• Zwischen Bund und Ländern gibt es aufgrund unterschiedlicher Interessen immer wieder Konflikte.
  • Das Pandemiemanagement hat das deutlich gezeigt, aber auch bei anderen Themen wie Finanzen und der Energiewende gibt es Streitpotenzial.
  • Im Kanzleramt gibt es deshalb eine eigene Staatsministerin für die Bund-Länder-Beziehungen, die oft hinter den Kulissen koordiniert und vermittelt.
Eine Analyse

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Die Diskussionen um Erleichterungen und Verschärfungen im Zuge der Corona-Pandemie haben es in den vergangenen zwei Jahren deutlich gemacht: Bund und Länder ziehen nicht immer an einem Strang. Aktuell wird das vor allem an einem Beispiel wieder deutlich: Windkraft. Während der Bund sie vorantreiben möchte, galt zuletzt vor allem Bayern mit seiner sogenannten 10H-Regel als "Bremser". Seit Monaten steht deshalb die Frage im Raum, ob die Bundesregierung in Gestalt von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diese Landesregel mithilfe einer bundesweiten Regelung aufhebt, was rechtlich zulässig wäre.

Um das zu verhindern, reagierte die Koalition des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) kürzlich mit Lockerungen der Vorschrift - was aber nicht einmal der heimischen Wirtschaft weit genug geht. Söder verteidigte in der vergangenen Woche sein Vorgehen und sagte, der Gesetzgeber müsse auch an die Bürger denken, weil sonst "Unfrieden auf den Dörfern" und Chaos drohe. Habeck wiederum betonte in der Vergangenheit wiederholt, bei der Energiewende auf einen breiten Konsens setzen zu wollen, da deren Erfolg ansonsten von vorneherein angezweifelt werden müsse. Wie das Ganze endet, ist noch nicht endgültig abzusehen. Es ist jedenfalls eines von vielen Themen, die Konfliktpotenzial bergen.

Bund und Länder haben oft unterschiedliche Interessen

"Es ist nicht nur so, dass Bund und Länder unterschiedliche Interessen haben, sondern auch in den Ländern selbst sind die wichtigen Themen selbstverständlich immer unterschiedliche", sagt Sarah Ryglewski (SPD), für die Beziehungen zwischen Bund und Ländern zuständige Staatsministerin im Kanzleramt, im Gespräch mit unserer Redaktion. Um die Positionen zusammenzubringen, gibt es für den Bereich der erneuerbaren Energien sogar einen eigenen "Bund-Länder-Kooperationsausschuss".

"Durch eine veränderte Rechtssetzung wäre erst mal kein einziges Windrad mehr gebaut", sagt sie zum Streit über den Ausbau der Windkraft. Wenn man das partout nicht wolle, habe man als Bundesland im Zweifelsfall auch andere Möglichkeiten, um es zu verhindern. Ihre Aufgabe sei es deshalb, bei egal welchem Thema zu vermitteln "und einen gemeinsamen Konsens zu erzielen, mit dem alle gut leben können – sonst bräuchte es meine Funktion nicht." In vielen Angelegenheiten sei man sich zudem einig, so die Politikerin: Die Abstimmung bei der Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine laufe aktuell beispielsweise gut.

Mit Scholz im SMS-Kontakt

Neben den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sind Ryglewskis Ansprechpartner vor allem die Staats- und Senatskanzleien als deren Amtssitze sowie die sogenannten Bevollmächtigten des jeweiligen Landes beim Bund. Viele von ihnen kennt Ryglewski bisher nur aus Videokonferenzen, weshalb sie bis Ende des Jahres alle Bundesländer bereist haben will, um sie kennenzulernen.

Rücksprache halten muss die 39-Jährige, die bei der Bundestagswahl 2021 ein Direktmandat in Bremen gewann, außerdem mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Wenn es mit der Abstimmung schnell gehen soll, greift sie dabei gerne mal zu SMS. Auf ihr Telefon setzt sie auch mit Blick auf all die anderen Kontakte, mit denen sie sich austauscht: „Wenn man vorher schon persönlich miteinander gesprochen hat, hat man weniger Hemmungen, das Handy dann auch wirklich mal zu benutzen".

Arbeitsgruppen und mehr: Koalitionsvertrag sieht viele Kooperationen vor

Abstimmungsbedarf wird es in den kommenden Jahren zuhauf geben: In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP bei mehr als einem halben Dutzend Themen Arbeitsgruppen oder sonstige Kooperationen zwischen Bund und Ländern vereinbart, zum Beispiel zur Vereinheitlichung von Anlaufstellen für Sozialleistungen, der "Problematik der Obdachlosigkeit von EU-Bürgern" sowie für "Reformen für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung".

Aus Sicht von Ländern und Kommunen gab es in den vergangenen Jahren häufig vor allem einen Kritikpunkt: Der Bundestag beschließe etwas, was vor Ort umgesetzt werden muss, ohne dass sich vorher erkundigt werde, ob die nötigen Ressourcen dafür überhaupt vorhanden sind.

Beispiel "Digitalpakt": 2019 wurde das Grundgesetz geändert, um mehr Kooperation in Sachen Schule zu ermöglichen, da Bildung normalerweise Ländersache ist. Das Programm läuft bis 2024 und soll bei der digitalen Ausstattung entsprechender Einrichtungen helfen. Bis heute wurden aber nur wenige Mittel abgerufen. Das Antragsverfahren sei zu kompliziert und aufwändig, sagen die Kommunen. Der Bund verweist darauf, dass er nicht für die Umsetzung vor Ort zuständig sei.

Ein weiteres Beispiel ist der ab 2026 geltende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Das erfordert mancherorts einen massiven Ausbau von Personal und Räumlichkeiten, was teuer ist und entsprechend für Diskussionen sorgt. Ähnlich war es bei dem seit August 2013 geltenden Anspruch für unter Dreijährige auf einen Platz in einer Kita oder der Kindertagespflege.

Für die Ganztagsbetreuung braucht es einem Bericht des Deutschen Schulportals zufolge Schätzungen nach "schrittweise etwa 600.000 bis 800.000" zusätzliche Plätze, um den Bedarf bis 2029 zu decken. Laut eines dort zitieren Experten müsse darauf geachtet werden, "dass finanziell schlechter gestellte Kommunen mit hohem Ausbaubedarf bei der Verteilung der Mittel ausreichend unterstützt werden". Als größtes Problem gelten demnach ähnlich wie beim Digitalpakt aber "fehlende Planungskapazitäten" - also vor allem Mitarbeitende in der Verwaltung. Staatsministerin Ryglewski sagt, der Druck zur Einführung von mehr Betreuungsplätzen wäre auch ohne entsprechenden Beschluss des Bundes gekommen, solche Diskussionen müsse man daher ehrlich führen.

Kommunen spielen wichtige Rolle, aber viele sind überschuldet

Eine gemeinsame Verständigung sei allgemein wichtig, etwa bei der für die Energiewendige notwendigen Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. "Man muss auch die Kommunen mit ins Boot holen, weil schnellere Verfahren auf dem Papier einem nicht helfen, wenn die gesellschaftliche Stimmung und der politische Konsens vor Ort anders sind", so Ryglewski, die auch Präsidentin des Bremer Kreisverbands der Arbeiterwohlfahrt (Awo) ist.

Auch beim Thema Schulden spielen die Interessen von Städten und Gemeinden eine wichtige Rolle. Einem Thema, das Ryglewski schon während ihrer Zeit als Staatssekretärin im Finanzministerium unter Olaf Scholz beschäftigte. Viele Kommunen haben Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Daseinsvorsorge - Stichwort Schwimmbäder oder Bibliotheken - und können sich keine Investitionen in die Zukunft leisten. "Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, verspielen wir alles Wohlwollen der Bürgerinnen und Bürger bei der ökologischen Transformation, weil dann nur hängen bleibt: 'Ihr macht die alten Wirtschaftszweige kaputt, aber seid nicht in der Lage, auf etwas Neues zu setzen.'" Wenn die Bürgerinnen und Bürger vor Ort nur darüber entscheiden könnten, "welche Partei den Mangel verwaltet, ist das nicht demokratisch.“

Die Politikerin gibt als Ziel deshalb eine "Stunde Null" aus, bei der die Kommunen finanziell so gestellt werden, dass die Schulden aus der Vergangenheit keine Rolle mehr spielen würden: "Man kann gar nicht oft genug betonen, dass diese in den meisten Fällen mit dem Strukturwandel zu tun haben und nicht damit, dass mit vollen Händen Geld aus dem Fenster geschmissen wurde." Die Entschuldung von überlasteten Gemeinden und Städten ist für Ryglewski daher eine Priorität und kommt auch im Koalitionsvertrag vor. "Wir wollen (..) diese Kommunen von Altschulden entlasten", heißt es dort.

Anfang Mai griff Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) das Thema auf und schlug eine Grundgesetzänderung vor, um hoch verschuldete Städte und Gemeinden zu entlasten. Sein eigener Chefberater, der Wirtschaftswissenschaftler Lars Feld, kritisierte das Vorhaben. Ähnliche Pläne von Lindners Vorgänger Scholz scheiterten 2020 am Widerstand der mitregierenden Union - und mehreren Bundesländern. Deren Interessen wären auch bei einem neuen Vorstoß zu beachten.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Sarah Ryglewski, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und zuständig für die Bund-Länder-Beziehungen
  • Bundesregierung.de: Rechtsanspruch für unter Dreijährige
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Betreuungslücken für Grundschulkinder schließen
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa): Lindner: Grundgesetz ändern, um Kommunen zu entschulden
  • Deutsches-Schulportal.de: Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung – ist das zu schaffen?
  • Handelsblatt.de: Entlastung hochverschuldeter Kommunen: Christian Lindner bekommt Kritik von eigenem Chefberater
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