- Vor einem Jahr hat die SPD die Bundestagswahl gewonnen.
- Die Parteiführung verweist auf gehaltene Versprechen, zum Beispiel den erhöhten Mindestlohn.
- Doch das Regieren in der Ampel-Koalition gestaltet sich in der aktuellen Krise schwierig.
- Ob aus dem Wahlsieg vor einem Jahr wirklich ein "sozialdemokratisches Jahrzehnt" erwächst, ist noch offen.
An den 26. September 2021 denkt man in der SPD-Wahlzentrale gerne zurück: Es war der Abend der Bundestagswahl, bei der die Partei als Siegerin durchs Ziel ging. Zur Überraschung von vielen Politik-Beobachtern und Medien, wohl auch zur Überraschung mancher Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.
Ein Jahr später gestaltet sich das Regieren in der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP mühsam – inmitten von Ukraine-Krieg und Energiekrise. In der bundesweiten Wahlumfrage von infratest dimap kommt die Kanzlerpartei SPD aktuell auf 17 Prozent und liegt damit auf Platz drei hinter CDU und Grünen. Klappt das noch mit dem sozialdemokratischen Jahrzehnt?
Kevin Kühnert: "Sind stolz auf das, was wir geschafft haben"
Am 26. September 2022 steht SPD-Generalsekretär
Auch Kevin Kühnert selbst hat sich gewandelt: Seine Karriere hat er als Juso-Vorsitzender und später als Parteivize mit flotten Sprüchen und zielsicherer Kritik an der eigenen Partei begonnen. Jetzt muss er als Generalsekretär die Politik der größten Regierungspartei erklären und verkaufen. Er spricht immer noch schnell und pointiert – aber inhaltlich klingt er deutlich staatstragender. Das Land sei bei der SPD in guten Händen, sagt er am Montag: "Wir sind froh, dass wir diese Verantwortung haben. Wir wissen aber auch, dass wir jeden Tag aufs Neue rechtfertigen müssen, wofür wir dieses Vertrauen bekommen haben."
Die FDP bremst Ausgaben, die Grünen machen der SPD Konkurrenz
Auch die Wochenzeitung "Die Zeit" hielt das "sozialdemokratische Jahrzehnt" vor einem Jahr durchaus für wahrscheinlich: "Ein starker Staat wird nicht mehr als Bedrohung, sondern als Verheißung empfunden. Das stärkt die sozialdemokratischen Kräfte, die sich nach ihren eigenen marktliberalen Abenteuern in den Nullerjahren nun wieder auf ihren sozialprogrammatischen Kern besinnen: Schutz, Sicherheit, Ausgleich", schrieb der Redakteur Mark Schieritz.
Schutz, Sicherheit und Ausgleich sind angesichts des Krieges und steigender Energiepreise wieder gefragte Werte. Doch große politische Sprünge sind in der Ampel-Koalition nur bedingt möglich. Der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner pocht bisher auf das Festhalten an der Schuldenbremse und lehnt Steuererhöhungen ab.
"Die Zeit" und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung haben errechnet, dass Gutverdiener-Familien durch die Maßnahmenpakete der Ampel-Koalition bei den Energiepreisen zum Teil sogar stärker entlastet werden als Familien mit geringem Einkommen. Grund dafür sind die geplanten Steuerentlastungen, die die FDP durchgesetzt hat.
Der andere Koalitionspartner – die Grünen – machen der SPD zunehmend Konkurrenz in der Sozialpolitik. Grünen-Parteichefin Ricarda Lang hat in diesem Jahr als erste die Idee einer Übergewinnsteuer auf "Riesengewinne" von Energieunternehmen ins Spiel gebracht. Die bisher eher unscheinbare grüne Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat federführend die Aufgabe, die Kindergrundsicherung einzuführen – ein wichtiges sozialpolitisches Vorhaben der Ampel-Koalition.
Und dann wäre da noch die Opposition: Die Linke ist gerade noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um der SPD gefährlich zu werden. Doch in der Union hat der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz die Reihen weitgehend hinter sich geschlossen. "In der Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine und in der Atomdebatte treibt er die Ampel vor sich her", stellt der "Tagesspiegel" fest. "Auch mit seiner frühen Reise nach Kiew und seiner Gerechtigkeitsdefinition ("lieber 1.000 Euro für Arme als 300 Euro für alle"), für die ihn selbst Grünen- und SPD-Abgeordnete beneideten, landete er einen Scoop."
Mindestlohn und Rentenerhöhung: SPD stellt Prestigeprojekte heraus
Die SPD war im vergangenen Jahr erfolgreich, indem sie ihren Wahlkampf auf prägnanten Versprechen aufbaute: Respekt, Mindestlohn, Rente. Das versucht sie nun wieder herauszustellen: Eine deutliche Rentenerhöhung hat der Bundestag im Juni bereits auf den Weg gebracht. Kritik handelte sich die Koalition allerdings ein, als sie die Rentnerinnen und Rentner erst im dritten Entlastungspaket mit einem Energiekostenzuschuss bedachte, den vorher bereits die Berufstätigen erhalten hatten.
Der auf 12 Euro erhöhte Mindestlohn wird am 1. Oktober in Kraft treten. Am Montag hat die SPD daher zum Fototermin eingeladen. Die Parteivorsitzenden
Kühnert zur Gasumlage: "In der B-Note nicht besonders ruhmreich"
In der aktuellen Situation reicht es für gutes Regieren aber nicht, den Koalitionsvertrag abzuarbeiten – das weiß auch Kühnert. Die SPD hat versucht, sich aus dem Gezerre um die umstrittene Gasumlage aus dem Ministerium von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) herauszuhalten. Doch das Projekt, das nun vor dem Aus steht, zeigt, wie schwierig das Regieren gerade ist. Das Echo in den Medien war eindeutig: Die Gasumlage sei "nichts anderes als ein Ergebnis schlechter Politik", schimpft der Kölner Stadt-Anzeiger (Bezahlinhalt). Die Koalition habe sich in ihrem "Irrgarten zur Gasumlage komplett verlaufen", heißt es im Handelsblatt.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hofft inzwischen, dass die Umlage schnell verschwindet – und dann vergessen wird: "Dann kräht in ein paar Wochen auch kein Hahn mehr danach, ob das jetzt in der B-Note besonders ruhmreich gewesen ist."
Wie das Krisenmanagement der Parteien ankommt, wird sich bei einem Stimmungstest am 9. Oktober zeigen: Dann wird in Niedersachsen gewählt. Nach Einwohnern ist es das viertgrößte Bundesland – und derzeit das größte mit einem Ministerpräsidenten von der SPD. Derzeit liegt Amtsinhaber Stephan Weil in Umfragen nur knapp vor der CDU.
Verwendete Quellen:
- Pressekonferenz der SPD
- Handelsblatt.de: Die Ampel hat sich in ihrem Irrgarten zur Gasumlage komplett verlaufen
- KStA.de: Kommentar zur Gasumlage - Ein Rohrkrepierer, der abgeräumt werden muss (Bezahlinhalt)
- Tagesspiegel.de: Wer überrascht hat und wer gehen musste: Aufsteiger und Absteiger ein Jahr nach der Bundestagswahl (Bezahlinhalt)
- Zeit.de: Drittes Entlastungspaket : Ist das gerecht? (Bezahlinhalt)
- Zeit.de: Das sozialdemokratische Jahrzehnt
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