Bayerns Ministerpräsident verpasst "maischberger. die woche" – und kann deshalb nicht auf eine Provokation von Österreichs Bundeskanzler Kurz reagieren. Ein Epidemiologe gibt einen leicht gruseligen Einblick in das Potenzial von Big Data.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ach menno, Groko! Weil der Koalitionsausschuss länger als geplant tagte, musste Bayerns Ministerpräsident Markus Söder seine Schalte in die nächtliche Ausgabe von "maischberger. die Woche" kurzfristig absagen. Jammerschade – zu gern hätte man gesehen, was Söder auf den nassforschen Auftritt des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz antwortet, der den Titel "Europas größte Virenschleuder" nonchalant von Ischgl nach München weiterreichte. Aber auch ohne das Nachbarschaftsduell belohnte die Sendung Nachteulen mit einigen Aha-Effekten – und einem leicht gruseligen Vorgeschmack auf das Potenzial von Big Data in der Corona-Bekämpfung.

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Das sind die Gäste bei "maischberger. die woche"

Der Publizist Wolfram Weimer lobt die Bundesregierung für das Krisenmanagement in den vergangenen Wochen. Nun müssten aber schnelle Lockerungen her, damit die Wirtschaft keinen "irreparablen Schaden" nehme – selbst wenn die Entwicklung der Pandemie schwer vorherzusehen sei: "Auf Sicht fahren ist ehrlich und transparent, bedeutet aber auch: fahren."

Die Morgenmagazin-Moderatorin Anna Planken hat sich im Skiurlaub in Österreich mit dem Coronavirus infiziert und ist mittlerweile genesen. Mittlerweile hangelt sie sich durch den schwierigen Alltag zwischen Homeschooling und Homeoffice ("Es ist die Pest") und versteht deswegen den Wunsch nach "guten Nachrichten und Hilfe". Allerding sei klar: "Nichts ist ohne Preis, wenn die Schulen öffnen, gehen die Infektionszahlen wieder hoch."

Tipps für die Work-Family-Life-Balance könnte sich Planken bei Robin Alexander holen. Im Nebenjob ja auch noch Vize-Chefredakteur der "Welt", kommt Alexander trotz des 24/7-Dienstes als Talkshow-Allzweckwaffe laut eigener Auskunft auch noch dazu, seinem Sohn das kleine Latinum einzupauken. Cui honorem, honorem!

Zwischen Ablativ und o-Deklination macht er sich noch Gedanken, wie er das Coronavirus mit seinem Leib-und-Magenthema Flüchtlingskrise zusammenbaut, et ecce: Merkels Diktum von den "Öffnungsdiskussionsorgien" sei falsch gewesen, die Debatte müsse geführt werden. "Der Fehler bei der Flüchtlingskrise war, dass alle Parlamentsparteien einer Meinung waren, und die Bevölkerung sich nicht wiedergefunden hat."

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Das ist der Moment des Abends

Ertappt! Die Menschen in Thüringen und Sachsen dachten wohl, es käme ihnen niemand auf die Schliche, aber da haben sie die Rechnung ohne Dirk Brockmann gemacht: Der Physiker vom Robert-Koch-Institut enthüllt im Interview mit Maischberger, dass in einigen Regionen der Ost-Bundesländer die Mobilität schon wieder fast normales Niveau erreicht.

Brockmann liest das aus Bewegungsdaten ab – ein interessanter bis gruseliger Einblick in das Potenzial einer verpflichtenden Corona-App. Die Frage ist ja vor allem, was Behörden mit solchen Daten anfangen könnten. Vielleicht per Push-Nachricht eine Rüge an alle Bewohner eines besonders bewegungsfreudigen Landkreises verschicken?

Noch werden die Daten nur interpretiert, was schon spannend genug ist. Brockmann kann zeigen, dass schon vor dem Lockdown die Mobilität gesunken ist. Offenbar haben schon die ersten Appelle der Politik Wirkung gezeigt. Aber die Einsicht schwindet offenbar, die Mobilität steigt.

"Die Menschen sind müde geworden", vermutet Forscher Brockmann. "Keine so gute Nachricht." Vor einer zu schnellen Rückkehr zur Normalität warnt Brockmann, sonst werde sich zwangsläufig eine zweite Welle entwickeln. Wie lange es dauern würde, fragt Maischberger. "Wir müssten einfach nur zwei Wochen warten, dann würde es wieder losgehen."

Das ist das Rede-Duell des Abends bei "maischberger.die woche"

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz gilt als undankbarer Interviewpartner, weil er nie von seiner Botschaft abweicht. Man könnte ihn nachts aufwecken und ihm noch einmal Sandra Maischbergers Fragen stellen, er würde sie bis auf die Silbe gleich beantworten. Der Vorteil: Die Leute prägen sich seine Worte ein.

Bei Maischberger darf Kurz eine Erfolgsgeschichte erzählen: Die ersten Maßnahmen sind gelungen, die Neuinfektionen im zweistelligen Bereich, alle Kennzahlen so gut, dass Österreich wieder "hochfahren" könne – allerdings "behutsam". Bleibt alles im grünen Bereich, könnten im Sommer sogar deutsche Touristen an den Wörthersee reisen.

An dieser Stelle versucht Maischberger Kurz mit der Causa Ischgl zu konfrontieren - über den Tiroler "Ballermann der Alpen" hat sich der Virus in ganz Europa verbreitet, schon 5.000 Menschen haben sich einer Sammelklage gegen die Behörden angeschlossen, die meisten davon aus Deutschland. In Österreich lassen sich 57 Prozent aller ausgewerteten Corona-Infektionen auf Ischgl zurückführen.

In Ischgl habe wohl "Gier über Gesundheit gesiegt", sagt Maischberger, Kurz wiegelt ab: Wenn es Fehlverhalten gab, werde das bestraft. "Mit dem Blame Game tue ich mich aber schwer." Trotzdem noch leicht genug, um plötzlich München als Umschlagsplatz des Virus' ins Gespräch zu bringen – wie gesagt: Ewig schade, dass Markus Söder auf diese Provokation nicht antworten konnte.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Das Fehlverhalten der Tiroler Verantwortlichen, übrigens ÖVP-Parteifreunde von Kurz, ist bestens dokumentiert, Maischberger verzichtet trotzdem auf ein Nachhaken, offenbar fest entschlossen, sich nicht von ihrer Ursprungsthese abbringen zu lassen: Österreich kann als Vorbild für Deutschland dienen, denn "es scheint ja einen Plan zu geben." Was Robin Alexander gleich unterstreicht und Angela Merkel in der Gegenüberstellung vorwirft, sie bewege sich nur "tastend". Kurz sei "mutiger".

Wer die österreichischen Verhältnisse genauer kennt, weiß, dass es derzeit eher einen Plan für einen Plan gibt: Am Dienstag skizzierte Kurz grob einige Lockerungen, verwies für Details allerdings auf die nächsten Tage.

In welchem Modus die Schulen öffnen, wird erst am Freitag bekannt, Eltern von Kindergarten-Kindern warten seit Wochen auf Klärung, ob und wann der Notbetrieb aufgehoben wird. Die Regeln für die Gastronomie werden erst Ende April bekannt gegeben.

Die schönen Bilder vom Sommerurlaub am Wörthersee warten noch auf Grundierung, Berlin hat zurückhaltend reagiert, das Thema ist in Österreich ungleich wichtiger, wo normalerweise jeder dritte Gast aus dem nördlichen Nachbarland einreist. Will Kurz den heimischen Tourismus retten, braucht er deutsche Gäste.

All das hätte Maischberger wissen oder herausfinden können, aber es hätte die schöne These zerstört. Glücklicherweise zeigte sie sich bei den anderen Gästen wissbegieriger und hartnäckiger: Physiker Brockmann ließ sie nicht eher von der Angel, bis die beiden sämtliche Varianten der Reproduktionszahl R0 durchgespielt hatten. Anstrengend und fordernd, aber aufschlussreich.

Das ist das Ergebnis

"Es ist alles nicht so einfach, wie Herr Kurz es uns weismachen will", sagt ARD-Moderatorin Anna Planken, und das hätte wohl sogar Kurz selbst eingestanden. Immerhin scheint sich die Debatte nun zu öffnen, und dabei, meint Wolfram Weimer, könne man von vielen Ländern lernen: Österreich, Südkorea, vielleicht sogar Schweden.

Erst im Nachgang werden wir wissen, welcher Weg am ehesten richtig oder eben falsch war im Kampf gegen den noch immer großteils unerforschten Virus. Einen Fehler der Bundesregierung erkennt Weimer aber schon jetzt: das Hin und Her in der Maskenfrage. "Man kann nicht vor zwei Monaten sagen, das sind Virenschleudern, und nun führen alle Bundesländer Masken ein."

"Wir werden schon bald wieder stärker in die Auseinandersetzung gehen", hat Sandra Maischberger dieser Tage in einem Interview mit dem Branchendienst "DWDL" angekündigt. Einen Vorgeschmack gab es schon an diesem sehr späten Mittwochabend.

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