In der Politik ist ja gerne einmal von Verantwortung die Rede, wenn eigentlich Macht gemeint ist. Bei Maybrit Illner ging es aber gestern Abend tatsächlich um politische Verantwortung und verantwortungsvoll besonnen lief auch die Diskussion. Nur einmal platzte Ursula von der Leyen der Kragen. So einfach ist es mit der Verantwortung nämlich nicht.
Die Ausgangslage:
Flüchtlingsströme gen Europa, Krieg in der Ukraine, Chaos und Tod im Nahen Osten – wir befinden uns in einer weltpolitischen Situation, die Politikwissenschaftler nach Zusammenbruch des Ostblocks als "die neue Weltunordnung" bezeichnen. Angesichts der vielen Flüchtlinge beginnt in der Politik ein Umdenkprozess, der eine Änderung der Außen- und Sicherheitspolitik einleiten soll: Fluchtursachen, so das politische Credo, sollen im Vorfeld bekämpft werden, so dass Fluchtbewegungen gar nicht erst entstehen. Da stellt
Wer zu "Maybrit Illner" eingeladen war:
Aktham Suliman: Der syrische Journalist warnt vor einer eindimensionalen Betrachtung der Lage in Syrien. Nur zu sagen, Assad sei der Schuldige, greife zu kurz; in der Region trieben viele Parteien ihre Eigeninteressen voran. Auch in Europa würden, so Suliman, die Flüchtlinge für innenpolitische Absichten instrumentalisiert, schließlich kämen Flüchtlinge seit Jahrzehnten nach Europa, aber erst jetzt würde das thematisiert.
Ben Hodges: Der amerikanische General verhielt sich zurückhaltender als der diplomatischste Diplomat. Bei Fragen über die amerikanischen Fehler im Irak, in Syrien und Afghanistan wollte er lieber den Blick nach vorne richten, bei der Frage nach der Verlässlichkeit der Türkei erging er sich in Floskeln. Lediglich bei den Gründen für den militärischen Einsatz Russlands, wurde Hodges konkret.
Jean Asselborn: Der Außenminister Luxemburgs macht sich über die nationalen Alleingänge bei der Flüchtlingspolitik in Europa sorgen. Wer hier keine Solidarität zeige, habe die Essenz Europas nicht begriffen und gefährde die Einheit der Union. Menschlichkeit gehe vor, sie sei das Fundament Europas.
Fragen, die Maybrit Illner ihrer Runde stellte:
Angesichts der vielen Konfliktherde gab es ein sehr großes Feld zu bestellen am gestrigen Abend: Hat Horst Seehofer Recht, wenn er Merkel permanenten Rechtsbruch vorwirft? Was passiert, wenn es tatsächlich einen Rechtsruck in Europa gibt? Droht ein Koalitionsbruch? Wie ist die Sicht der arabischen Welt auf Europa? Machen die USA genug in der Flüchtlingskrise? Welche Interessen verfolgt Putin? Soll man sich mit ihm an einen Tisch setzen? Was soll man an den Grenzen machen? Welche Lehren ziehen die USA aus den Kriegen in Afghanistan und im Irak? Wie geht man mit Despoten um? Kann man der Türkei vertrauen?
Antworten, die der Zuschauer bekommen hat:
Eine Menge Holz, das die Runde in nur einer Stunde zu sägen hatte. Dennoch fanden sich einige Antworten, bei manchen herrschte sogar Einigkeit. So erklärte General Hodges Russlands Militäreinsatz in Syrien geschehe aus drei Gründen: Zum einen wolle Putin seinen einzigen Verbündeten, Assad, stützen, weil er sonst den Zugang in diese Region verlieren würde. Zum anderen wolle er damit nach innen und außen Stärke demonstrieren. Der dritte Grund liege darin, dass Putin vom Krisenherd Ukraine ablenken wolle.
In Bezug auf die Lösung im Nahen Osten herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass in Syrien vor allem vier Hauptakteure ihre jeweiligen Interessen verfolgen: Saudi-Arabien, der Iran, Russland und die USA. Diese müssten sich an einen Tisch setzen und eine langfristige Lösung erarbeiten, die auch den Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den IS, einschließe.
Welches war das Rededuell des Abends?
Die Auszeichnung ging eindeutig an Ursula von der Leyen und Oskar Lafontaine. Dass der Titel an dieser Stelle vergeben wird, hat keine Effekt haschenden Gründe, sondern zeigt exemplarisch, dass es beim Thema Verantwortung etliche Graustufen gibt. Als Lafontaine nämlich forderte, keine Waffen in diese Region zu liefern, versetzte genau das Verteidigungsministerin von der Leyen in Rage. Ob er dann auch zugesehen hätte, wie der IS die Jesiden getötet hätte, wollte die Ministerin von Lafontaine wissen. Eine Antwort blieb dieser schuldig.
Welches Fazit man nach dem Illner-Talk ziehen kann:
Die gestrige Diskussionsrunde trat einen regelrechten Streifzug durch die Baustellen der Weltpolitik an. Syrien, Afghanistan, Irak, Türkei, USA, Russland, Ukraine, Saudi-Arabien, Iran und Deutschland hießen die Stationen. Das hatte jedoch nichts mit einer etwaigen Planlosigkeit zu tun, sondern illustrierte gut die Komplexität der weltpolitischen Gesamtlage und dass dort alles mit allem zusammenhängt. Dementsprechend konnte die Runde am Ende auch keine schnelle Lösung der vielen Konflikte präsentieren, genauso wenig wie sie den einen Schuldigen aller Probleme benennen konnte. Das wäre für eine solche Diskussionsrunde auch zu viel gewesen, zeigt aber auch, dass es mehr denn je langfristige Strategien und Handlungsmaxime braucht, damit es schnelle Lösungen gar nicht erst geben muss.
Was man bei "Maybrit Illner" zum Thema Verantwortung mitnehmen konnte:
Nichts ist schwarz oder weiß - das stellte die gestrige Runde bei Illner eindrucksvoll dar. Auch in der Weltpolitik geht es am Ende immer darum, was man will und welchen Preis man dafür bereit ist zu zahlen. Am Ende, das zeigt die Geschichte, fällt einem verantwortungslose Politik immer auf die Füße.
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