Mit den Aussagen Joshua Kimmichs, dass er sich derzeit nicht impfen lassen möchte, wurde nicht nur offensichtlich, dass sich wohl immer noch einige Mythen über das Impfen halten. Es wurde auch deutlich, wie viele Dimensionen beim Umgang mit dem Impfen zum Tragen kommen: Arbeitsrechte, Persönlichkeitsrechte, Egoismus, Gemeinsinn, Vorbildfunktion und Privatsphäre.

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Wie kann man mit diesen zum Teil gegensätzlichen Interessen die Pandemie überwinden? Dementsprechend fragte Maybrit Illner am späten Donnerstagabend: "Kein Schutz, keine Freiheit – Lockdown für Ungeimpfte?"

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:

Darüber diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen:

Ist Impfen Privatsache? Diese Frage stellt sich zwar nicht erst heute. Aber seit Fußballprofi Joshua Kimmich erklärte, warum er sich noch nicht impfen lässt, wird sie umso intensiver diskutiert. Und so ist die Causa Kimmich und damit auch die Frage nach der Privatsache auch Thema bei Maybrit Illner.

Boris Palmer fordert eine Versachlichung der Diskussion: "Ich finde, wir geraten in dieser Gesellschaft zu leicht in Erregung." Johannes B. Kerner sieht Kimmichs Argumente kritisch: "Er hat sich in der Argumentation mit den Langzeitfolgen einfach vergaloppiert", erklärt der Moderator und Virologe Schmidt-Chanasit ergänzt: "Es haben sich Milliarden Menschen impfen lassen. Das heißt: Auch seltenste Nebenwirkungen sind bekannt."

Auch der Erste Bürgermeister von Hamburg und Mediziner Peter Tschentscher verweist erst einmal auf die medizinischen Fakten: "Es ist sehr viel sicherer, sich impfen zu lassen, als mit diesem Virus in Kontakt zu kommen." Darf ein Fußballprofi sich also zwar in der medizinischen Einschätzung irren, sich aber dennoch auf das Argument Privatsphäre berufen? Auch hier gibt es keine eindeutigen Antworten.

Alena Buyx bezeichnet das Impfen bereits zu Beginn als einen "Akt der Solidarität" und so sieht es auch Peter Tschentscher: "In dieser Corona-Pandemie entscheiden wir für uns selber, aber ein Stück weit auch für die Gemeinschaft mit. Und wir würden jetzt in einer ganz, ganz schwierigen Lage sein, wenn wir nicht diese hohen Impfquoten schon hätten."

Wann, so die Anschlussfrage von Maybrit Illner, endet dann die Fürsorgepflicht des Staates für Ungeimpfte? Sich impfen zu lassen, so Buyx, sei "nach wie vor eine private Entscheidung". Der Staat habe aber nicht nur die Fürsorgepflicht für die Person, der ein Impfangebot gemacht wird, sondern auch für alle anderen, erklärt Buyx und verweist auf ein Papier, das Kollegen in Österreich veröffentlicht hätten mit dem Titel "Eine Pandemie ist keine Privatsache". Dementsprechend fällt auch Buyx’ Urteil aus: "Wer sich jetzt im Moment nicht impfen lässt und das Risiko eingeht, sich mit dieser sehr ansteckenden Delta-Variante zu infizieren, der geht auch das Risiko ein, ins Krankenhaus zu gehen."

Manche Krankenhäuser seien schon wieder am Limit und deshalb habe die Frage nach dem Impfen einen großen Effekt auch auf andere Menschen, wie zum Beispiel die Krankenhausmitarbeiter. "Wir hängen da zusammen drin – ob wir wollen oder nicht", so Buyx’ Fazit.

Der Schlagabtausch des Abends:

So richtig zur Sache ging es an diesem Donnerstagabend nicht, Meinungsverschiedenheiten gab es trotzdem. So kommt für Tschentscher die Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite noch zu früh. Man habe in den vergangen Monaten mit den Impfungen einen "Deich gegen die Flut" aufgebaut, "und jetzt kommt die Flut. Wir sind im Herbst. Jetzt kommt der saisonale Effekt und jetzt werden wir in den kommenden Wochen erfahren, ob der Damm hält."

Tschentscher will diese epidemische Lage noch bis Ende des Jahres aufrechterhalten. Wenn das nicht gewünscht ist, solle man wenigstens die Schutzmaßnahmen, die man trotzdem noch braucht, rechtlich absichern. Boris Palmer sieht das anders: "Ich finde, dass diese Balance zwischen Freiheit und Gesundheitsschutz gewahrt werden muss." Buyx Bedenken, dass das schwierig zu kommunizieren sei und die Bürger dadurch leichtsinnig würden, obwohl die Lage manchenorts kritisch sei, sieht Palmer nicht. Die Menschen würden schon verstehen, wenn man ihnen sagt: "Leute, die Notlage ist vorbei, aber es ist immer noch ernst."

Der Realitätscheck des Abends:

Die Debatte zur Impflicht – ob moralisch oder rechtlich – wurde bisher oft auf einer sehr theoretischen Ebene geführt. Der Fall Kimmich hat nicht nur die vielen Dimensionen, die beim Impfen eine Rolle spielen, aufgedeckt, sondern gleichzeitig auch die Lebenspraxis ins Spiel gebracht. An diesem Abend waren es zum einen Hausärztin Sibylle Katzenstein und Politiker Palmer, die beide ein bisschen mehr Praxisbezug herstellten. So berichtete Katzenstein von ihren Erfahrungen im Umgang mit skeptischen oder ängstlichen Menschen und Boris Palmer erzählte von Regel-Absurditäten.

So müssten sich die Beschäftigten mit Außenkontakt zweimal pro Woche testen lassen. Gleichzeitig dürfe der Arbeitgeber aber nicht wissen, ob sie sich testen. "Meiner Meinung nach ist das nicht zu Ende gedacht." Ein Problem, vor dem sicher derzeit viele Arbeitgeber stehen. Zum Beispiel diejenigen, die Veranstaltungen anbieten und bei ihren Gästen die 2G-Regel anwenden, ihre Mitarbeiter, die die Veranstaltungen durchführen, aber nicht nach ihrem Impfstatus fragen dürfen. Das scheint für die Praxis absurd, macht aber gleichzeitig die verschiedenen Spannungsfelder, wie hier zwischen Arbeitsrecht und Persönlichkeitsrechten, sichtbar.

Die Erkenntnisse des Abends:

Wenn sich jemand nicht impfen lässt, obwohl er könnte, so lässt sich aus der Argumentation der Runde schließen, schadet er in erster Linie sich selbst. In zweiter Linie verhält er sich unsolidarisch.

Jonas Schmidt-Chanasit will die Diskussion aber von den wenigen Impfunwilligen auf andere, wichtigere Felder lenken und sieht hier vor allem drei Bereiche. Zum einen müssten die Booster-Impfungen möglichst schnell erfolgen, alleine das sei schon "eine gewaltige Aufgabe". Zweitens müsse es niedrigschwellige Testangebote für die Menschen geben, "die wirklich gefährdet sind" und drittens müsse der Pflegenotstand gesehen und behoben werden.

Es gab also viele Fragen an diesem Abend – aber eben auch viele Antworten. Und am Ende hatte Johannes B. Kerner sogar noch eine Lösung für die Causa Kimmich parat: "Die Mannschaftsärzte des FC Bayern München sollten sich den Kimmich morgen Früh schnappen und mit ihm nochmal ganz intensiv darüber reden. Was er dann entscheidet, bleibt seine persönliche Sache, aber sie sollten intensiv mit ihm sprechen."

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