Der Grünen-Politiker Sebastian Schäfer ist Vorsitzender der deutsch-amerikanischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Im Interview mit unserer Redaktion sagt er: Europa wird mehr Verantwortung übernehmen müssen – egal ob Joe Biden oder Donald Trump im Herbst zum US-Präsidenten gewählt wird.

Ein Interview

Die Mitglieder des Bundestags pflegen Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt. 47 internationale Parlamentariergruppen gibt es derzeit – zum Beispiel für die Beziehungen zu Ägypten, zu den Pazifik-Staaten und natürlich zu den Vereinigten Staaten.

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Mit fast 100 Abgeordneten ist die Parlamentariergruppe USA die größte im Bundestag. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Parlament hat Grünen-Urgestein Jürgen Trittin die Gruppe geführt, inzwischen hat sein Parteifreund Sebastian Schäfer den Vorsitz übernommen.

Sebastian Schäfer ist Haushaltspolitiker und leitet die Parlamentariergruppe USA im Bundestag. © dpa/dts

Herr Schäfer, als Vorsitzender der Parlamentariergruppe USA müssen Sie tiefe ideologische Gräben überbrücken, zum Beispiel zu republikanischen US-Abgeordneten. Das klingt nach einer undankbaren Aufgabe.

Sebastian Schäfer: Das transatlantische Verhältnis bleibt auch unabhängig von politischen Entwicklungen zentral. Deshalb habe ich diese Aufgabe gerne übernommen, nachdem Jürgen Trittin den Bundestag verlassen hat. In der ersten Trump-Präsidentschaft haben wir gesehen, wie wichtig alle Kanäle in die USA sind – auch auf Ebene der Parlamente, der Bundesstaaten und Städte.

Sind Ihre Kolleginnen und Kollegen im US-Kongress überhaupt interessiert daran, mit Deutschland und Europa zusammenzuarbeiten? "America First" scheint ja nicht mehr nur für die Republikaner zu gelten.

Das Land schaut stark nach innen. Gleichzeitig war die amerikanische Delegation bei der Münchner Sicherheitskonferenz in diesem Jahr so groß wie nie. Der Vorstand der Parlamentariergruppe hat sich gerade mit der US-Botschafterin in Berlin getroffen. Sie hat betont, dass 80 Prozent der Mitglieder des Kongresses schon einmal in Deutschland waren. Auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern sind weiterhin intensiv. Deutsche Unternehmen sind als Investoren in den USA gefragt. Und umgekehrt: Intel, Microsoft, Tesla – diese Unternehmen investieren gerade viele Milliarden in Deutschland.

"Europa wird mehr Verantwortung übernehmen müssen, egal ob Joe Biden wiedergewählt wird oder Donald Trump noch einmal Präsident wird."

Sebastian Schäfer, Bundestagsabgeordneter

Das klingt, als sei das deutsch-amerikanische Verhältnis blendend. Dabei hat der frühere und vielleicht nächste Präsident Donald Trump sich immer wieder abfällig über Deutschland geäußert.

Nichts ist selbstverständlich, man muss hart für diese Beziehungen arbeiten. Das transatlantische Verhältnis pflegt sich nicht von selbst. Schon der frühere Präsident Barack Obama hat den Fokus der USA stärker auf Asien ausgerichtet. Auch in einer zweiten Amtszeit von Joe Biden müssen wir damit rechnen, dass auf Europa große Aufgaben zukommen.

Inwiefern?

Wir müssen uns dringend eigenständiger um unsere Sicherheitsfragen kümmern und den europäischen Pfeiler der Nato ausbauen. Da sind der Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands wichtige Entwicklungen. Europa wird mehr Verantwortung übernehmen müssen, egal ob Joe Biden wiedergewählt wird oder Donald Trump noch einmal Präsident wird.

Allerdings hat sich in dieser Hinsicht vieles schon bewegt. Deutschland gibt 2024 wieder zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus, hat ein Sondervermögen für die Bundeswehr aufgelegt und ist nach den USA der zweitgrößte militärische Unterstützer der Ukraine. Das wäre vor ein paar Jahren noch schwer vorstellbar gewesen.

Diese Botschaft müssen wir immer wieder senden. In den USA wird nicht automatisch wahrgenommen, was in Deutschland in Sachen Verteidigungsausgaben schon passiert ist. Amerikanische Gesprächspartner reagieren zum Teil immer noch erstaunt, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel in diesem Jahr erreichen. Es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben und diese Botschaften immer wieder zu überbringen.

Die CDU kritisiert allerdings, dass die Ampelkoalition das Land viel zu wenig Vorkehrungen trifft für den Fall einer erneuten Trump-Präsidentschaft.

Was die Wirtschaft angeht: Deutsche Unternehmen sind traditionell sehr stark in den USA engagiert und investieren da kräftig. Das Klima- und Konjunkturpaket von Joe Biden wirkt. Wir Grüne wollen, dass auch hier in unserem Land mehr in Zukunft investiert wird. Da blockiert aber die Union, weil sie keine Reformdebatte über die Schuldenbremse führen will. Auch in der Sicherheitspolitik haben wir uns schon auf den Weg gemacht. Deutschland wird in diesem Jahr das Zwei-Prozent-Ziel erreichen. Das Geld aus dem Sondervermögen wird im Lauf dieses Jahres vollständig vertraglich gebunden sein. Ich vermisse Vorschläge der Union, wie es danach weitergehen kann.

Wenn das Sondervermögen für die Bundeswehr bald verplant ist: Wann muss der Bundestag entscheiden, wie es danach weitergeht?

Je früher, desto besser. Wir müssen der Industrie Planungssicherheit geben. Wir erwarten von den Rüstungsfirmen, dass sie die Produktion vergrößern und entsprechend investieren. Dafür muss aber klar sein, ob sie in den nächsten Jahren weitere Aufträge bekommen. Wir sind sicherheitspolitisch langfristig gefordert.

Angenommen, Donald Trump wird in diesem Herbst wieder zum US-Präsidenten gewählt – könnte der Kongress dann ein Gegengewicht sein und ihn bremsen?

In der ersten Amtszeit von Trump haben die "Checks and Balances", also die Gewaltenteilung zwischen Regierung, Parlament und den Gerichten, funktioniert. Das Trump-Lager dominiert das Kräfteverhältnis innerhalb der republikanischen Partei. Die dringend notwendigen Ukraine-Hilfen werden im Kongress blockiert. Dabei verstehen auch viele republikanische Kolleginnen und Kollegen, dass die Ukraine dringend Unterstützung gegen die russische Aggression braucht.

Noch hat Trump allerdings nicht gewonnen. Ist es nicht gefährlich, Joe Biden schon abzuschreiben?

Weltpolitik wird in diesem Wahlkampf eine Rolle spielen. Joe Biden ist wegen der Situation in Gaza durchaus unter Druck. Die arabischstämmigen Amerikaner im Swingstate Michigan waren immer verlässliche Wählerinnen und Wähler der Demokraten, sind aber sehr sensibel für den Nahostkonflikt. Das Rennen ist auf jeden Fall offen. Trumps republikanische Gegenkandidatin Nikki Haley hat in manchen Bundesstaaten durchaus relevante Unterstützung gefunden. Nicht alle Republikaner stehen hinter Trump. Es bleibt spannend.

Über den Gesprächspartner

  • Sebastian Schäfer wurde im unterfränkischen Dettelbach geboren und hat in Erfurt Staatswissenschaften und Philosophie sowie Wirtschaftswissenschaften studiert. Dazu gehörte ein Studienaufenthalt an der Universität von Kalifornien in Berkeley. 2021 wurde er für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied des Deutschen Bundestags. Dort ist er Obmann seiner Fraktion im Haushaltsausschuss, stellvertretender Vorsitzender des Gremiums für das Sondervermögen der Bundeswehr sowie Vorsitzender der Parlamentariergruppe USA.
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