Aussagen und Konzepte machen es offensichtlich: Union und SPD schärfen ihre politischen Profile. Der Wunsch nach inhaltlicher Unterscheidbarkeit ist nach einem halben Jahrzehnt GroKo mit Händen greifbar. Was gut ist für die Revitalisierung der politischen Kultur, birgt allerdings auch eine Gefahr. Schließlich sind es gerade die beiden Regierungsparteien, die sich über Profilierung voneinander abzugrenzen versuchen. Konfrontationen innerhalb der Koalition scheinen trotz Treueschwüren programmiert.

Eine Analyse
von Michael Wollny

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Union und SPD kommen an diesem Mittwoch zum ersten Koalitionsausschuss nach ihren kontroversen Weichenstellungen in der Sozial- und Migrationspolitik zusammen.

Bei dem Spitzentreffen bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Abend soll unter anderem ein Arbeitsprogramm für die kommenden Wochen umrissen werden.

Wie viel Nähe bleibt noch bei Abgrenzung?

Für Aufsehen hatten zuletzt die sogenannten "Werkstattgespräche" der CDU gesorgt, in denen die Christdemokraten einen deutlich härteren Kurs in der Flüchtlingspolitik skizziert und sich damit klar von Kanzlerin Angela Merkel distanziert hatten, die sich ihrerseits in der ganzen Profilierungsdebatte auffällig unauffällig verhält.

Bereits zuvor war die SPD zur ersehnten Überwindung des Hartz IV-Traumas mit sozialpolitischen Konzepten, darunter die Grundrente ohne Bedarfsprüfung, auf Konfrontation mit der Union gegangen.

Mit Interesse wird nun am Mittwoch erwartet, welche Gemeinsamkeiten Union und SPD bei allen gegenseitigen Profilierungsversuchen betonen werden.

Für Christian Lindner sind die Folgen bereits klar: "Ich befürchte Stillstand, teure Kompromisse zulasten der Steuerzahler oder Dauerstreit", erklärte der FDP-Chef gerade in der "Saarbrücker Zeitung".

Der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer hielt er vor, sie grenze sich in der Einwanderungspolitik lediglich "von Frau Merkel ab, aber das Regierungshandeln ist unverändert".

Und mit Blick auf die sozialpolitischen Konzepte der SPD sprach Lindner von "Retro-Politik".

Letzteres wird auch bei den heutigen Gesprächen im Kanzleramt eine Rolle spielen.

Die zentralen Agenda-Punkte im Koalitionsausschuss:

  • RENTE: Die Union dürfte keinen Hehl aus ihrer Kritik am jüngsten Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für eine Grundrente machen. Im Grundsatz hatten Union und SPD diese gemeinsam verabredet. Aber die Pläne sahen vor, dass geprüft wird, ob Begünstigte die Grundrente auch wirklich brauchen. Auf diese Bedürftigkeitsprüfung will Heil aber nun verzichten. Die Grundrente setze aber die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele "Lebensleistung anerkennen" und "Altersarmut vermeiden" um, wie Heil dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Mittwoch) sagte. Seinen Angaben zufolge würden drei bis vier Millionen Menschen von dem Konzept profitieren - davon drei Viertel Frauen. Entscheidungen zu dem Thema sind vom Koalitionsausschuss noch nicht zu erwarten.
  • SOZIALPLÄNE: Weniger Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger bei Auflagenverstößen, einen längeren Bezug des Arbeitslosengeldes für Ältere und mehr gezielte Qualifizierung - das will die SPD künftig grundsätzlich erreichen. Die Union machte bereits deutlich, dass sie daraus kein aktuelles Regierungshandeln machen will. Über die Vorschläge zur Qualifizierung könne man "noch mal reden", sagte aber CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer. Gut möglich, dass das Thema auch im Kanzleramt zur Sprache kommt. Der CDU-Haushaltsexperte Eckardt Rehberg forderte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) unterdessen auf, ein Finanzierungskonzept für die SPD-Pläne vorzulegen. "Nachdem Bundesfinanzminister Scholz das SPD-Programm in der Öffentlichkeit als realisierbar und finanzierbar dargestellt hat, hat er die Bringschuld, das Paket finanziell zu untersetzen", sagte Rehberg der "Rheinischen Post" (Mittwoch).
  • STEUERN: Um mehr Geld von den Reichen zu kassieren, erstrecken sich die Vorschläge aus der SPD zur Gegenfinanzierung ihres Sozialstaatspakets von einem höheren Spitzensteuersatz bis hin zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Wirtschaft und Union sind auf den Barrikaden - auch ein mögliches Thema der Runde bei der Kanzlerin. Die anstehende Reform der Grundsteuer bietet ebenfalls noch möglichen Zündstoff. Nach einer Grundsatz-Einigung der Finanzminister wird ein Modell angestrebt, bei dem die Grundstückswerte, das Alter von Gebäuden und durchschnittliche Mietkosten herangezogen werden.
  • AUTOMOBIL: Der Dieselskandal hat auch die Koalition in Atem gehalten. Nun soll es um die Zukunft des Autos gehen: etwa Elektromobilität oder plattformbasierte, digitale Mobilitätskonzepte.
  • KOHLE UND KLIMA: Die Ergebnisse der Kohlekommission für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 sollen gebündelt werden, um zu sehen, welche Gesetze zur Umsetzung notwendig sind.

Man kann davon ausgehen, dass Union und SPD auch in den kommenden Wochen ihre jeweils eigene Agenda verfolgen werden, um sich vom Vorwurf der GroKo-Uniformität zu befreien.

Droht nun ständiger GroKo-Zoff?

Wie zuvor schon die beiden Parteivorsitzenden Andrea Nahles (SPD) und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), so betonte zwar auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU), er sehe keine Gefahr, dass diese parteiinternen Selbstfindungsprozesse zum Krach innerhalb der Koalition führen könnten.

Doch ob sich ein Koalitionsfriede unter Dauerspannung wahren lässt, bleibt zweifellos fraglich.

Schon bekommen sich SPD-Generalsekretär Ralf Stegner und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt über "Verteilungsorgien" und "linke Affen" in die Wolle.

Und SPD-Parteivize Manuela Schwesig erklärt zwar "niemand möchte einen Koalitionskrach", lässt aber auch gleich durchblicken, wie sich dieser vermeiden ließe: die Union könne ja einfach bei den SPD-Plänen "mitziehen".

Davon aber hält etwa Markus Söder wenig. Der CSU-Chef verpasst der SPD lieber einen Seitenhieb, wenn er zu den Plänen aus dem Willy-Brandt-Haus anmerkt, Hartz IV sei "ein Erfolgsmodell. Nicht für die SPD, aber für Deutschland. Uns geht es aber mehr um Deutschland als um die SPD".

Für die politische Kultur in Deutschland dürften die neuen Reibungspunkte wie eine Revitalisierung wirken. Für die Regierungsarbeit hingegen, da dürfte Lindner nicht Unrecht haben, könnte es auf Blockade und Stillstand hinauslaufen.

Dabei warten von Digitalisierung, Mobilitäts- und Energiewende, über die zwingend nötige Reform der Sozialsysteme bis hin zu Brexit, Unilateralismus und Nationalismus innen- wie auch außenpolitisch zu viele Baustellen, als dass sich die größte europäische Volkswirtschaft eine hausgemachte Regierungskrise leisten könnte.

Doch die inhaltliche Gegensätzlichkeit, mit der CDU/CSU und SPD derzeit ihre Profilierung vorantreiben, macht ein vorzeitiges Auseinanderbrechen der Regierungskoalition zumindest nicht undenkbar.

Mit Interesse wird man deshalb verfolgen, wann SPD und Union die im Koalitionsvertrag vereinbarte "Revisionsklausel" aktivieren.

Der Zeitpunkt für diese geplante Neubewertung der gemeinsamen Regierungsarbeit steht noch nicht fest. Er scheint gegenwärtig aber auch nicht gerade günstig zu sein. (mit Material der dpa)

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