Die Bundestagswahl am 23. Februar bringt gleich mehrere Besonderheiten mit sich: Es gibt ein neues Wahlrecht, der verschobene Zeitpunkt könnte Auswirkungen haben und es treten gleich fünf Kanzlerkandidaten an. Politikwissenschaftler Nils Diederich erklärt, was bei der Neuwahl im Februar anders ist.

Bundestagswahl

Nur noch wenige Wochen, dann findet am 23. Februar die Bundestagswahl statt. Regulär hätten die Wahlen im September nach einer Regierungszeit von vier Jahren stattgefunden. Doch der Bruch der Ampel-Koalition hat zu vorgezogenen Neuwahlen geführt.

Neues Wahlrecht

Im Juni 2023 ist ein neues Wahlrecht in Kraft getreten. Die wichtigste Neuerung: Die Größe des Bundestags schrumpft. In Zukunft ist die Zahl der Abgeordneten gesetzlich auf 630 beschränkt – denn Überhang- und Ausgleichsmandate fallen in Zukunft weg. Dadurch war die Regelgröße von 598 Mandaten in der Vergangenheit immer wieder deutlich überschritten worden. So lang die Größe des 20. Deutschen Bundestags beispielsweise bei 736 Abgeordneten.

"Auch in Zukunft hat jeder Wähler zwei Stimmen – die Erststimme für einen Kandidaten im eigenen Wahlkreis, eine Zweitstimme für die Landesliste einer Partei", sagt Politikwissenschaftler Nils Diederich.

Das neue Wahlrecht kann aber dazu führen, dass ein Kandidat, der eine relative Mehrheit in seinem Wahlkreis geholt hat, trotzdem nicht in den Bundestag einzieht. Nämlich dann, wenn das nach dem Zweitstimmenergebnis zur Verfügung stehende Sitzkontingent schon ausgeschöpft ist und er im Vergleich mit den anderen erfolgreichen Wahlkreisbewerber das schwächsten Erststimmenergebnis eingefahren hat. Eine Ausnahme gilt für parteiunabhängige Bewerber – für sie garantiert der Wahlsieg im Wahlkreis sofort den Platz im Bundestag.

Abgeordnete verlieren Mandat

"Von dem Prinzip der Überhangmandate hat traditionell die Union – vor allem die CSU – und manchmal die SPD profitiert", sagt Diederich. Mit der Änderung des Wahlrechts bliebe die Proportionalität aber gewahrt, auch wenn manche Parteien absolut weniger Mandate bekommen könnten. "Jetzt haben wir im Grunde eine reine Verhältniswahl, mit ganz kleinen Abweichungen", so der Experte. Das neue Wahlrecht werde die Parteigewichte im Bundestag nicht wesentlich verändern, schätzt er.

Die Linkspartei, das BSW und die FDP könnten an der 5-Prozent-Hürde scheitern und aus dem Parlament fallen. "Die Mandate würden dann die anderen Parteien stärken, das Verhältnis bleibt aber gewahrt", erklärt er. Die Verkleinerung des Parlaments werde aber auf jeden Fall dazu führen, dass eine größere Zahl von Abgeordneten nicht wieder ins Parlament einrückt. "Das betrifft alle Parteien in unterschiedlichem Maß", so Diederich.

Fünf Kanzlerkandidaten

Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz (Union), Robert Habeck (Grüne), Alice Weidel (AfD) und Sahra Wagenknecht (BSW) – sie alle bezeichnen sich als Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat für die anstehende Wahl. Dabei steht beispielsweise das BSW in den Umfragen gerade einmal zwischen 4 und 7 Prozent – nicht gerade aussichtsreich für eine Kanzlerschaft.

Doch durch die Zersplitterung des Parteiensystems, in dem keine Partei eine eindeutige Mehrheit einfährt, und durch die teilweise schwierigen Mehrheitsbildungen ist es nicht ausgemacht, dass die Partei mit den meisten Stimmen auch den Kanzler stellt.

"In der Vergangenheit waren es in der Regel zwei Kanzlerkandidaten: CDU/CDU und SPD, beim letzten Mal schon drei. Das ist ein Anzeichen für tiefgreifende Veränderungen im Parteiensystem", bemerkt Politikwissenschaftler Diederich. Es deute auf ein mögliches Problem für die Stabilität des politischen Systems hin. "Niemand hat eine Mehrheit hinter sich, niemand ist deutlich beliebter als die anderen", sagt er.

Wahlzeitpunkt könnte Einfluss haben

Eigentlich hätte die Bundestagswahl im September stattfinden sollen – die Sommerferien wären dann in allen Bundesländern vorbei gewesen. Die vorgezogenen Neuwahlen führen zu einer Winterwahl. In Sachsen sind dann Winterferien, im Saarland beginnen sie einen Tag später. Einige Wählerinnen und Wähler könnten also verreist sein.

Für diese Menschen bleibt die Briefwahl eine Option – allerdings gelten hier verkürzte Fristen: Der Start der Briefwahl ist erst zwischen dem 6. und 10. Februar 2025 möglich. Außerdem gelten längere Postlaufzeiten, Briefe innerhalb Deutschlands benötigen nun bis zu drei Tage, internationale Sendungen sogar bis zu zehn Tagen. Das Zeitfenster, um die Briefwahlunterlagen rechtzeitig zu beantragen, auszufüllen und zurückzusenden, ist also kleiner.

Mehr Briefwähler

Der allgemein wachsende Anteil an Briefwählern habe möglicherweise Auswirkungen auf die Wahlprognosen am Wahltag, so der Experte. Denn diese kommen dadurch zustande, dass in einer repräsentativ ausgewählten Zahl von Stimmbezirken die Wähler vor dem Wahllokal befragt werden, was sie gewählt haben.

"Die Briefwahlergebnisse verschieben das im Nachgang noch ein bisschen – allerdings nur im einstelligen oder Komma-Bereich. Denn wenn man die Briefwähler getrennt auszählen würde, dann wählen sie etwas anders als die Menschen im Wahllokal", sagt Diederich.

Der verschobene Wahlzeitpunkt bringt auch anderes Wetter mit sich. "Das Wetter beeinflusst die Wahlbeteiligung. Liegt Schnee oder regnet es ständig, kann das die Wahlbeteiligung durchaus senken", sagt Diederich. Maßgeblich hänge die Wahlbeteiligung aber auch davon ab, wie wichtig die Wähler die Wahl nehmen.

Manche müssen zu Hause bleiben

"Aus den Umfragen wissen wir, dass es eine allgemeine große Unzufriedenheit unter den Wählern gibt, sodass man annehmen kann, dass es eine relativ hohe Wahlbeteiligung geben wird", schätzt der Experte. Gleichzeitig könne man auch argumentieren: "Im Spätsommer gehen die Menschen vielleicht eher ins Grüne und unternehmen etwas, statt ins Wahllokal. Das fällt im Februar eher weg, sodass man eine hohe Mobilisierung erwarten kann", so Diederich.

Manche, die hätten wählen dürfen, müssen nun außerdem zu Hause bleiben: Junge Menschen, die zwischen Februar und September 18 Jahre alt werden, dürfen jetzt nicht wählen – beim regulären Wahltermin hätten sie das gedurft.

Keine Koalition absehbar

Eine weitere Besonderheit laut Diederich: "Die Regierung ist zerbrochen und es liegt nicht auf der Hand, zu welcher Koalition es kommen wird. Es ist keine Alternative in Sicht. Die Besonderheit der Wahl liegt auch darin, dass es eine rechnerische Regierungsoption für die AfD gäbe", meint er. Die Parteien hätten zwar Brandmauern aufgestellt, was aber zu einer dramatischen Situation führe und die Koalitionsmöglichkeiten einschränke.

Wer am Ende vorne liegt, wer gar Kanzler wird – Diederich hält es für unseriös, sich dazu zu äußern. "Die Wahlumfragen haben einen großen Defekt. Die meisten Institute sagen nämlich nicht dazu, wie viele Wähler noch unentschieden sind. Derzeit ist eine wachsende Zahl von Wählern unentschieden. Deswegen sind die Wahlumfragen mit Vorsicht zu genießen", erinnert er.

Über den Experten:

  • Prof. Dr. Nils Diederich lehrte im Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Seine Schwerpunkte lagen u. a. auf Innenpolitik, Wahlforschung und Parteien. Diederich ist SPD-Mitglied und war Berliner Bundestagabgeordneter bis 1994.

Verwendete Quellen:

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