• In dieser Woche verkündet die Hessen-SPD, mit welchem Spitzenkandidaten sie in die Landtagswahl im Herbst zieht.
  • Einem Medienbericht zufolge will Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Aufgabe übernehmen, aber vorerst Bundesinnenministerin bleiben.
  • Die anderen Parteien reagieren zweifelnd bis kritisch: Ist die Doppelrolle sinnvoll?
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nancy Faeser hat sich nie in die Karten schauen lassen. Mal hat sie Andeutungen in die eine, mal in die andere Richtung gemacht: Bleibt die Bundesinnenministerin in ihrem Amt? Oder wechselt sie zurück nach Hessen, um dort im Herbst als SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl anzutreten?

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In dieser Woche soll das Rätselraten ein Ende haben. Am Freitag will die Hessen-SPD verkünden, mit wem sie in den Wahlkampf geht. Am Montagabend berichtete die "Süddeutsche Zeitung", dass Faeser wohl eine vorübergehende Doppelrolle anstrebt: Demnach will sie in Hessen antreten, aber Bundesinnenministerin bleiben. Auch für den Fall einer Niederlage bei der Landtagswahl bliebe sie demnach im Bundeskabinett.

Nancy Faeser als SPD-Spitzenkandidatin in Hessen? Das spricht dafür

Als Nancy Faeser Ende 2021 in der Bundesregierung das Ressort für Inneres und Heimat übernahm, war das eine Überraschung: Die Juristin kannte sich zwar mit Innen- und Justizpolitik aus. Sie hatte ihre bis dahin schon knapp 20-jährige Karriere aber auf die Landespolitik ausgerichtet: In Hessen war Faeser Landtagsabgeordnete, SPD-Generalsekretärin und schließlich auch Vorsitzende der Landtagsfraktion und der Landespartei.

Der Gang nach Berlin sei "eine der gravierendsten Umstellungen" in ihrem Leben gewesen, hat Faeser dem Hessischen Rundfunk gesagt. Mit ihrem Mann und ihrem 2015 geborenen Sohn lebt sie in Schwalbach im Speckgürtel von Frankfurt. Der Pendelei nach Berlin könnte sie mit der Rückkehr in die Landespolitik ein Ende setzen.

Hinzu kommt: Die Hessen-SPD ist mit prominenten Persönlichkeiten nicht gerade gesegnet. Faeser ist die mit Abstand wichtigste Sozialdemokratin des Bundeslandes.

"Ohne sie wären die Chancen auf einen Wahlsieg für die SPD deutlich geringer", sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun, Professor an der Universität Trier, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Bisher ist alles auf sie als Spitzenkandidatin hinausgelaufen. Eine Alternative wurde nicht aufgebaut."

In Wiesbaden könnte Faeser mit ihrer Erfahrung aus Berlin die Richtige sein, um ebenfalls eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP zu schmieden. Vorausgesetzt, ihr gelingt ein überzeugendes Wahlergebnis. Auf ihre Bekanntheit ist die Hessen-SPD jedenfalls angewiesen, denn die Konkurrenz ist groß.

CDU-Ministerpräsident Boris Rhein ist zwar noch nicht lange in der Staatskanzlei, kann aber mit einem kleinen Amtsbonus in den Wahlkampf ziehen. Auch die Grünen sind in Hessen traditionell stark und hoffen auf einen Sieg von Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir.

Wichtige Rolle in Berlin

Andererseits hat Faeser in den vergangenen Monaten nicht den Eindruck erweckt, dass sie ihr Berliner Regierungsamt nur als Übergangsphase versteht. Im Gegenteil: Der Job als Bundesinnenministerin scheint der 52-Jährigen gut zu gefallen. Faeser ist in den Medien präsent und in der Ampel-Koalition bei vielen Themen gefragt.

Als Ministerin hat sie sich auf einen geschickten Mittelweg begeben. Einerseits hat sie einen anderen Ton ins Bundesinnenministerium gebracht. Den Rechtsextremismus bezeichnet die Sozialdemokratin als größte Bedrohung der Sicherheit in Deutschland. Bei der Fußball-WM in Katar setzte sie mit der One-Love-Binde auf der Ehrentribüne ein vielbeachtetes und vieldiskutiertes Zeichen für Toleranz.

Bei anderen Themen steht Faeser eher für "Law and Order": In der Frage der Vorratsdatenspeicherung ist sie CDU und CSU näher als ihren Koalitionspartnern Grüne und FDP. Nach den Silvesterkrawallen in Berlin forderte sie harte Konsequenzen für "Chaoten und Gewalttäter" und sagte in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe, es gebe in deutschen Großstädten "ein großes Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund".

Die Opposition erwartet allerdings, dass die Innenministerin noch liefert: "Frau Faeser ist bislang überwiegend als Ankündigungsministerin aufgefallen: Viele Worte, wenig Taten", kritisiert der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm.

Die Doppelrolle als Lösung?

Faeser hat als Bundesinnenministerin noch Pläne. Im Frühjahr will sie mit ihrem französischen Amtskollegen nach Nordafrika reisen, um die dortigen Regierungen dazu zu bewegen, abgeschobene Staatsbürger schneller zurückzunehmen. Zudem würde sie in der Bundesregierung eine Lücke hinterlassen: Wenn er den Frauenanteil im Kabinett nicht weiter sinken lassen will, müsste Bundeskanzler Olaf Scholz wieder eine Frau für den Posten finden. Das Idealprofil – prominente sozialdemokratische Innenpolitikerin, am besten mit Regierungserfahrung – dürfte nicht so leicht zu besetzen sein.

Schon länger wurde in Berlin deshalb über den Sowohl-als-auch-Weg diskutiert, für den sich Faeser nun offenbar entschieden hat. Demnach tritt sie bei der Landtagswahl in Hessen an, bleibt aber Bundesinnenministerin. Wird sie im Herbst Ministerpräsidentin in Wiesbaden, gibt sie ihr Berliner Amt auf. Klappt es nicht, bleibt sie als Bundesinnenministerin im Amt.

Doch auch dieses Modell birgt Risiken. Dass es schiefgehen kann, hat Norbert Röttgen erlebt: Röttgen war 2012 Bundesumweltminister und führte parallel einen Wahlkampf als CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen. Sein Kalkül: Wenn er nicht Ministerpräsident wird, bleibt ihm noch das Umweltministerium in Berlin. Das ging aber nicht auf: Wählerinnen und Wähler mögen es nicht, wenn sich Politiker nicht festlegen und sich ein Hintertürchen offenhalten. Röttgen stand am Ende ganz ohne wichtigen Posten da. Nach seiner Wahlniederlage in NRW warf die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn aus der Regierung.

CDU-Politiker Alexander Throm: "Das Land verträgt keine Teilzeit-Innenministerin"

Auch für Faeser wäre die Doppelrolle mit einer großen Belastung verbunden: Sie müsste zwei Vollzeitjobs unter einen Hut bringen. Ein so großes Haus wie das Bundesinnenministerium zu leiten und gleichzeitig einen Landtagswahlkampf zu führen, dürfte eine große Herausforderung sein.

Politikwissenschaftler Jun hält diese Doppelrolle grundsätzlich für leistbar. "Allerdings würde das von ihr einen besonderen Einsatz erfordern – und das Risiko, nicht gewählt zu werden, würde steigen", gibt er zu bedenken. "In Hessen könnte Frau Faeser weniger präsent sein als ihre Gegenkandidaten Boris Rhein und Tarek Al-Wazir. Die beiden würden dann wohl immer wieder die Frage stellen: Ist ihr Hessen wirklich wichtig genug?"

Die CDU/CSU-Opposition würde es Faeser in Berlin allerdings auch nicht leicht machen, wenn sie sich beide Wege offen hält. "Wer das Bundesinnenministerium in dieser krisenbehafteten Zeit leitet, braucht alle Kraft und Konzentration für die enormen Herausforderungen im Bereich der Inneren Sicherheit", sagt CDU-Politiker Alexander Throm. "Das Land verträgt keine Teilzeit-Innenministerin: Entweder Kandidatur in Hessen oder Ministeramt in Berlin."

Auch Politiker der Ampel-Koalition reagieren skeptisch auf eine Doppelfunktioin. Konstantin von Notz, Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, sagte dem "Handelsblatt": "Ein Landtagswahlkampf als Spitzenkandidatin fordert die ganze Person, genauso wie das Amt der Bundesinnenministerin – gerade in diesen Zeiten." FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, das Bundesinnenministerium sei "keine geeignete Wahlkampfbühne in diesen ernsten Zeiten".

Verwendete Quellen:

  • HRinfo.de: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): Ampel-Koalition würde frischen Wind nach Hessen bringen
  • Gespräch mit Prof. Dr. Uwe Jun, Universität Trier
  • Statement von Alexander Throm, CDU/CSU-Fraktion
  • Deutsche Presse-Agentur
  • Sueddeutsche.de: Spitzenkandidatin in Hessen, Ministerin in Berlin
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