolaus Blome: Der Leiter des Politikressorts von RTL/n-tv riet Bundeskanzler Scholz dazu, die Einnahmen zu erhöhen und die Ausgaben zu senken. "Dann braucht er die ganzen Schulden nicht". Allerdings denkt Blome nicht, dass Scholz einen Plan hat. Trotz der Regierungskrise hält der Experte Neuwahlen für "ziemlich überflüssig". Und ein radikaler Kurswechsel nach Neuwahlen wäre in seinen Augen ohnehin nicht möglich, weil die CDU dann mit mindestens einer oder zwei Ampelparteien wieder zusammenarbeiten müsste. CDU-Chef Merz kritisierte Blome für dessen Metapher "Klempner der Macht", mit der er im Bundestag das wenig vorausschauende Agieren des Kanzlers attackierte. Diesen hätte Blome so nicht verwendet, weil Merz damit eine ganze Branche schlecht macht.

Das war der Moment des Abends

Joachim Gauck rechnete wortgewaltig mit Lafontaines Russland-Positionen ab. Er nannte es eine "neue Verfehlung von Wirklichkeit", heute mit Russland so zu sprechen, als wäre es nur ein "Geschäftspartner mit einer etwas anderen Geschäftsmoral".

Damit würde man nur "so tun, als sei man in der Spur von Willy Brandt", fuhr Gauck fort. Die Entspannungspolitik des SPD-Kanzlers in den 70er-Jahren lobte Gauck ausdrücklich, aber irgendwann sei die Politik des Westens gegenüber Moskau zu einer Art Appeasement geworden – ohne dass sich Land etwa in Hinblick auf die Demokratie positiv entwickelt hat.

Heute wird der russische Präsident Wladimir Putin von manchen gar als Diktator bezeichnet. Zu denken, wir könnten "von so einem Kriegsverbrecher billiges Öl haben, das ist ja wohl grotesk", schimpfte Gauck.

Das war das Rededuell des Abends

Ulrike Herrmann fragte sich, ob es wirklich gut ist, den ganzen Gazastreifen flächendeckend zu bombardieren. "Man muss die Hamas treffen, aber nicht unbedingt alle im Gazastreifen".

Nikolaus Blome widersprach energisch. Für ihn sieht das "nicht aus wie eine rücksichtslose Kriegsführung". Die könne man in Teilen der Ostukraine sehen, sie sei in Tschetschenien und bei Russlands Bombardierungen in Syrien zu sehen gewesen. "Das war rücksichtslose Kriegsführung. In der vollen Absicht, der Zivilbevölkerung das Rückgrat zu brechen. Das kann ich im Gazastreifen durch Israel absolut nicht erkennen", so Blome.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Worüber haben Oskar Lafontaine und Altkanzler Gerhard Schröder eigentlich bei ihrem kürzlichen Versöhnungstreffen gesprochen? Einige Themen hätten sie bewusst ausgelassen, berichtete der frühere SPD-Vorsitzende Lafontaine.

"Also haben Sie nur über Russland gesprochen?", wollte Sandra Maischberger spitzfindig wissen. "Nein", versicherte Lafontaine. Es gab natürlich auch viele andere Themen. Maischberger hatten ihre besten Szenen wie so oft bei den Einzelinterviews.

So auch bei Joachim Gauck am Ende der Sendung, als sie mehrfach nachhakte, was er denn mit den unsympathischen Spielräumen in der Migrationsfrage gemeint habe.

Das ist das Fazit

Der Kanzler gibt eine ganz schlechte Figur ab, der Regierung droht der nächste Dauerstreit, aber trotzdem wird die Ampel zusammenbleiben. Weil eine Stärkung der AfD droht oder die FDP aus dem Bundestag fliegen könnte. So der mehrheitliche Tenor der Runde am Dienstagabend bei Sandra Maischberger.

Auch für Joachim Gauck wären Neuwahlen jetzt gar keine gute Lösung, es drohe dann eine Phase elementarer Verunsicherung. Was ist dann die Lösung?

Es klang etwas naiv, aber Gauck setzt bei der Regierung "in Puncto Kommunikation" auf "eine neue Entschlossenheit". Was man als Hinweis an den Bundeskanzler verstehen durfte. Scholz könnte neues Vertrauen fördern, indem er auch mal zugibt, dass die Regierung etwas nicht schafft.

Nur: Eigene Fehler eingestehen, war bislang nicht die große Stärke von Olaf Scholz, um es vorsichtig auszudrücken. Wenn Scholz kommunikativ auf seiner Linie bleibt, dann besteht für Gauck die Gefahr, dass der größere Teil der Menschen solchen hohlen Phrasen kein Vertrauen schenkt und bei der nächsten Wahl den Weg ins Wahllokal eher nicht finden wird.

Wer sich die jüngste Regierungserklärung des Kanzlers angehört hat, konnte wenig Hoffnung schöpfen, dass er zu einer kommunikativen Wende fähig ist.

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