Bodo Ramelow hatte sich schon auf den Ruhestand eingestellt. Jetzt tourt der frühere Ministerpräsident von Thüringen stattdessen durch Erfurt und Weimar, um die Linke zu retten. Womöglich gelingt das. Aber nicht nur wegen Ramelow.
Ein junger Mann in Lederjacke knufft der Frau neben sich in die Seite. Er nickt in Richtung eines Mannes in roter Winterjacke, der gerade einen Teller mit Cevapcici auf einem Tablett balanciert. Auch viele andere junge Menschen, die gerade für ihr Mittagessen in der Mensa der Bauhaus-Universität in Weimar anstehen, blicken dem Mann nach.
An einem langen Tisch sitzt der frühere Ministerpräsident Thüringens mit seinen Wahlkampfhelfern und wärmt sich auf. Auch Linken-Spitzenkandidatin
Schnell haben sich dort Menschentrauben um die beiden Politiker gebildet. Angelockt wohl auch von der lauten Musik, die über den Platz hallt. Es gibt heißen Kaffee, Handwärmer, Schals – und dazu noch einen Motivationsschub für die Wahlkämpfer. "Es macht Spaß", sagt einer. In den vergangenen Wochen und Monaten habe man gemerkt, dass sich die Stimmung in der Partei verändert habe.
Silberlocken sollen den Einzug ins Parlament absichern
Das sieht auch Ramelow so. Der Ex-Ministerpräsident von Thüringen will für seinen Wahlkreis Erfurt/Weimar als Direktkandidat in den Bundestag einziehen. Eigentlich hatte er es mit seiner Familie anders verabredet: Ramelow wird Opa und sollte mehr Zeit zu Hause verbringen. Doch jetzt ist seine Mission, die Partei und ihren Verbleib im Parlament zu retten. "Ich kämpfe nicht, weil ich irgendeine Rolle brauche, sondern für eine starke Fraktion."
Ramelow ist Teil der "Mission Silberlocke". Gemeinsam mit
Auf dem Theaterplatz in Weimar hält eine junge Frau Ramelow ihren blauen Ordner hin, sie möchte ein Autogramm. Die Silberlocke fragt nach einem Filzstift und setzt ihren Otto auf die blaue Pappe. Ramelow wird an diesem Tag viele Unterschriften verteilen, später sogar noch einmal einen ganzen Stapel mit Autogrammkarten vorbereiten. Viele andere warten an diesem Morgen geduldig auf die Möglichkeit für ein kurzes Gespräch mit dem früheren Ministerpräsidenten.
Neue Stärke nach der Spaltung
"Die Partei erfährt gerade einen Hype", sagt Ramelow zwischendurch. "Zum Parteitag vor drei Wochen hatten wir noch 60.060 Mitglieder, mittlerweile sind es über 81.000." Die Atmosphäre sei eine andere und die Linke habe sich endlich wieder hochgekämpft – auch, weil der Streit gegangen ist.
Mit "dem Streit" meint Ramelow Sahra Wagenknecht und ihre Anhängerschaft, die vor etwa einem Jahr eine eigene Partei gegründet haben. Das Bündnis Sahra Wagenknecht. Sie hat die Linke erst gespalten, die Partei mit ihrem Weggang aber auch befreit. Mittlerweile gehe es mehr um gemeinsame Perspektiven statt um sogenannte Formelkompromisse, sagt Ramelow. Der stetige Streit habe die Partei viel Kraft gekostet, der Abspaltungsprozess schließlich zu neuer Stärke geführt.
Social Media spielt im Wahlkampf der Linken große Rolle
Und noch etwas dürfte für den "Hype" sorgen: Die Social-Media-Präsenz einzelner Linken-Politiker. Heidi Reichinnek etwa erreicht mit ihren Posts auf Tiktok 13,8 Millionen Likes. Zum Vergleich: AfD-Chefin Alice Weidel kommt auf 7,2 Millionen. Auch die Silberlocken erreichen mit ihren Social-Media-Videos mittlerweile Tausende Menschen. Tiktok hat die AfD großgemacht. Aber vielleicht ist es auch die Rettung für die Linke.
"Heidi übernimmt mittlerweile den digitalen Raum, den wir alle so lange an die AfD verloren haben."
Zwischen Fotos und Gesprächen ziehen sich Reichinnek und Ramelow auch an diesem Tag in Weimar kurz zurück. Sie müssen ein Video für die Bundesschülerkonferenz aufnehmen. Reichinnek ist in ihrem Element, spricht schnell und präzise. Auch Ramelow fühlt sich bei den Entweder-Oder-Fragen offenbar nicht unwohl.
Wie die anderen Silberlocken Gysi und Bartsch ist auch Ramelow mittlerweile an den schrillen Social-Media-Wahlkampf gewöhnt. Im besten Fall ist es ein Zusammenspiel: Im Straßenwahlkampf sammelt die Partei Material für den Social-Media-Wahlkampf – und durch die Posts bei Tiktok und Instagram erkennen immer mehr Menschen die Spitzenkandidierenden der Linken auch auf der Straße. "Heidi übernimmt mittlerweile den digitalen Raum, den wir alle so lange an die AfD verloren haben", sagt Ramelow dazu.
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Ramelow zeigt sich nahbar
Zwei Pflegekräfte sind extra auf den Theaterplatz gekommen, um die Linken auf die Situation in ihrem Krankenhaus aufmerksam zu machen. Sie seien bei einem kirchlichen Träger angestellt, weshalb für sie das kirchliche Arbeitsrecht gilt – und damit nicht die gleichen Tarife wie für nicht-kirchliche Krankenhäuser.
Ramelow hört den beiden zu. Er weiß um die Probleme. Erst kürzlich hat er die Kirchen aufgefordert, sich dem staatlichen Recht anzupassen und etwa Streiks zu erlauben. Seit Jahren habe er das Thema auf der Agenda, sagt er. "Ich bin bei euch."
Wenn es mit dem Bundestag klappt, steht Ramelow vor einem Rollenwechsel. Er war zehn Jahre lang Landesvater und konnte Menschen direkt helfen. Als Abgeordneter in Berlin hätte er nicht die gleiche Gestaltungsmacht. Er hätte keinen großen Beamtenapparat unter und keine Regierung hinter sich.
Ramelow ist aber davon überzeugt, dass ihm seine Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts im Bundestag nützen. "Ich habe in meiner Zeit als Ministerpräsident einen anderen Blick in die Abläufe solcher Regierungsapparate erhalten, das wird mir auch in der Opposition helfen. Und ich werde sicherlich auch den ein oder anderen Plausch mit den Kollegen auf der Ministerpräsidentenbank halten."
Im Erfurter Plattenbaugebiet haben es die Linken schwerer
Der "Hype" ist aber noch kein Selbstläufer. Am frühen Abend fährt Ramelow weiter in die Landeshauptstadt Erfurt. Anders als in Weimar stehen er und sein Wahlkampftrupp hier nicht auf einem Platz im historischen Zentrum, sondern mitten im Plattenbaugebiet Moskauer Platz. Ramelow hat hier selbst gelebt, als er vor 35 Jahren nach Thüringen kam.
In dem damaligen Neubaugebiet haben bis zu 15.000 DDR-Bürger gelebt, die froh waren über die modernen Wohnungen. Heute leben noch etwa 8000 Menschen dort. Eine sehr durchmischte Bevölkerung aus Menschen, die schon immer dort leben, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit wenig Geld.
Bis 2024 waren die Linken dort stärkste Kraft, bei der Landtagswahl hat die AfD die Genossen überholt – mit 20 Prozentpunkten Vorsprung. Es ist ein anderes Pflaster als die studentisch geprägte Klassikstadt Weimar.
Das zeigt sich auch an den Begegnungen: Auf dem Supermarktparkplatz zwischen den Hochhäusern stehen die Menschen nicht Schlange. Einzelne Bürger kommen vorbei und verwickeln Ramelow in kurze Gespräche – die Mehrheit aber würdigt die Wahlkämpfer kaum eines Blickes.
Ein Passant allerdings keift Ramelow an, alle Politiker würden sich nur die Taschen vollmachen. "Sie verdienen doch auch Geld mit ihrer Arbeit", antwortet die selbsternannte Silberlocke. Der Passant wirft Ramelow und anderen Politikern vor, das Volk zu belügen. Währenddessen stellt sich ein anderer älterer Mann neben den Ex-Ministerpräsidenten und beginnt Selfies von sich mit dem Politiker zu machen. Ramelow diskutiert noch kurz weiter, ehe er freundlich in die Kamera lächelt.
Verwendete Quellen
- Begleitung von Bodo Ramelow im Wahlkampf in Weimar und Erfurt
![JTI zertifiziert](https://s.uicdn.com/uimag/7.5711.0/assets/_sn_/module_assets/article/jti-z-light.png)
![JTI zertifiziert](https://s.uicdn.com/uimag/7.5711.0/assets/_sn_/module_assets/article/jti-z-dark.png)
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