Eine konservative Partei müsse Themen wie Migration ansprechen, ist Thomas Biebricher überzeugt. Friedrich Merz zeige aber gerade, wie man es nicht machen solle, sagt der Politikwissenschaftler: "Ich glaube, dass die politische Mitte eigentlich etwas anderes von der CDU erwartet."

Ein Interview

Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher zeichnet in seinem Buch "Mitte/Rechts – Die internationale Krise des Konservatismus" nach, wie die konservativen Parteien in Italien, Frankreich und Großbritannien seit 1990 immer weiter nach rechts gerückt sind. Sie wenden sich von Europa ab, wettern gegen Migranten oder lehnen die kritische Aufarbeitung der nationalen Geschichte ab.

Mehr aktuelle News

Thomas Biebricher ist Professor an der Universität Frankfurt. © dpa/Flashpic/Jens Krick

Und in Deutschland? Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat zuletzt mehrmals für Diskussionen gesorgt. Er dachte laut über eine Zusammenarbeit mit der AfD in den Kommunen nach und holte sich mit Carsten Linnemann einen deutlich konservativeren Generalsekretär an die Seite. Das jüngste Beispiel: Merz unterstellte bei Welt TV, dass die "deutschen Bürger" keine Zahnarzttermine bekommen, weil 300.000 abgelehnte Asylbewerber sich die Zähne machen lassen.

Grund genug also für einige Fragen an den Experten Thomas Biebricher, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt.

Herr Biebricher, rückt Friedrich Merz die CDU gerade nach rechts?

Thomas Biebricher: Dafür gibt es zumindest einige Anzeichen. Zum Beispiel die Häufung von bedenklichen Wortmeldungen von Friedrich Merz, die bedienten Themen – und auch der Tonfall, in dem die Regierung kritisiert wird.

Glauben Sie, dass das alles Kalkül ist?

Wenn eine bewusste Strategie dahintersteckt, leuchtet sie mir zumindest nicht so recht ein. Es gibt sicherlich innerhalb der CDU einige Mitglieder, die sich ein konservativeres Profil und mehr Beinfreiheit im Umgang mit der AfD wünschen. Wenn Friedrich Merz aber an einem Tag eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene andeutet und das dann 24 Stunden später wieder bestreitet, steht er wie ein Umfaller da. Dann ist das für die Mitglieder, die sich eine härtere Kante wünschen, eine Riesenenttäuschung.

Wie ist dieses "Blinken" nach rechts zu erklären?

Dafür gibt es unterschiedliche Motive. Ein defensives Motiv aus Sicht der CDU lautet: Wenn wir etwas hemdsärmeliger über Migrationspolitik sprechen und weitreichende Forderungen stellen, holen wir Leute von der AfD zurück. Das offensive Motiv ist: Konservative Parteien brauchen ein Feindbild, von dem sie sich absetzen – und das sind im Moment vor allem die Grünen. Sie werden als Bevormunder und Verbieter dargestellt. Dieses Feindbild scheint so vielversprechend zu sein, dass die CDU es in Kauf nimmt, sich der AfD in ihrer Rhetorik anzugleichen.

Kann dieser Kurs erfolgreich sein?

Es gibt in der CDU immer noch die Fantasie, dass man Leute von der AfD zurückholen kann, wenn man sich ein bisschen in ihre Richtung bewegt und ihnen ein Angebot macht. Das kann mit einem gewissen Teil der AfD-Anhängerschaft vielleicht funktionieren, aber dieser Teil wird Studien zufolge eher kleiner. Ich glaube, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Der wirklich weitverbreitete Unmut über die Ampel-Koalition zahlt vor allem bei der AfD ein. Die CDU hat sich in den Umfragen nur wenig verbessert.

Womöglich ist es für eine konservative Partei aber auch wichtig, über Migrationspolitik zu sprechen.

Ganz klar ist es das. Es ist die Aufgabe einer gemäßigt konservativen Partei, über diese Themen zu sprechen. Aber die Frage ist: wie? Ich glaube, Friedrich Merz zeigt, wie man es nicht machen sollte. Mit seiner Zahnarzt-Äußerung spielt er Deutsche gegen Ausländer aus, indem er eine Rivalität zwischen diesen Gruppen aufmacht. Das schürt Ressentiments und hätte genauso gut von einem AfD-Mann oder einer AfD-Frau kommen können.

Wie lässt sich so ein Thema stattdessen ansprechen?

Der CDU-Sozialpolitiker Karl-Josef Laumann hat zum Beispiel auf eine viel mitfühlendere Art und Weise auf das Problem der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen hingewiesen. Sinngemäß hat er gesagt: Den Kommunen steht das Wasser bis zum Hals, die kriegen niemanden mehr unter. Dieses Problem müssen wir lösen, um die Zustimmung zum Asylrecht zu erhalten. Aus meiner Sicht bestand keine Notwendigkeit für Merz, das noch schärfer auszudrücken. Alle politischen Lager haben sich schon darauf verständigt, dass die Kommunen mehr Hilfe brauchen.

Thomas Biebricher: "Ich glaube, dass die politische Mitte eigentlich etwas anderes von der CDU erwartet"

Kann Merz mit dieser Strategie erfolgreich sein? Der AfD mit einem rechten Kurs Wählerinnen und Wähler abspenstig zu machen.

Im europäischen Umfeld sind solche Versuche oft nach hinten losgegangen. Nicolas Sarkozy hatte damit zum Beispiel in Frankreich kurzfristig Erfolg. Mittelfristig ist seine konservative Partei aber von den Rechtsextremen überrundet worden. Die Schuld am Erstarken der AfD trägt sicherlich nicht alleine die CDU. Es gibt noch eine Menge anderer Gründe – und die Regierung gehört definitiv dazu. Die CDU hat es bisher aber nicht geschafft, eine andere Art von Opposition zu verkörpern als die AfD.

Inwiefern?

Sie surft auf der gleichen Unmutswelle und stachelt die Unzufriedenheit nur noch mehr an, wenn sie apokalyptische Bilder von der Deindustrialisierung oder von Deutschland als kranken Mann der Welt zeichnet. Ich glaube, dass die politische Mitte eigentlich etwas anderes von der CDU erwartet. Auch wenn es zum Geschäft der Opposition gehört, die Regierung hart zu kritisieren: Die CDU müsste wesentlich staatstragender auftreten. Wenn zur Halbzeit der Legislatur so viel Unzufriedenheit mit der Regierung herrscht, diese Unzufriedenheit aber nicht bei der größten Oppositionspartei einzahlt, müsste eine Partei doch eigentlich umdenken.

"Wenn eine große Partei sich nur auf Kernmilieus konzentriert, heißt das aus meiner Sicht nichts Gutes."

Thomas Biebricher

Sie glauben also nicht, dass der aktuelle Kurs die CDU wieder zu überzeugenden Wahlerfolgen bringen kann? Zu Wahlergebnissen weit oberhalb der 30-Prozent-Marke?

Ich glaube, dass solche Wahlergebnisse für die CDU generell immer noch erreichbar sind. Mit ihrem aktuellen Kurs verzwergt sich die Partei aber selbst. Wenn sie sich so weit nach rechts treiben lässt, verliert sie die Milieus in der Mitte, die sie in der Ära Merkel groß gemacht haben. Natürlich ist es eine große Herausforderung, so eine große Bandbreite abzudecken. Aber das ist nun einmal ein typisches Dilemma für eine Partei, die sich selbst als Volkspartei versteht.

Vielleicht sind solche Volkspartei-Ergebnisse in der Parteienlandschaft gar nicht mehr zwingend nötig – weil man auch mit 25 Prozent leicht die größte unter lauter mittelgroßen Parteien wird.

Wenn eine große Partei Ergebnisse jenseits der 30 Prozent nicht mehr für möglich hält und sich nur auf Kernmilieus konzentriert, heißt das aus meiner Sicht nichts Gutes. Um eine Regierung zu bilden, ist auch eine 25-Prozent-Partei auf Koalitionspartner angewiesen. Ich weiß nicht, ob zum Beispiel die Grünen es bis zur Bundestagswahl vergessen werden, wie sehr die CDU gerade auf sie eindrischt. Außerdem ist das ein seltsames Signal an die eigenen Wählerinnen und Wähler: Erst geht man die anderen Parteien scharf an – und dann ist man nach der Wahl doch darauf angewiesen, mit ihnen zu koalieren.

Innerhalb der CDU scheint es aber wenig Gegenwehr zum aktuellen Kurs von Friedrich Merz zu geben – zumindest nach außen.

Es gibt durchaus Anhaltspunkte für ein Rumoren in der Partei. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Es dürfte aber auch nicht im Interesse der liberalen CDU-Mitglieder sein, am Ast von Friedrich Merz zu sägen. In dieser Woche sind in Bayern und Hessen Landtagswahlen. 2024 muss die Partei Europawahlen und die schwierigen Landtagswahlen in drei östlichen Bundesländern bestehen. Ich bin mir nicht sicher, wem damit gedient wäre, diesen Wahlmarathon, der der CDU auch durchaus unangenehme Ergebnisse bescheren könnte, mit einem anderen Vorsitzenden zu bestreiten, der womöglich danach schon stark beschädigt wäre.

Gemäßigt konservative Parteien in anderen Ländern Europas haben sich seit 1990 immer weiter nach rechts bewegt. Ist die CDU jetzt auch klar auf diesem Kurs?

Es gibt immer noch deutliche Unterschiede. Die Wahlergebnisse und die Machtbasis der CDU sind immer noch deutlich stabiler als das bei anderen Mitte-rechts-Parteien in Europa der Fall ist. Sie befindet sich in einer Phase, in der intern noch sehr um den Kurs der Partei gerungen wird. Momentan hat sie diesen Kurs noch nicht gefunden.

Über den Gesprächspartner:

  • Prof. Dr. Thomas Biebricher (Jahrgang 1974) hat Wissenschaftliche Politik, Wirtschaftspolitik und Öffentliches Recht in Freiburg und Kingston (Kanada) studiert. Seit August 2022 ist er Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Theorie, Ideengeschichte und Theorien der Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt (Heisenberg-Professur). Im Suhrkamp-Verlag ist in diesem Jahr sein Buch "Mitte/Rechts – Die internationale Krise des Konservatismus" erschienen.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.