Die Erwartungen an Polittalkshows sind, erhofft man sich von ihnen Lösungen, ohnehin schon niedrig. Noch niedriger sind sie nur in Wahlkampfzeiten und am niedrigsten in Wahlkampfzeiten beim Thema Migration. Beides kam am Montagabend bei "Hart aber fair" zusammen und lief dann auch nach dem üblichen Prozedere ab. Dank eines standhaften Moderators, einer engagierten Anwältin und eines besonnenen Rechtsexperten gab es aber trotzdem etwas Inhaltliches zum Mitnehmen.

Christian Vock
Eine Kritik
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Dass in wenigen Wochen gewählt wird, erkennt man nicht nur an den Laternenpfählen, auch die politischen Talkshows haben die Bundestagswahl mehr und mehr im Fokus. "Die Migrationsdebatte: Wie hart wird der Wahlkampf?", fragt Louis Klamroth dementsprechend am Montagabend bei "Hart aber fair", lässt bei so vielen Schlagworten aber offen, was er mit "der Migrationsdebatte" überhaupt meint und was für ihn "hart" bedeutet.

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Das war das Thema bei "Hart aber fair"

In der Einführung schafft Klamroth ein klein wenig Klarheit, was die Zuschauer erwartet: "Die Deutschen halten Flucht und Zuwanderung für das wichtigste politische Thema und die Parteien machen immer neue Vorschläge. Friedrich Merz hat vorgeschlagen, dass Straftätern, die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben, die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden kann." Und so sollte es bei der Diskussion tatsächlich weniger darum gehen, wie hart die Debatte geführt wird, sondern worüber.

Das waren die Gäste

  • Jens Spahn (CDU): Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende war bereits Gesundheitsminister und Staatssekretär im Finanzministerium und spricht nun bei Louis Klamroth über Migration. Spahns Forderung am Montagabend: 1. Illegale Migration komplett zu unterbinden und 2. Aufnahme von Kontingenten "gezielt aus den Krisengebieten" und in Zusammenarbeit mit dem UNHCR.
  • Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen): Göring-Eckardt war Fraktionsvorsitzende ihrer Partei und ist aktuell Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Sie verlangt, über die vorhandenen Probleme zu reden und vorhaltende Strukturen zu schaffen, um nicht immer wieder von Krisen und der damit verbundenen Migration überrascht zu werden.
  • Nahla Osman: Die Rechtsanwältin ist Vorsitzende des Verbandes deutsch-syrischer Hilfsvereine und in Rüsselsheim geboren. Sie sagt über die immer härter werdenden Töne beim Thema Migration: "Ich fühle mich als Bürgerin zweiter Klasse, ich fühle mich als Deutsche auf Probe. Ich habe, gerade nach der gestrigen Rede von Frau Weidel, Angst."
  • Christoph Schwennicke: Schwennicke ist Mitglied der Chefredaktion beim Nachrichtenportal "t-Online" und fordert: "Wir müssen über die Probleme reden, ohne kollektiv über Migrantinnen und Migranten zu urteilen." Das Thema Migration nicht zu benennen und klar zu handeln, mache die AfD stark "und genau das ist neun Jahre lang passiert".
  • Tanja Schweiger (Freie Wähler): Die Landrätin des Landkreises Regensburg berichtet von ihren Erfahrungen vor Ort und sagt: "Die Menschen haben das Gefühl, dass es keine Steuerung gibt und kein Management." Schweiger erklärt außerdem, dass es zwar nur wenige Menschen gebe, "die Probleme machen", diese würden aber den vielen gut integrierten Menschen "einen Bärendienst" erweisen, weil die Stimmung in der Bevölkerung gerade am Kippen sei.
  • Frank Bräutigam: Der ARD-Rechtsexperte ist für ein Kurzinterview zugeschaltet und erklärt unter anderem, dass eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft nur in ganz engen Ausnahmen überhaupt möglich sei.
  • Bardia Razavi: Razavi ist Richter, besitzt die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft und spricht dem Vorschlag von Friedrich Merz die Realitätstauglichkeit ab.
Die Talkrunde am Montagabend bei "Hart aber fair"
Die Talkrunde am Montagabend bei "Hart aber fair". © WDR/Oliver Ziebe

Die eigentlichen Themen des Abends

Eigentlich wollte Louis Klamroth die Frage klären, wie "hart" der Wahlkampf denn in Bezug auf die "Migrationsdebatte" werde. Es sollte also eigentlich, so zumindest liest sich die Kernfrage, nur um die Qualität der Diskussion und nicht um deren Inhalt gehen.

Die Art der Debatte wurde aber nur indirekt über die Äußerungen der Gäste deutlich, eigentlich ging es am Montagabend doch um inhaltliche Fragen. Zum einen um die doppelte Staatsbürgerschaft und die Forderung von Friedrich Merz, diese entziehen zu können. Zum anderen über die Rückkehr von Syrerinnen und Syrern, nachdem Jens Spahn keine 24 Stunden nach dem Sturz des Assad-Regimes Geflüchteten einen Charterflug nach Syrien und ein Startgeld von 1.000 Euro geben wollte.

So hat sich Louis Klamroth geschlagen

Insgesamt gut, denn Klamroth war auch bei Themensprüngen gut vorbereitet und schlüpfte in die Rolle des Zuschauers, dem die Gäste ihre Argumente erklären mussten. Vor allem aber hakte Klamroth nach, wenn man seinen Fragen auswich, fand aber in Jens Spahn seinen Meister. So fragte Klamroth immer wieder bei Spahn nach, wie er denn mit dem mehrfach angesprochenen Fakt umgehen wolle, dass viele Menschen ihren nicht-deutschen Pass gar nicht abgeben könnten, seine Ablehnung einer doppelten Staatsbürgerschaft in der Realität also an ihre Grenzen stoße.

Doch Spahn hatte offenbar gar nicht die Absicht, diese Lücke in seiner Argumentation aufzuklären, schweift stattdessen immer wieder ab. "Sie sind auf meinen Punkt nicht eingegangen", versucht es Klamroth erneut vergebens, denn Spahn macht stattdessen sofort ein neues Feld auf. Als es später um Spahns 1.000-Euro-Vorschlag für rückkehrwillige Syrer geht, nimmt Christoph Schwennicke Spahn deswegen noch einmal ins Visier: "Es war die sechste nicht gestellte Frage, die von Ihnen beantwortet wurde, wo die ersten fünf noch nicht beantwortet waren."

Die Einordnung des Abends bei "hart aber fair"

In einer Videoschalte holt Louis Klamroth den ARD-Rechtsexperten Frank Bräutigam beim Vorschlag von Friedrich Merz, Straftätern mit doppelter Staatsbürgerschaft den deutschen Pass zu entziehen, ins Boot. Bräutigam erklärt, dass die Hürden hier "sehr, sehr hoch" seien. Ausnahmen gebe es nur, wenn man sich etwa der Armee eines anderen Staates anschließe, man für eine terroristische Vereinigung im Ausland kämpfe oder bei der Einbürgerung getrickst habe. Bräutigam halte es für gut möglich, dass es für eine Erweiterung dieser Ausnahmen eine Grundgesetzänderung braucht – die politisch aber nur schwer umsetzbar sei.

ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam
ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam war während der Sendung zugeschaltet. © WDR/Oliver Ziebe

Der Grund: Auch Menschen, die nur einen deutschen Pass haben, begehen schwere Straftaten und für die Konsequenzen gebe es das Strafrecht . "Da jetzt einen Unterschied zu machen, bei dem einen reagiert man mit dem Strafrecht und bei dem anderen mit dem Entzug des Passes – das halte ich für angreifbar. Weil noch hinzukommt, dass das einfach ein extrem hartes, womöglich unverhältnismäßiges Mittel ist, mit dem ja der Verlust aller staatsbürgerlichen Rechte verbunden ist." "Womöglich weckt man da Erwartungen, die man rechtlich und politisch am Ende vielleicht nicht erfüllen kann", so Bräutigams Fazit zu den Ideen von Friedrich Merz und dessen CDU.

Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"

Politische Talkshows, das zeigte der Montagabend bei Louis Klamroth wieder einmal, sind nicht dazu geeignet, Lösungen für bestimmte Probleme zu finden. Stattdessen folgen sie bestimmten Mustern, bei denen Menschen aus der Praxis auf die Probleme im Alltag hinweisen, Experten ihre Erkenntnisse teilen, Journalisten ihre Einschätzungen beisteuern und Politiker ihre vorher bereits feststehenden Botschaften platzieren, ganz egal, ob gerade danach gefragt wurde.

Am Montagabend erzählte diesem Prozedere folgend Tanja Schweiger von ihrem Alltag als Landrätin, Frank Bräutigam ließ die rechtlichen Fakten herein, Christoph Schwennicke teilte in fast alle Richtungen aus und Jens Spahn nutzte die gute Stunde für Sätze wie "Wir sind ja kein Einwanderungsland, wir sind ein Einreiseland" oder "Die Grünen sind Migrationsleugner".

Solche markig-simplen Sprüche sind für Spahn nichts Ungewöhnliches, überraschend ist dabei nur, dass er nur wenig später eine sachlichere und weniger reflexhafte Diskussion beim Thema Migration forderte.

Was bleibt also von dieser Diskussion? Zum einen die sachlichen Einordnungen, allen voran die von Frank Bräutigam zum Vorschlag von Friedrich Merz, straffällig gewordenen Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, den deutschen Pass zu entziehen. Zum anderen die Einordnungen von Nahla Osman, wie denn die Lage in Syrien tatsächlich aussieht und wie sich Menschen mit Migrationshintergrund bei der ganzen Debatte fühlen. Und am Ende beantwortet sogar Jens Spahn mit seinen einfachen Botschaften sogar noch die eigentliche Frage, wie hart denn der Wahlkampf beim Thema Migration geführt werden wird.

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