Während sich Friedrich Merz schon über seinen möglichen Sieg beim CDU-Mitgliederentscheid freute, beklagte der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit bei Maybrit Illner ein "irres Problem" bei der Pandemie-Bekämpfung. Die gut aufgelegte Gastgeberin machte sich derweil über Finanzminister Christian Lindner (FDP) und seine Vorliebe für schnelle Autos lustig.
Einen Tag bevor das Ergebnis des Mitgliederentscheids über den neuen CDU-Vorsitzenden präsentiert wird, war ein gut gelaunter
Beim Streitthema Impfpflicht verzichtete Merz gegenüber dem neuen SPD-Co-Vorsitzenden
Das war das Thema bei Maybrit Illner
"Corona: Politik in der Krise – Krise der Politik?": Das Thema bei Maybrit Illner bot jede Menge Zündstoff, doch so richtig in ihrer neuen Rolle als politische Gegner angekommen waren die Vertreter der abgewählten Großen Koalition Friedrich Merz (CDU) und Lars Klingbeil (SPD) noch nicht.
Klingbeil wünschte sich verständlicherweise weiter ein überparteiliches Vorgehen in der Corona-Pandemie. Und tatsächlich blieb Merz für seine Verhältnisse zahm im Umgang mit der Partei von Kanzler
Wer waren die Gäste bei Maybrit Illner?
Lars Klingbeil (SPD): Der neue Co-Parteivorsitzende kündigte bei der Bekämpfung der Pandemie-Folgen eine stärkere Digitalisierung der Verwaltung an. So seien die Novemberhilfen des Vorjahres auch deswegen erst im März 2021 angekommen, weil dafür erst eine Plattform aufgebaut werden musste. Klingbeil will auch die Genehmigung von Windrädern von sechs Jahren auf sechs Monate drücken. Ehrgeizige Ziele. "Wir müssen in der Modernisierung des Staates vorankommen", forderte der frühere SPD-Generalsekretär.
Friedrich Merz: Der Kandidat für den CDU-Parteivorsitz gab zu, dass er und seine Partei vor dem Herbst trotz der Warnungen von Experten "zu optimistisch" in der Beurteilung der Corona-Entwicklung gewesen seien. Trotzdem wiederholte er die angesichts von mehr als 100.000 Toten sehr fragwürdige Behauptung, bisher sei Deutschland gut durch die Krise gekommen. Bedenken äußerte Merz bei der konkreten Ausgestaltung der geplanten allgemeinen Impfpflicht. Wenn der Staat eine solche Pflicht etabliere, "muss er eine gewisse Gewähr haben, dass das eingehalten wird", sagte er. "Wer kontrolliert das?". Klingbeil blieb eine Antwort schuldig. Merz kritisierte außerdem, dass ein nationales digitales Impfregister wie in Spanien in Deutschland an datenrechtlichen Bedenken scheitern würde. Hierzulande sei man zu zögerlich bei großen Entscheidungen und verliere sich im Detail.
Daniel Cohn-Bendit (B´90/Die Grünen): Der langjährige EU-Abgeordnete setzte bei der Bekämpfung der Pandemie auf einen starken Staat. "Corona hat uns gezeigt, dass er nicht gut funktioniert hat." Gemeint war der deutsche Föderalismus. "Im Endeffekt unverantwortlich" nannte Cohn-Bendit die vielen widersprüchlichen und uneinheitlichen Entscheidungen der Länder. Eine allgemeine Impfpflicht befürwortete der deutsch-französische Publizist daher: Beim Ziel die Pandemie zu beenden, seien 20 Prozent Impfgegner "ein irres Problem".
Das war der Moment des Abends
Lars Klingbeil hatte sich in den vergangenen Monaten mehrfach gegen eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland ausgesprochen. Nun wird die umstrittene Maßnahme vermutlich im Frühjahr doch kommen – mit der Zustimmung des SPD-Politikers.
"Ich bekenne aus heutiger Sicht: Das war ein Fehler", gab er zu. Manche Dinge wie die geringe Impfbereitschaft in der Bevölkerung sind in Klingbeils Augen nicht vorhersehbar gewesen. Daher hat er seine Position geändert - und gab das auch offen zu.
Das war das Rededuell des Abends
In einer insgesamt konfliktarmen Sendung gerieten Friedrich Merz und Lars Klingbeil nur beim Thema Finanzen aneinander. Hintergrund: FDP-Finanzminister
Die Oppositionsparteien halten den Schachzug für verfassungsrechtlich bedenklich. "Herr Merz, Sie wollten die schwarze Null einhalten, sie wollten Investitionen", sagte Klingbeil zum CDU-Finanzexperten. Daraufhin schnitt Merz ihm das Wort ab. "Wahlkampf ist vorbei. Sie haben die Wahl gewonnen. Alles gut". Klingbeil kritisiert daraufhin, die CDU habe nie erklärt im Wahlkampf, "wie sie ihre Ziele eigentlich hinkriegen wolle".
Daraufhin antwortete Merz: "Dieses Land hat kein Geldproblem". Die Frage sei, wie die Investitionen auf die Straße kommen, ob es die Regierung schaffe, dass alle Mittel durch eine Verwaltungsmodernisierung auch zeitnah abgerufen werden können. "Dann haben Sie unseren Respekt", so Merz.
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Maybrit Illner präsentierte sich ungewohnt ironisch-bissig, fast wie ihr Talk-Kollege Frank Plasberg so oft bei "Hart aber fair". Etwa als sie Lars Klingbeil fragte, wie die Zustimmung Christian Lindners zu den Haushaltsumschichtungen, die dieser zuvor vehement abgelehnt hatte, zustande gekommen ist. "Was haben Sie ihm gegeben? Darf der jetzt schneller Auto fahren auf der Autobahn?", fragte die Gastgeberin. Lindner ist bekennender Porsche-Fan.
Zudem legte sie bei Daniel Cohn-Bendit den Finger geschickt in die Wunde: "Sie standen für die Bürgerrechte. Ist das jetzt alles Aufgabe des Staates?", fragte sie den Grünen-Politiker zu seiner Unterstützung der allgemeinen Impfpflicht "Es ist nicht alles Sache des Staates", sagte Cohn-Bendit daraufhin. Aber wenn Leben auf dem Spiel stünden, dann sei es "die verdammte Pflicht des Staates" Leben zu schützen.
Das Fazit
Eine "Krise der Politik", wie es der Titel der Sendung suggerierte, wollten weder Lars Klingbeil noch Friedrich Merz sehen. Da hielt die abgewählte GroKo noch einmal zusammen. Eher sah schon Cohn-Bendit große strukturelle Probleme, wollte seine Kritik am Föderalismus aber auch nicht grundsätzlich verstanden wissen.
Bettina Schausten erwartet, dass die Politik in der Pandemiebekämpfung nicht nochmal die gleichen Fehler macht und immer wieder Ziele formuliert und Erwartungen weckt, die später kassiert werden müssen. Das nahm sich Lars Klingbeil sofort zu Herzen und vermied es tunlichst ein Ende der Pandemie zum Zeitpunkt x, y oder z anzukündigen.
Blieb noch Friedrich Merz, der bei Illner den Gute-Laune-Bär gab. Der Grund war klar: die Verkündung des CDU-Mitgliederentscheids am Freitag. Merz äußerte "ein gewisses Maß an Zuversicht, dass ich ein gutes Wahlergebnis habe". Ob die Volksparteien tatsächlich keine Volksparteien mehr seien "diskutieren wir beim nächsten Mal, wenn ich Vorsitzender bin", sagte der schon zweimal gescheiterte Kandidat fast etwas großspurig zu Illner.
Andererseits: Wer will dem 62-Jährigen die Freude über seinen möglichen späten Triumph verdenken? Da kann das Parteiengezänk über die Corona-Politik schon mal in den Hintergrund geraten und zu einem eher semi-unterhaltsamen Talk führen.
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