Olaf Scholz blieb dabei. Er habe alles versucht, die Ampel zu retten. Drei Jahre schmiedete er schmerzhafte Kompromisse, "oft über die Grenze dessen, was noch zumutbar war". Dann war seine Geduld am Ende.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die alleinige Schuld für das Aus der Regierung trifft aus seiner Sicht nur einen: Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP. Weil er sich wiederholt notwendigen Kompromissen verweigerte habe, weil er (schuldenfinanzierte) Investitionen zur Stärkung der Wirtschaft und zur Unterstützung der Ukraine nicht freigeben wollte.

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Der SPD-Kanzler versuchte, im ARD-Talk vom Caren Miosga am Sonntagabend im Kampf um die Deutungshoheit zum Ampel-Aus weitere Treffer zu landen. Er fügte der Erzählung vom vergangenen Mittwoch, als er Lindner entlassen hatte, einige Details hinzu. Aufschlussreich war auch, wie er seine eigene Rolle bewertete und was er nicht sagte.

Kritik am Stil der persönlichen Abrechnung mit Lindner wollte der Sozialdemokrat nicht gelten lassen. CDU-Chef Friedrich Merz fand die mit vielen persönlichen Vorwürfen gespickte Rede "unwürdig", das Nachtreten alles andere als anständig. Scholz sah das anders. "Es war anständig, klar und deutlich und für alle Bürgerinnen und Bürger sehr verstehbar." Miosga sprach ihn auf die Wucht der Worte im Gegensatz zu seiner sonst so sachlichen Art an.

Die Entlassung habe sich lange aufgebaut, versuchte Scholz seine Emotionen zu rechtfertigen. Und dann kam der Zeitpunkt, wo er feststellte: "Es hat mir gereicht und es hat im Übrigen auch den Bürgerinnen und Bürgern gereicht." Da klang Scholz so, als habe er nur den Volkswillen vollstreckt, eine historisch unbeliebte Regierung zu beerdigen. Eine Regierung, für dessen miserables Auftreten er als Kanzler hauptverantwortlich ist.

Scholz: "Da ist was nicht gelungen, weil einige nicht wollten"

SPD-Chef Lars Klingbeil monierte, der Ampel habe ein strategisches Zentrum gefehlt und damit ein Format, um wirklich vertrauensvoll miteinander zu sprechen. Und man hätte vor Lindners Rauswurf noch mehr reden müssen. Stimmt, sagte Scholz, man hätte mehr hätte reden können – und schob schon wieder Lindner die alleinige Schuld zu.

"Das setzte voraus, dass man auch will." Jeder sollte sich nach seinem Dafürhalten klarmachen: "Da ist was nicht gelungen, weil einige nicht wollten, und nicht, weil sie nicht gekonnt hätten." Nach diesem Satz sah Scholz Miosga an, als habe er etwas sehr, sehr Schlaues gesagt.

Sein eigener Anteil am Scheitern der Regierung? Den sieht der Sozialdemokrat höchstens darin, dass er sie nicht schon vorher beendet hat. Etwa im Sommer, als offenbar durch die FDP Interna aus den Haushaltsverhandlungen lanciert wurden, was ihn "sehr, sehr aufgeregt" und "sehr empört" hat. "Ich finde, man muss es immer bis zuletzt versuchen", sagte Scholz. An dieser Stelle klang er überzeugend, den Frust nahm man ihn ab.

Konflikt über Finanzierung geplanter Investitionen für Wirtschaft und Ukrainehilfen

Lindners Darstellung, sein Rauswurf sei kalkuliert gewesen, widersprach der Kanzler vehement. "Nein, ich habe ihn (den Rauswurf – d. Red.) nicht provoziert. Ich habe den Bundesminister der Finanzen gefragt, schon in der Woche davor, ob man in der Zeitung zu Recht liest, dass am Montag, Dienstag oder Mittwoch die Koalition zu Ende sei in seiner Sicht. 'Nein', hat er gesagt, 'wir verhandeln'. Das fand ich gut, weil wir hatten ja schon die ganzen Verhandlungstermine vereinbart. Aber es ist von mir bis zuletzt versucht worden, die Dinge zusammenzukriegen. Wir haben auch viele Kleinigkeiten geschafft, aber die eigentliche Frage ist nicht weggegangen."

Die eigentliche Frage: Dahinter verbarg sich der Konflikt, ob die geplanten Investitionen für die Wirtschaft und die Ukrainehilfen durch neue Schulden oder eine Art Sondervermögen, ein anderes Wort für Schulden, finanziert werden sollen. So hatten es Scholz und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) vor.

Oder ob dafür im Bundeshaushalt an anderer Stelle gekürzt werden sollte, worauf Lindner beharrte. Dieser habe etwas gewollt, erzählte Scholz, beispielsweise Einschnitte bei den Renten, "was ich nicht verantworten kann." Lindner habe, so des Kanzlers Darstellung, die Sicherheit im Inneren gegen die Sicherheit im Äußeren ausgespielt. Scholz wollte beides.

Vertrauensfrage vor Weihnachten plötzlich "überhaupt kein Problem"

Nach seiner Scheidungs-Rede gab es Applaus für den Kanzler, als er die Räume der SPD-Fraktion betrat. Es brach regelrecht Jubel aus. Andere fanden das irritierend. Eine Regierung ist zerbrochen, Scholz ist gescheitert, Deutschland schlittert in die Krise – und die SPD jubelt. Auch Robert Habeck, sein eigener Vizekanzler, war verwundert. Scholz sagte zur Habeck-Kritik bei Miosga nur "gerne" und grinste. Da war sie wieder, die Überheblichkeit, die manchmal bis zur Arroganz reicht. Als persönliche Niederlage kann so ein Ego das Ampel-Aus natürlich nicht bezeichnen. Es "gefällt" ihm lediglich "nicht".

Seine eigene Legitimation, hier stimmten die Scholz-Schilderungen mit der Realität überein, kann das Regierungsoberhaupt ohne derzeitige Parlamentsmehrheit nur durch Wahlen zurückerlangen. Deswegen habe er "sehr zügig" neue Wahlen angekündigt.

Zügig war aber nur die Ankündigung, nicht der in Aussicht gestellte Wahltermin. Scholz wollte, offensichtlich um den Umfrage-Karren der SPD noch aus dem Dreck zu ziehen, erst im März wählen lassen. Die in den Befragungen meilenweit führende CDU schon im Januar.

Dafür müsste Scholz zeitnah die Vertrauensfrage stellen und die Abstimmung verlieren. Möglich wäre dies schon diesen Mittwoch. Scholz gab sich bei Miosga kompromissbereit. "Wenn sich Herr Mützenich und Herr Merz einigen (die Fraktionschefs von SPD und CDU – d. Red.), daran werde ich mich orientieren."

Vor Weihnachten die Vertrauensfrage zu stellen, ist für ihn plötzlich "überhaupt kein Problem". Eine Bedingung: Dass die Bundeswahlleiterin, die organisatorische Bedenken hinsichtlich eines schnellen Termins angemeldet hatte, ihre Bedenken nach einem Treffen mit den Landeswahlleitern zurücknimmt.

Scholz: Nie Zweifel an Kanzlerkandidatur

Zweifel an seiner Kanzlerkandidatur hatte Scholz nie. Trotz aller schlechten Werte für seine SPD und ihn persönlich. Beliebtester Politiker im Land ist sein Parteigenosse, Verteidigungsminister Boris Pistorius. Der große Glaube, den Scholz vor der Bundestagswahl 2021 vor sich her trug, macht ihm auch jetzt Mut.

Damals hatte Scholz, der nicht mal in der SPD sonderlich beliebt war, den historisch schwachen CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet noch eingeholt. Jetzt bekommt er es mit einem ganz anderen Kaliber zu tun: Friedrich Merz. Der frühere Merkel-Rivale weiß anders als Laschet damals eine geeinte Union hinter sich.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen ihm und Merz, wollte Caren Miosga am Ende wissen. "Ich finde mich etwas cooler, wenn es um Staatsangelegenheiten geht", sagte Scholz und brachte die Zuschauer mit diesem drollig-schiefen Satz zum Schmunzeln. Er sprach damit die aufbrausende Art an, die Merz oft zugeschrieben wird. Nicht jeder traut ihm die Kanzlerschaft zu.

Das Problem für Olaf Scholz: Mit seiner scharfen Kritik an Lindner wirkte er vor wenigen Tagen selbst erst wie ein polternder Oppositions-Politiker. Sonderlich überzeugende Argumente, ihm bei der nächsten Bundestagswahl das Vertrauen zu schenken, lieferte er im ARD-Talk nicht. Aber im Kampf um die Deutungshoheit zum Ampel-Aus konnte Scholz gegen die FDP zumindest ein paar Treffer setzen.

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