Bundeskanzler Sebastian Kurz ist bei seiner Deutschland-Stippvisite in der ARD-Sendung "Maischberger" zu Gast. Moderatorin Sandra Maischberger fordert den ÖVP-Politiker forsch. Markant: Er weicht immer dann auf die Flüchtlingsfrage um, wenn es ungemütlich für ihn wird.

Eine Kritik

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Sebastian Kurz war auf Express-Besuch in Berlin. Ein bisschen Händeschütteln hier, ein wenig öffentlichkeitswirksame Bilder dort.

Der Bundeskanzler von Österreich diskutierte bemerkenswert schonungslos mit der Bundeskanzlerin von Deutschland, Angela Merkel (CDU).

Es war eine von den deutschen Medien vielbeachtete Stippvisite des ÖVP-Politikers, die schließlich am späten Abend mit dem Auftritt in der Talkshow "Maischberger" endete.

Trittin als Sparringspartner von Kurz

Schon der Titel der Sendung verriet, dass es knackig werden würde. Er lautete: "Kanzler Kurz: Wunderknabe oder politischer Scharfmacher?"

Als Sparringspartner stellte ARD-Moderatorin Sandra Maischberger Kurz den Außenpolitiker Jürgen Trittin von den deutschen Grünen entgegen, einen erklärten Gegner von Kurz' Flüchtlingspolitik. Aber der Reihe - und den Themen - nach.

Maischberger sprach mit dem "jüngsten Regierungschef Europas", wie sie wiederholt betonte, über die schwierige Regierungsbildung in Deutschland.

Er habe "ein sehr gutes Gespräch" mit Merkel gehabt, schilderte der 31-Jährige. Ob es Merkel auch so sieht?

Noch auf der gemeinsamen Pressekonferenz hatte er provokant erklärt, froh zu sein, dass Österreich (im Gegensatz zu Deutschland) eine stabile Regierung habe.

Kurz: "Müssen die Migrationsfrage klären"

Vor Millionenpublikum gab sich der ÖVP-Politiker diplomatischer. "Als Nachbar gesprochen, wünsche ich mir, dass es bald eine starke Regierung gibt, weil ganz Europa davon profitiert, wenn es geordnete Verhältnisse in Deutschland gibt", sagte er.

Kurz schwenkte dabei sofort auf die Flüchtlingspolitik um, ein Fingerzeig für die weitere Sendung. "Wir müssen endlich die Migrationsfrage klären. Da brauchen wir ein starkes Deutschland", meinte er.

Wie sehr er das Spiel aus Diplomatie, Druck und kleinen Seitenhieben bereits beherrscht, verdeutlichte das Beispiel Jens Spahn (CDU).

Maischberger fragte, ob er sich den jungen aufstrebenden Politiker der deutschen Konservativen, aus Kurz' Perspektive immerhin schon 37 Jahre alt, als kommenden Bundeskanzler vorstellen könne. "Jetzt ist es Angela Merkel", antwortete er. "Aber: Er ist sicher jemand mit viel Talent, ich schätze ihn sehr."

Und so sprach Kurz cool und souverän weiter über die Flüchtlingsfrage, konfrontiert mit einer forschen Maischberger.

Kurzum: Inhaltlich mag man streiten, aber was das Auftreten betrifft, ging er als Punktsieger aus dem sehr moderaten "Schlagabtausch" mit Trittin hervor.

Kurz zeigt sich als Hardliner

Während sich der Grünen-Politiker etwa in nicht für Österreich relevanten Beispielen aus Bayern verhaspelte, blieb der Bundeskanzler klar bei seiner Linie, forderte Grundversorgungszentren und sprach von "Menschen, die ohne Papiere kommen, manche, die sie vernichtet haben".

Und davon, dass viele Migranten nicht nur wegen schlechter Lebensbedingungen gekommen seien, "sondern weil die Tür nach Europa offen" gewesen sei. Da war er wieder, der Hardliner aus Wien.

Auch beim Thema Ehe für alle. "Von mir aus hätte es nicht so heißen müssen. Aber wir haben vom Verfassungsgericht einen Auftrag bekommen", erzählte er, sprach von klaren Wertvorstellungen, dass er christlich-sozial erzogen worden sei.

Wie gesagt, man mag inhaltlich streiten, aber Kurz zeigte zumindest das, was die deutsche Kanzlerin nach Meinungen ihrer Kritiker entbehrt: Standpunkte.

Kurz: FPÖ nicht mit AfD vergleichen

Ins Schwimmen kam er dann doch, der junge, charismatische Mann mit den akkurat nach hinten gegelten Haaren. Und zwar als es um Koalitionspartner FPÖ und Vergleiche mit der rechtspopulistischen AfD ging. "Man sollte die AfD und die FPÖ nicht miteinander vergleichen", meinte er zunächst, wankte dann argumentativ, als Maischberger frühere Verbindungen von FPÖ-Chef Hans-Christian Strache ins rechtsradikale Milieu thematisierte.

"Natürlich haben wir über diese Themen gesprochen", erzählte er von persönlichen Sondierungen mit Strache. "Für mich ist aber der Blick nach vorne entscheidend."

Kurz nannte das mindestens rechtsnationale Engagement Straches eine "Jugendsünde". Überzeugend klang das nicht.

Überzeugender: "Natürlich habe ich eine rote Linie", sagte Kurz und rettete sich in ein: "Wir haben klar besprochen, wie es zu reagieren gilt, wenn es Verfehlungen gibt."

Am Ende wurde nochmal deutlich, worauf der politische Erfolg Kurz' gründet: die Flüchtlingsfrage.

Um von der FPÖ abzulenken, schwenkte er wieder wie auf Kommando um. "Das Migrationsthema ist kein Thema der Rechten", sagte er. "Viele etablierte Parteien haben es zu lange ausgeblendet."

Er hat es mehr als viele andere forciert. Das wissen nun auch die Zuschauer in Deutschland - und können sich ihre Meinung bilden, zum Shootingstar aus Wien.

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