Einbrüche, Anis Amri, Respektlosigkeit gegenüber der Polizei. Über vieles wurde gesprochen am Donnrstagabend Abend bei "Maybrit Illner": Am Ende ging es aber doch vor allem um NRW-Wahlkampf für Sonntag. Den ersten großen Streit gab es schon vor der Sendung.

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Die Sendung hatte noch gar nicht angefangen, da hatte "Maybrit Illner" schon ihren ersten großen Aufreger: Stunden vor der Aufzeichnung zog die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen ihre Zusage zurück.

Sie sollte sich beim Spezial zum Thema "Notruf im Wahljahr – Wie sicher ist Deutschland?" ein Streitgespräch mit der stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Beatrix von Storch liefern, nicht aber in der großen Runde mitdiskutieren – das war der Partei offenbar zu wenig, die sich an den "Katzentisch" versetzt fühlte, wie es in einer Mitteilung der Bundestagsfraktion der Linken heißt.

Markus Lanz hatte Kubicki abgesagt

Besonders störte sich die Linke daran, dass Wolfgang Kubicki am selben Tisch wie Maybrit Illner sitzen durfte. Dabei konnte man seinen Auftritt auch als Art Wiedergutmachung begreifen - der FDP-Mann hatte sich ja bitter darüber beklagt, dass Markus Lanz ihn für die Sendung am Dienstag ausgeladen hatte, auf Intervention des ZDF (Anzeige) : Spitzenpolitiker dürfen ab sechs Wochen vor einer Wahl nicht mehr in einer Unterhaltungssendung auftauchen. Ein Regelwerk, das man vielleicht auch auf Polit-Talkshows ausweiten sollte. Denn die Runde am Donnerstagabend entwickelte sich sehr schnell zu einer Wahlarena Nordrhein-Westfalen zum Thema Innere Sicherheit.

Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?

Neben Kubicki saßen Julia Klöckner von der CDU, der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann und Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen am Großen Tisch. Sie alle hatten sich mit Daten, Fakten und Parolen rund um Nordrhein-Westfalen aufmunitioniert und trugen ihren Stellvertreterkrieg für die rot-grüne Regierung von Hannelore Kraft beziehungsweise die Opposition hinter Armin Laschet aus.

Moderatorin Maybrit Illner versuchte erst gar nicht, die Landtagswahlen von Sonntag in den Hintergrund zu rücken, sie fügte sich ins Unvermeidliche: Gleich der erste Experte, Journalist Olaf Sundermeyer, illustrierte sein Thema Bandenkriminalität am Beispiel NRW.

Tatsächlich finden sich alle Problemfelder, die in der Sendung angesprochen wurden, im bevölkerungsreichsten Bundesland wieder – meist potenziert. So sei die Gefahr, Opfer eines Einbruchs zu werden, in Dortmund fünfmal höher als in München, erklärte Sundermeyer.

Die eindrücklichen Schilderungen Sundermeyers über die organisierte und grenzüberschreitende Bandenkriminalität verschleierten jedoch den Blick auf die allgemeine Lage - denn in der Kriminalitätsstatistik 2016 sind Diebstahldelikte insgesamt (-4,4 Prozent) und besonders Wohnungseinbrüche (-9,5 Prozent) rückläufig.

Maybrit Illner beantwortet ihre Fragen selbst

Die Redaktion entschied sich jedoch, den - tatsächlich beunruhigenden – Anstieg bei den Gewaltdelikten (+6,7 Prozent) zum Aufhänger für alarmistische Einspieler und Diskussionsfragen zu machen, die auf einem AfD-Parteitag nicht weiter aufgefallen wären.

"Ist der Staat hilflos?", fragte Maybrit Illner einmal, ein anderes Mal sprach sie von "rechtsfreien Räumen". Natürlich darf man die Fragen stellen, aber für Illner standen die Antworten immer schon fest. Nach einem Einspieler zum Anteil ausländischer Straftäter formulierte sie ganz nach Stammtisch-Art: "Die Deutschen zahlen brav ihre Steuern und Abgaben, haben Sie nicht ein Recht darauf, dass das, was übrig bleibt, geschützt wird?"

Und weil damit überhaupt kein Erkenntnisinteresse verbunden war, setzte sie die Anschlussfrage gleich hinterher: "Und warum passiert das nicht?" Die Aufmachung der Sendung erinnerte an das vieldiskutierte Cover der FAZ-Woche, die ihre Story über „Tatort Deutschland – Wie kriminell sind Ausländer?“ mit drei dunklen Gestalten in Kapuzenpullover und mit Baseballschläger bebilderte. Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann, weiter scheint die Diskussion in Deutschland immer noch nicht zu sein.

Altbekannte Forderungen, altbekannte Rezepte

Weil nun aber Maybrit Illner die "Schuldfrage" gestellt hatte, setzten die Spitzenpolitiker die Helme auf.

Thomas Oppermann beschuldigte Union und FDP, mit dem Stellenabbau bei der Polizei angefangen zu haben. Julia Klöckner höhnte, es sei ja etwas ganz Neues, wenn die Grünen plötzlich mehr Geld und bessere Bedingungen für die Polizei forderten – und tischte die Geschichten über die Kritik von Renate Künast an den tödlichen Schüssen auf den Zug-Attentäter von Würzberg und von Simone Peter am Silvester-Einsatz 2016/17 in Köln wieder auf.

Sie wünsche sich, dass in der Runde differenziert über die Bekämpfung von Kriminalität, aber auch über ihre Verhinderung geredet werden könne, sagte Claudia Roth in ihrem Eingangsstatement. Es blieb ein Wunsch. Nur ganz selten ging es um konkrete Inhalte - etwa als Ex-Richter Oppermann über die ganz praktischen Schwierigkeiten von Staatsanwälten bei der Verfolgung und Bestrafung von Tätern sprach, und daraus seine Forderung nach mehr Personal entwickelte.

Je öfter Maybrit Illner an den "Katzentischen" Experten und Betroffene zu Wort kommen ließ, umso mehr franste die Sendung auch thematisch aus. Die Kriminaloberkommissarin Tania Kambouri berichtete von ihren schlechten Erfahrungen im Einsatz, vor allem mit Migranten, die keinen Respekt vor der Polizei und keine Angst vor der angeblich zu laschen Justiz hätten.

So erschreckend die Fälle, so altbekannt die Klagen der Polizei und die Positionen und Rezepte der Politik. Zumal die schon gehandelt hat – mit einer Verschärfung des Strafmaßes bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

Stichwortgeber für die Wahlkämpfer

Endgültig beliebig wurde die Hatz durch alle Themen der Inneren Sicherheit dann mit dem Auftritt von Beatrix von Storch. In Ermangelung einer Streitpartnerin interviewte Illner die AfD-Europapolitikerin zu diversen Programmpunkten ihrer Partei und landete dabei von kriminellen Migranten über Abschiebungen bei der Frage, wer für die AfD überhaupt ein Migrant sei.

Was das noch mit dem Thema zu tun hatte? Egal, es ging an diesem Abend nur darum, den Wahlkämpfern am Großen Tisch Stichworte zu geben.

Und dann musste auch noch der Fall Anis Amri herhalten, um das ewige Streitthema Kompetenzwirrwarr und Föderalismus bei den Sicherheitsbehörden zu besprechen. Also durfte die Runde ein paar Tage vor der NRW-Wahl noch einmal klären, wer nun Schuld trägt am schlimmsten islamistischen Terroranschlag auf deutschem Boden.

Wenig überraschend verwies Thomas Oppermann auf das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum, während Julia Klöckner und Wolfgang Kubicki von Versäumnissen in NRW redeten. Aber wenn sie Zeit und Muße gefunden haben, der Salafismus-Forscherin Nina Käsehage zuzuhören, dann haben sie den Satz des Abends mitbekommen: "Man macht es sich ein bisschen leicht mit einfachen Lösungen, gerade vor großen Wahlen."

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