Politisch wird über eine Beteiligung der Bundeswehr an möglichen militärischen Vergeltungsschlägen in Syrien noch gestritten. Rechtlich scheint die Lage nach einem aktuellen Gutachten dagegen ziemlich klar zu sein.

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Eine Beteiligung der Bundeswehr an einem militärischen Vergeltungsschlag in Syrien würde nach einem Bundestags-Gutachten sowohl gegen das Völkerrecht als auch gegen das Grundgesetz verstoßen.

"Im Ergebnis wäre eine etwaige Beteiligung der Bundeswehr an einer Repressalie der Alliierten in Syrien in Form von "Vergeltungsschlägen" gegen Giftgas-Fazilitäten völker- und verfassungswidrig", heißt es in der am Montag vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte erstellten zehnseitigen Expertise, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Verteidigungsministerium prüft Engagement in Syrien

Am Montag war bekannt geworden, dass im Verteidigungsministerium eine deutsche Beteiligung an einer Vergeltungsaktion für einen möglichen Giftgasangriff der Regierungstruppen von Baschar al-Assad auf die belagerte Rebellenhochburg Idlib geprüft wird. Im April hatte sich Deutschland nach einem mutmaßlichen Einsatz chemischer Kampfstoffe in Syrien nicht an den Bombardements der USA, Großbritanniens und Frankreichs beteiligt.

Schon damals hatte der wissenschaftliche Dienst des Bundestags das Vorgehen der Westmächte als völkerrechtswidrig eingestuft. Die Einschätzung, dass eine Bundeswehr-Beteiligung auch gegen das Grundgesetz verstoßen würde, ist dagegen neu.

"Die parlamentarische Mandatierung eines solchen Bundeswehr-Einsatzes würde sich dann erübrigen, da der Bundestag nur Auslandseinsätze mandatieren darf, die auf einer tragfähigen verfassungs- und völkerrechtlichen Grundlage beruhen", heißt es im Gutachten. Nach Auffassung der Wissenschaftler des Bundestags dürfte die Regierung dem Parlament also einen solchen Einsatz gar nicht zur Abstimmung vorlegen.

Nahles erteilt Einsatz politische Absage

SPD-Chefin Andrea Nahles hat einem solchen Einsatz auch schon eine politische Absage erteilt.

Die Linkspartei hat eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr an einem internationalen Militäreinsatz in Syrien scharf kritisiert. "Ich finde das eine völlig unverantwortliche Debatte", sagte Fraktionschefin Sahra Wagenknecht am Dienstag dem Nachrichtensender n-tv.

Bisher werde der Krieg mit dem Vorgehen gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) gerechtfertigt. Diese sei nun weitgehend zurückgedrängt. Jetzt einen Einsatz und eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr zu erwägen, finde sie "völlig absurd", sagte Wagenknecht.

"Statt über rechtswidrige Vergeltungsschläge nach Giftgasangriffen zu spekulieren, muss alles dafür getan werden, die humanitäre Katastrophe zu verhindern", forderte Grünen-Chefin Annalena Baerbock in Berlin. Jetzt gehe es vielmehr darum, "die Menschen zu schützen", dafür müssten "mit Hochdruck alle diplomatischen Mittel angewandt werden".

Unions- und FDP-Politiker wollen Option offen halten

Mehrere Politiker der Union und der FDP haben dagegen dafür plädiert, sich eine militärische Option offen zu halten. "Wenn es auch in Idlib zu einem Einsatz von Giftgas käme, müsste Deutschland Bitten unserer Freunde um Unterstützung sehr ernsthaft prüfen, insbesondere wenn unsere Fähigkeiten angefragt werden", sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, der "Passauer Neuen Presse".

Sein Parteifreund Norbert Röttgen sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Deutschland sollte erwägen, sich unter bestimmten Bedingungen mit seinen Verbündeten USA, Frankreich und Großbritannien an einem Militäreinsatz in Syrien zu beteiligen." Röttgen ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, der bei der Mandatierung von Bundeswehreinsätzen die Federführung hat.

Die Bundesregierung hat die Beteiligung an einem Militäreinsatz nicht kategorisch ausgeschlossen. Sie hat bisher allerdings auch noch keine rechtliche Bewertung der Luftangriffe der Westmächte vom April vorgenommen. Zum ersten Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes zu dem Thema schwieg sie.

Die Experten des Bundestags heben jetzt vor allem auf folgende Punkte ab

  • Völkerrechtliche Repressalien in Form von militärischen Vergeltungsschlägen seien grundsätzlich unzulässig. Dies gelte selbst dann, wenn eine Regierung eine zentrale Norm des Völkerrechts verletzt habe, wie es beim Einsatz von Chemiewaffen der Fall wäre.
  • Die Argumentation Großbritanniens, dass es sich um eine "humanitäre Intervention" zum Schutz der Zivilbevölkerung handele, lässt der wissenschaftliche Dienst nicht gelten, weil es bei den Bombardements in erster Linie um die Durchsetzung des Verbots von Chemiewaffen und nicht um den Schutz der Bevölkerung gegangen sei.
  • Zur Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz schreiben die Wissenschaftler: "Die Teilnahme Deutschlands an einem völkerrechtswidrigen Militäreinsatz kann niemals verfassungskonform sein." Deutsche Staatsorgane dürften "nicht an einem Verstoß von Drittstaaten gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts mitwirken".
  • Nach Einschätzung der Wissenschaftler spielt es dabei auch gar keine Rolle, ob deutsche Tornado- oder Eurofighter-Kampfjets selbst Bomben über Syrien abwerfen oder Raketen abfeuern. "Auch die (bloß) militärisch-logistische Unterstützung eines solchen Militäreinsatzes wäre nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit als Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Handelns selbst völkerrechtswidrig."

Am Mittwochmorgen will sich der Verteidigungsausschuss des Bundestags mit dem Thema befassen. Am Nachmittag stehen dann in der Haushaltsdebatte des Parlaments die Themen Auswärtiges und Verteidigung auf der Tagesordnung. Auch dabei wird Syrien eine zentrale Rolle spielen. (mgb/dpa/afp)  © dpa

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