CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat sich durchgesetzt: Gemeinsam mit der AfD hat die Union einen Antrag zur Migration im Bundestag beschlossen. Am Freitag will Merz das wiederholen – dann mit einem Gesetz. Die Folgen: unkalkulierbar.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Am Ende saßen sie zusammengesunken, fast apathisch auf ihren Plätzen. Es herrschte Stille in der Unionsfraktion. Kurz zuvor hat sich der Bundestag dafür ausgesprochen, Migranten an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte dem Antrag von CDU und CSU zu. Die FDP war dabei und auch die AfD. Nur so kam die Mehrheit zustande.

Mehr aktuelle News

Es war ein denkwürdiger Mittwoch im deutschen Parlament.

Rechtsaußen klatschten sie, Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel schüttelte Hände, ließ sich umarmen. Für die Rechten war die Abstimmung ein Erfolg. "Brandmauer gefallen – ein historischer Tag! Jetzt fallen die Dominosteine, einer nach dem anderen. Merz ist jetzt von der AfD abhängig", schrieb der rechtsextreme Publizist Jürgen Elsässer bei X.

Empörung dagegen bei SPD, Grünen und Linken. Kanzler Olaf Scholz (SPD) ging Merz in der Debatte am Nachmittag hart an. Er habe sich auf dessen Wort verlassen, keine Mehrheiten mit der AfD zu suchen. "Viele Bürger haben darauf vertraut, aber was sind diese Worte jetzt noch wert?", fragte der Kanzler.

Migration: Union will Familiennachzug aussetzen

Friedrich Merz ist ein riskantes Spiel eingegangen. Und es ist noch nicht zu Ende: Am Freitag stimmt der Bundestag erneut ab. Dann geht es nicht nur um einen Appell, diesmal ist es ein Gesetzesentwurf, den die Union einbringt. Und der ist anders als die Abstimmung am Mittwoch für die Bundesregierung rechtlich bindend. Das sogenannte "Zustrombegrenzungsgesetz" sieht vor, den Familiennachzug vorerst zu beenden. Außerdem soll die Bundespolizei mehr Kompetenzen erhalten, um Menschen in andere Länder zurückzuschicken.

Die Frage ist: Warum tut Merz das? Zwar haben AfD, FDP und BSW bereits angekündigt, dem Gesetz zuzustimmen. Aber es müsste erst noch durch den Bundesrat. Und da fehlen der Union die nötigen Stimmen. Auch die Abstimmung am Mittwoch ändert real nichts an der Migrationspolitik. Was die Debatte aber gezeigt hat: Die deutsche Politik ist polarisiert wie lange nicht mehr.

Die Bluttat von Aschaffenburg änderte den Wahlkampf

Alles begann mit der Bluttat von Aschaffenburg, bei der ein afghanischer Asylbewerber einen zweijährigen Jungen und einen Mann erstochen hat. Es war nicht das erste Mal, dass ein Migrant eine solch brutale Tat begangen hat. Auch in Solingen hatte es im Sommer einen Anschlag gegeben. Im Dezember kam es zu einem Attentat mit sechs Toten und 300 Verletzten auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt.

Eigentlich wollte der CDU-Chef die Migrationsfrage aus dem Wahlkampf halten. Bis Aschaffenburg. Merz schwenkte um, nahm auch eine Mehrheit mit der AfD in Kauf. Ein Tabubruch? Aus Sicht der Union: nein. Es bleibe richtig, auch wenn die Falschen zustimmen, sagte Merz fast trotzig in TV-Kameras.

Migration: Die AfD feixt und verhöhnt die Union

Doch der CDU-Chef wirkte am Mittwoch im Bundestag alles andere als souverän. Was auch an der feixenden AfD lag. Deren Kanzlerkandidatin Alice Weidel ging Merz in der Debatte hart an, machte sich über die Union lustig. Die Vorschläge seien allesamt von der AfD geklaut, sagte Weidel. Der Union sei nicht zu trauen. Was so viel heißen soll wie: Wer das Original will, muss AfD wählen.

In der heißen Phase hat der Wahlkampf also sein entscheidendes Thema gefunden. Für Merz wird es schwierig zu erklären, warum es im Bund in Ordnung ist, Mehrheiten mit der AfD zu suchen und zu finden nicht aber in den Ländern und Kommunen. Die Brandmauer, die Merz nie so genannt haben will, ist nach Mittwoch zwar nicht eingerissen, sie ist aber löcherig geworden.

Linken-Chef Jan van Aken traut dem CDU-Chef nicht mehr. "Indem Merz einen Antrag eingebracht hat, der nur mit der AfD durchkommen konnte, hat er sein Versprechen bereits gebrochen", sagte er unserer Redaktion. Merz habe gezeigt, "dass er bereit ist, Mehrheiten mit der AfD zu suchen. Damit ist er als Kanzler untragbar."

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Ex-Kanzlerin Merkel kritisiert Merz öffentlich

Und die Kritik an Merz nimmt zu – auch aus den eigenen Reihen. Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich kritisch über das Vorgehen der Union. In einer am Donnerstag von ihrem Büro veröffentlichten Erklärung bezeichnet es Merkel als falsch, "sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen". Damit stellt sich die Alt-Kanzlerin gegen Merz. Ein bemerkenswerter Vorgang, kurz vor der Bundestagswahl.

Aus der Union heißt es hingegen: Man setze schlicht den Wählerwillen um. Nur: Der ist gar nicht so eindeutig, wie eine Umfrage zeigt. Im aktuellen ZDF-"Politbarometer" befürworteten rund 47 Prozent der Befragten, dass die Union einen Antrag für schärfere Maßnahmen in den Bundestag einbrachte, bei dem sie in Kauf nahm, nur mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit zu erhalten. 48 Prozent lehnten das ab, der Rest äußerte sich unentschlossen. Die Umfrage wurde allerdings vor der Debatte am Mittwoch durchgeführt.

Klar ist allerdings: Bei SPD und Grünen hat Merz schon jetzt massiv Vertrauen verspielt. Für mögliche Koalitionsverhandlungen wäre das eine schwere Hypothek. Zumal vermutlich auch die Basis der jeweiligen Partei noch zustimmen müsste.

Wie geht es nun weiter?

Die SPD warnt vor Schwarz-Blau im Bund

Die SPD – in den Umfragen einbetoniert zwischen 14 und 17 Prozent – warnt vor einem schwarz-blauen Bündnis nach der Wahl. Merz verneint das, doch er könnte den Sozialdemokraten und Kanzler Olaf Scholz Munition im Wahlkampf beschert haben. Die Union konnte bislang nicht von der Schwäche der Ampel und der rot-grünen Minderheitsregierung profitieren. Es bleibt fraglich, ob sie das mit einem schärferen Kurs in der Migrations- und Flüchtlingspolitik schafft.

Friedrich Merz hat einst versprochen, die AfD zu halbieren. Nach dieser Woche scheint das Ziel weiter denn je entfernt.

Verwendete Quellen

  • Bundestagsdebatte am 29.01.2025
  • Eigene Beobachtung
  • Schriftliches Statement von Linken-Chef Jan van Aken
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.