Jetzt ist sie gekommen, die Zeit der Wahlplakate. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2017 säumen die Konterfeis von Merkel, Schulz und Co. die Straßen Deutschlands. Doch wie wirken diese Plakate? Was wollen sie aussagen? Eine Analyse.

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Angela Merkel (CDU) lächelt zufrieden in die Kamera, Martin Schulz (SPD) fordert die Wende und Christian Lindner (FDP) lässt sich in Hugo-Boss-Manier ablichten.

Die Strategien hinter den Plakaten sind so mannigfaltig wie die Parteien selbst. Das ist gewollt, denn Wahlplakate müssen vor allem auffallen.

"Wahlplakaten kann man sich nicht entziehen, man sieht sie im Wahlkampf jeden Tag", sagt Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider. "Und daher müssen die Plakate richtig gut gemacht sein. Das gelingt bei dieser Wahl mal mehr, mal weniger."

Im Gespräch mit unserer Redaktion analysiert der Wahlplakat-Experte die Aussagen und Intentionen der einzelnen Parteien.

CDU: Das "Wohlfühlplakat"

Das ist zu sehen: Kanzlerin Angela Merkel lächelt zufrieden in die Kamera. Am unteren Bildrand steht: "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben."

Die Kernaussage: Alles ist gut, und so soll es auch weiterhin bleiben.

Das meint der Experte: "Insgesamt gibt es drei wichtige Komponenten, die dieses Plakat gut charakterisieren.

Erstens: Merkel als Person abzubilden, ist eine gute Idee, denn sie ist eine starke Persönlichkeit für die Partei und ihre Wähler.

Zweitens: Die Deutschland-Fahne erkennt man stilisiert im Hintergrund. Das sieht designtechnisch richtig gut aus.

Und drittens: Das Lächeln von Merkel wirkt natürlich und signalisiert Optimismus. Es ist eine Art "Wohlfühlplakat", das man schnell versteht.

So ein Wahl-Plakat muss nämlich nicht irgendwelchen kreativen Köpfen gefallen, sondern den Wählerinnen und Wählern."

SPD: "Wir wollen die Zukunft sein"

Das ist zu sehen: Martin Schulz sitzt einer anderen Person gegenüber und hört zu. Dabei lächelt er. "Die Zukunft braucht neue Ideen. Und einen, der sie durchsetzt", lautet der Schriftzug am rechten Bildrand.

Die Kernaussage: Die SPD will die Partei der Zukunft sein. Und dafür braucht es einen Wechsel in der Politik.

Das meint der Experte: "Die SPD macht das genau richtig. Ihre Kernkompetenz ist soziale Gerechtigkeit. Damit muss sie werben. Diese Botschaft versteckt sich in den Aussagen und im Internet-Link am unteren Bildrand.

Martin Schulz wirkt auf diesem Bild natürlich und sympathisch. Er redet nicht, sondern gibt den Zuhörer.

Das Verhältnis von Text und Bild und der Aufbau des Plakats gefallen mir auch."

Die Grünen: "Eine gruselige Plakat-Kampagne"

Das ist zu sehen: Die Schrift ist am dominantesten: "Umwelt ist nicht alles. Aber ohne Umwelt ist alles nichts. Darum Grün." Im Hintergrund sieht man eine Erdkugel, die in einem Magenta-Ton eingefärbt ist.

Die Kernaussage: Wir sind die Grünen, Umwelt ist unsere Kernkompetenz.

Das meint der Experte: "Diese Plakat-Kampagne der Grünen ist gruselig. Und das aus mehrfacher Hinsicht.

Erstens: Magenta geht gar nicht. Das verbindet man nicht mit einer Partei, die sich die Grünen nennt. Magenta ist zwar eine Signalfarbe, aber keine, die Optimismus vermittelt. In diesem Fall schreckt sie total ab.

Zweitens ist die Erde überhaupt nicht zu erkennen. Da muss man schon genau hinschauen. Das Motiv ist an und für sich gut, die Umsetzung allerdings schlecht. Früher hatten die Grünen ein Foto der Erde. Das war wesentlich eindrücklicher.

Drittens sind die Plakate zu buchstabenlastig. Man fühlt sich überfordert, gerade auch weil die Buchstaben aggressiv wirken."

FDP: "Wir haben viel zu sagen"

Das ist zu sehen: Spitzenkandidat Christian Lindner ist in Schwarz-Weiß abgebildet und sieht Richtung Boden. Neben dem Parteilogo zieht sich ein großes Textfeld mit Wahlkampfinhalten durch die Mitte des Plakats. Ganz links die Aussage: "Ungeduld ist auch eine Tugend."

Die Kernaussage: Die FDP ist wieder da, und sie ist neu, anders und modern. Und sie hat viele Inhalte.

Das meint der Experte: "Die FDP-Plakatkampagne finde ich spannend, denn sie bricht mit fast allen Traditionen.

Früher hat man gesagt, dass zu viel Text ein absolutes No-Go ist - und hier stehen ganze Aussagen in Textform in kleiner Schrift auf dem Plakat.

Doch in diesem Kontext funktioniert es, denn es sagt aus: Wir, die FDP, wir haben viel zu sagen.

Die grellen Neon-Farben sind ebenfalls ein Bruch mit der alten FDP, auch das soll den Neuanfang symbolisieren.

Dass sich die Partei stark auf Christian Lindner fokussiert, ist naheliegend. Er ist nicht nur ihr Spitzenkandidat, sondern auch in der Partei extrem beliebt.

Das Einzige, was ich zu kritisieren habe, ist, dass Lindner wie bei einem Mode-Shooting abgelichtet ist.

Dieses ganze Text-Bild-Lindner-Konzept wird die Partei auch ziemlich sicher nur für diesen Wahlkampf verwenden."

AfD: "Die Partei ist sich nicht einig"

Das ist zu sehen: Drei junge Frauen im Bikini am Strand. In Schulterhöhe der Frauen sieht man den Slogan "Burkas? Wir stehen auf Bikinis", am unteren Bildrand: "Trau dich, Deutschland!"

Die Kernaussage: Mit uns gibt es keine Islamisierung Deutschlands. Wir wahren die deutschen Traditionen.

Das meint der Experte: "Die AfD ist sich nicht ganz einig, was sie eigentlich will. Sie hat nämlich zwei Kampagnen.

Einmal diese hier, bei der man "freche" Sprüche über "flippigen" Bildern sieht, und einmal eine ganz traditionelle mit populistischen Textaussagen.

Ich verstehe nicht ganz, warum sie sich nicht, wie bei den letzten Wahlen, auf reine Textplakate konzentriert haben. Denn genau das wirkt beim AfD-Wähler.

Diese Foto-Aussagen werden schlicht nicht ankommen, weil man zu oft um die Ecke denken muss.

Die Parolen-Plakate, mit allen Ressentiments, die die Partei bedient, waren da wesentlich effektiver."

DIE LINKE: "Die Partei überrascht positiv"

Das ist zu sehen: Auf dem Plakat ist in bunten Buchstaben das Wort "Mensch" abgedruckt. Darunter steht die Aussage "Entschieden gegen rechte Hetze. Die Linke."

Die Kernaussage: Wir sind klar in unseren Forderungen. Wir sind das Bollwerk gegen Rechts - und dafür braucht uns das Land.

Das meint der Experte: "Die Linkspartei hat mich überrascht. Normalerweise ist sie die Partei mit den mit Abstand schlechtesten Wahlplakaten. Eine frühere rot-gelbe Farbkombination hat eher an eine Media-Markt-Werbung erinnert, als an seriöse Politik.

Hier halten sie es knapp und gut verständlich. Ein Stichwort ist immer grafisch hervorgehoben, darunter sieht man einen klaren Schriftzug mit einer prägnanten Forderung.

Bei der eigenen Klientel wird das gut funktionieren. Die Plakate sind erstaunlich gut, erwartet habe ich das nicht."

Frank Brettschneider ist seit 2006 Professor für Kommunikationswissenschaften an der Hohenheim-Universität Stuttgart und unter anderem spezialisiert auf Verständlichkeitsforschung und Politische Kommunikation.
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