Michael Kretschmer tritt an, um in Sachsen weitere fünf Jahre den Ton anzugeben. Die AfD und das BSW werden es der bestehenden schwarz-grün-roten Landesregierung nicht leicht machen. Im Interview erklärt der CDU-Politiker, wie er dennoch als Gewinner aus der Landtagswahl hervorgehen will.
Drei Taktstöcke hängen im Büro von
Allerdings ist ein Bundesland mit vier Millionen Einwohnern kein Orchester. Die Stimmung in Sachsen ist angespannt, die Misstöne zwischen den Parteien sind gewaltig. Wie will Kretschmer das Land wieder in Einklang bringen? Im Interview in Dresden kommt der CDU-Politiker vor allem auf ein Thema immer wieder zu sprechen.
Herr Kretschmer, einer Umfrage zufolge können sich zwei von drei ostdeutschen CDU-Mitgliedern eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen. Sie haben das bisher abgelehnt. Geben Ihnen die Ergebnisse zu denken?
Michael Kretschmer: Von dieser Umfrage halte ich wenig. Aussagekräftige Umfragen unter Parteimitgliedern sind schwer – sie können das ja nicht überprüfen.
Beim Nein zur Zusammenarbeit mit der AfD bleiben Sie aber?
Klares Ja zum Nein. Es gibt dazu Parteitags- und Kreistagsbeschlüsse, auch die CDU-Landtagsfraktion steht ganz klar dahinter: Die AfD ist eine zunehmend radikalisierte Partei, die uns als Hauptfeind ausgemacht hat. Sie darf auf keinen Fall in Verantwortung kommen.
Sie schließen eine Zusammenarbeit mit der AfD aus und auch mit den Linken. Mit den Grünen wollen Sie auch nicht erneut koalieren. Zusammengenommen sind das fast 40 Prozent der Wählerschaft. Lassen sich so die tiefen gesellschaftlichen Gräben überbrücken?
Nach der Landratswahl in Sonneberg, bei der ein AfD-Politiker gewann, haben Ihre Kollegen etwas Zutreffendes geschrieben: Die Menschen stimmen über Migrations- und Energiepolitik ab, über die Frage, wie stark der Staat ihr Leben reguliert. Die Kommunen und Länder können darüber zwar nicht entscheiden. Trotzdem treiben diese Themen die Menschen so stark um, dass sie bei Wahlen darüber abstimmen. Die Ministerpräsidenten und auch die CDU/CSU-Fraktion wollten mit der Bundesregierung zu einem parteiübergreifenden Konsens kommen, die hat das aber abgelehnt. Die Stimmung im Land ist zerrüttet, viele Menschen wenden sich von den demokratischen Institutionen ab.
Es ist doch auch kein gutes Zeichen für den Zusammenhalt im Land, wenn Sie sagen: Mit denen und denen und denen werde ich nicht zusammenarbeiten.
Einen Koalitionsvertrag schließt man zuerst mit der eigenen Bevölkerung. Ich versuche meinen Beitrag zu leisten, damit dieses Land zusammenbleibt. Meine Hand ist ausgestreckt, auch um das Thema Migration zu klären. Im vergangenen Jahr sind mehr als 300.000 Flüchtlinge zu uns gekommen. Es gibt dafür weder Kindergarten- noch Schulplätze oder Integrationskurse. In den kommenden Jahren haben wir die Kapazität, 30.000 bis 40.000 Menschen zu integrieren.
Die Migrationspolitik ist vor allem ein Bundesthema. Warum spielt es im sächsischen Wahlkampf eine so große Rolle?
Weil wir schon zu lange ohne konkrete Ergebnisse diskutieren. Die Demokratie muss beweisen, dass sie Herausforderungen und Probleme lösen kann. Sonst fühlen sich Menschen ohnmächtig und frustriert – und wählen dann eine angebliche Protestpartei.
Der Bundeskanzler hat angekündigt, dass er "im großen Stil" abschieben will. Die Ampel hat Grenzkontrollen eingeführt. Sie ziehen also am selben Strang. Warum sagen Sie das den Wählern nicht?
Von dieser Ankündigung ist wenig geblieben. Die Grenzkontrollen hat der Freistaat Sachsen gefordert und durchgesetzt. Im Vorfeld wurden wir für den Vorschlag beschimpft: Das wäre unmöglich, das würde nichts bringen. Als wir über die Bezahlkarte gesprochen haben, hagelte es auch Kritik. In einer Demokratie muss es möglich sein, solche Dinge anzusprechen und der Regierung Druck zu machen.
Grenzkontrollen und Bezahlkarte hat die Bundesregierung umgesetzt. Sie ist also auf Ihre Vorschläge eingegangen.
Im vergangenen Jahr gab es dennoch rund 320.000 Flüchtlinge. Dieses Jahr werden es etwas weniger sein, durch die Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Mir geht es darum, was unser Land leisten kann.
Sie wollen in Sachsen eine eigene Grenzpolizei einführen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert hingegen bessere Ausrüstung und mehr Personal in den Städten.
Ich komme selbst aus einer Grenzregion, aus Görlitz. Aufgabe der Grenzpolizei wird der Kampf gegen Diebstähle, Drogen und die organisierte Schlepper-Kriminalität sein. Die Polizeigewerkschaft arbeitet in einer Expertenkommission mit. Im Oktober soll ein Konzept stehen.
Wenn die Asylreform der EU umgesetzt wird, sollen Asylanträge von Geflüchteten bald an den EU-Außengrenzen abgearbeitet werden. Ist Ihre Grenzpolizei dann obsolet?
Nein. Ich habe zwei Zusagen gegeben. Es wird erstens mehr Personal für die Polizei geben. Zweitens schaffen wir, anders als in Bayern, keine eigene Grenzschutzpolizei, sondern integrieren die Beamten in die Polizeidirektionen der Grenzregionen. Das schafft mehr Flexibilität, auch für Diebstahls- und Drogenkriminalität.
Viele Branchen sind auf ausländische Fachkräfte angewiesen. Die Angst vor Überfremdung scheint aber in diesem Wahlkampf allgegenwärtig zu sein. Wollen oder können die Menschen nicht zwischen Arbeitsmigranten und Asylsuchenden unterscheiden?
Das sind zwei Seiten einer Medaille. Auch für Fachkräfte müssen wir Integrationsanstrengungen wie Sprachkurse, Kindergartenplätze und Wohnraum schaffen. Deshalb braucht es einen Migrationsfrieden. Die Bevölkerung muss wahrnehmen, dass die Parteien der demokratischen Mitte eine Lösung finden wollen. Dieses Land wird immer solidarisch sein. Wir werden weiterhin Menschen helfen, die zu uns kommen. Aber in einem Umfang, der für uns verkraftbar ist. Das gelingt nur, wenn wir die irreguläre Migration schnell zurückdrängen.
Wer ständig über zu viel Migration klagt, schafft doch keine gesellschaftliche Stimmung, in der sich ausländische Fachkräfte wohlfühlen.
Ich nehme die Leute im Land als neugierig und weltoffen wahr. Sie haben ein positives Verhältnis zu ausländischen Mitbürgern. Man muss die ausländischen Straftäter stärker in den Fokus nehmen. Da hat der Kanzler recht. Aber die Instrumente, die er Ländern, Kommunen und Justiz an die Hand gibt, sind zu schwach.
Sie arbeiten sich vor allem an der Bundesregierung ab. Was aber sagen Sie zur AfD? Wirtschaftsverbände fürchten, dass ein Wahlerfolg der AfD das Land für ausländische Fachkräfte abschreckend macht.
Diese Auseinandersetzung führen wir tagtäglich. Die AfD schürt Hass, redet Sachsen schlecht und hat ein erschütternd rückständiges Bild von Frauen, Migranten und Menschen mit Behinderungen.
Sie fordern weniger Waffenlieferungen an die Ukraine. Ist das schon ein Zugeständnis an Sahra Wagenknecht? Womöglich sind Sie nach der Wahl auf das BSW angewiesen, um eine Koalition bilden zu können.
Nein, aber in der Bevölkerung herrscht bei diesem Thema einfach großer Verdruss. Die Bundesregierung hat ihre eigenen roten Linien ständig überschritten. Erst sollten es nur 5.000 Helme sein, dann haben wir Munition geliefert, dann Panzer.
Also sind Sie sich mit Frau Wagenknecht einig?
Ich habe meine Einschätzung zu diesem furchtbaren Krieg und welche wichtige Rolle Deutschland für eine diplomatische Lösung hat, seit Kriegsbeginn erklärt. Für mich gibt es keine, wirklich keine Rechtfertigung, warum Russland vielleicht doch berechtigt ist, den Krieg zu führen. Es gibt keinen Grund, ein anderes Land anzugreifen. Kein Quadratmeter der Ukraine gehört Russland, auch nicht die Krim.
Ist es dann nicht richtig, die Ukraine auch mit Waffen zu unterstützen?
Je früher ein Waffenstillstand kommt, umso schneller muss das Geld nicht dafür verwendet werden, dass sich Panzer gegenseitig zerschießen. Das Geld müssen wir für die Sicherheit in Europa investieren. Für das Baltikum, für Polen, für die Ukraine, für Rumänien, für uns selbst. Ich habe schon früh gesagt: Der Krieg ist nicht auf dem Schlachtfeld zu gewinnen, man braucht Diplomatie. Die einzige Sprache, die Putin versteht, ist Stärke. Unsere Stärke ist unsere wirtschaftliche Kraft. Wir brauchen sie, um in unsere eigene Sicherheit zu investieren. Nach dem Angriff des Irans auf Israel haben wir gesehen, wie gut sich Israel wehren konnte. Das brauchen wir für Europa auch.
Zur Person:
- Michael Kretschmer wurde am 7. Mai 1975 in Görlitz geboren, er ist evangelisch und Vater von zwei Söhnen. Seinen politischen Weg begann er als Stadtrat seiner Heimatstadt Görlitz. Von 1993 bis 2002 war er im Landesvorstand der Jungen Union Sachsen und Niederschlesien. Am 23. April 2005 wurde Kretschmer zum Generalsekretär der sächsischen CDU gewählt und danach mehrfach im Amt bestätigt. Seit dem 9. Dezember 2017 ist er Landesvorsitzender des CDU-Landesverbandes Sachsen. Bis 2017 gehörte der dem Bundestag an. Von 2009 bis 2017 war Michael Kretschmer stellvertretender Fraktionsvorsitzender mit den Aufgabenbereichen Bildung und Forschung sowie Kunst, Kultur und Medien. Seit dem 13. Dezember 2017 ist Michael er Ministerpräsident des Freistaates Sachsen.
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