Am 8. Oktober wählt Bayern einen neuen Landtag. Dass die CSU die Wahl gewinnen dürfte, daran zweifelt wohl kaum jemand in Deutschland. Trotzdem nimmt Bayerns Ministerpräsident und CSU-Spitzenkandidat Markus Söder den Wahlkampf ernst. Vielleicht sogar etwas zu sehr? Ein Gespräch über Bayerns Abgrenzung zur Ampel, die Grünen und die Energiewende im Freistaat.
Das Erste, das einem in der CSU-Bezirksgeschäftsstelle in Nürnberg ins Auge fällt, ist ein Bild. Eine Karikatur, die so an einer Tür hängt, dass man sie beim Betreten des Büros eigentlich nicht übersehen kann.
Ein Mann versucht darin, Auskünfte von der Bundesregierung zu erhalten. Doch statt Antworten erhält er wenig aufschlussreiche Sätze von einer Stimme auf Band: "Wollen Sie belogen werden, drücken Sie die eins. Wollen Sie erfahren, wofür wir alles kein Konzept haben, drücken Sie die zwei. Für sonstige sozialistische Fantastereien drücken Sie die Drei."
Die Karikatur ist schon älter, ihr Zeichner, Uli Stein, bereits seit drei Jahren tot. Doch die aktuelle Haltung von
Auch das Gespräch, das der bayerische Ministerpräsident an diesem Tag mit unserer Redaktion geführt hat, lässt daran keinen Zweifel aufkommen. Vor allem den Kurs der Grünen kritisiert Söder, der sich im Wahlkampfmodus für die Landtagswahl in Bayern befindet.
Markus Söder: "Ich suche den maximalen Kontakt zur Bevölkerung"
Herr Söder, Sie haben im letzten Jahr von 31 Plenarsitzungen im Landtag lediglich an fünf teilgenommen. Andererseits wollen Sie bis zur Wahl am 8. Oktober 110 Bierzelte in Bayern besucht haben. Sind sie vielleicht ein passionierterer Wahlkämpfer als Parlamentarier?
Mit großer Achtung und Respekt vor dem Parlament: Ich bin da, wenn es notwendig ist. Kein Ministerpräsident hat in einer Legislaturperiode mehr Regierungserklärungen gegeben – das sagt alles. Insgesamt ist Parlamentsarbeit eine Teamarbeit. Die Regierungsbank ist in jeder Sitzung besetzt. Genauso wichtig ist es aber auch, im Land bei den Bürgerinnen und Bürgern unterwegs zu sein. Ich suche den maximalen Kontakt zur Bevölkerung, höre zu und bin für die Menschen da.
Sind Sie der Ampel-Regierung eigentlich dankbar? Schließlich bietet sie sich mit ihrem Dauer-Zoff als idealer Prügelknabe im Wahlkampf an.
Es macht mir große Sorgen, wie die Bundesregierung agiert. Der dauerhafte Streit und das schlechte politische Handwerk der Ampel führen inzwischen leider zu einem Vertrauensverlust in die Demokratie. Das schadet allen demokratischen Parteien. Einige Menschen sind zum Teil so frustriert, dass sie sogar das System in Frage stellen und AfD wählen – nicht, weil sie deren Gedankengut anhängen, sondern einfach, weil sie der Politik aus Berlin einen Denkzettel verpassen wollen.
Weil Sie die AfD ansprechen: Die muss sich in Bayern mit CSU und Freien Wählern gegen zwei konservative Parteien durchsetzen. Trotz dieser Konkurrenzsituation hat sie zuletzt in den Umfragen zugelegt. Die CSU stagniert derweil – ist nach der Causa Aiwanger sogar weiter abgefallen. Wie erklären Sie das?
Die AfD stellt die Demokratie in Frage. Deshalb brauchen wir eine klare inhaltliche Auseinandersetzung, wofür diese AfD eigentlich steht. Sie agiert menschenfeindlich und fordert, die EU solle sterben und Deutschland raus aus der NATO. All das wäre grundlegend falsch und hätte dramatische Folgen für unser Land. Der Ausstieg aus der EU hieße für eine Exportnation wie Deutschland: Verlust von Wohlstand. Und die NATO zu verlassen würde bedeuten, dass wir zu einem Protektorat von Putin würden. Deswegen schwächt jede AfD-Stimme Bayern und Deutschland ganz massiv.
Aber die Frage war: Wie kann es sein, dass die AfD in Bayern zulegt? Obwohl der CSU-Wahlkampf bislang größtenteils daraus besteht, sich als Gegenpol zur Ampel darzustellen.
Das sehe ich anders. Wir setzen vor allem auf einen eigenen Bayernsound und machen Mut und Hoffnung. In Bayern lebt es sich einfach besser, und in Bayern wird gut regiert. Wir haben nicht ständig Woche für Woche Regierungsstreitigkeiten oder treffen falsche Entscheidungen. Die CSU vertritt die Interessen Bayerns wie keine andere Partei. Die AfD hingegen hat in Bayern nicht annähernd die Werte wie in anderen Teilen Deutschlands.
"Die Grünen haben kein Bayern-Gen"
Die Partei hat trotzdem noch eine realistische Chance, zweitstärkste Kraft zu werden.
Warten wir es ab. Wenn Sie alle Umfragen zusammennehmen, liegt die AfD nicht erheblich über dem Ergebnis der letzten Wahl. Dass die Grünen auch bei uns derzeit große Probleme haben, liegt daran, dass sie kein Bayern-Gen haben – und dass sie in der Ampel die entscheidende Partei sind und große Fehler machen.
Ach ja?
Die SPD ist für die meisten Bürger in der Koalition nicht erkennbar, und die FDP versucht lustlos, manche Projekte zu verhindern. Die Grünen geben derweil die inhaltliche Richtung dieser Regierung vor. Dabei fallen sie leider in die alten Denkmuster zurück. Atomausstieg, Heizungsgesetz, Cannabis-Legalisierung: alles Projekte, die von den Grünen vorangetrieben werden.
Die Beispiele hinken aber. Pläne für die Cannabis-Legalisierung fanden sich in allen Wahlprogrammen der Ampel-Parteien. Und der Atomausstieg war beschlossene Sache, bevor die Grünen in die Regierung kamen.
Die Grundidee stammt von den Grünen. Die Grünen würden immer sagen: Wir waren die Ersten, die das wollten. Und zum Atomausstieg: Niemand von uns stellt ihn grundsätzlich in Frage. Es bleibt aber ein schwerer Fehler, dass die Kernkraft in der größten Energiekrise seit Jahrzehnten abgeschaltet wird. Stattdessen verfeuern die Grünen aus ideologischen Gründen lieber klimaschädliche Kohle. Wer soll das verstehen?
Die Grünen mussten in der Koalition aber auch Kröten schlucken. Denken Sie an den Koalitionsausschuss im Frühjahr, wo die Sektorenziele beim Klimaschutz aufgeweicht wurden.
Gegenbeispiel: die Kabinettssitzung Mitte August. Da haben die Grünen alles an Entlastungspaketen blockiert. Beispielweise hat auch keiner der Vorschläge von Frau Faeser zur Asylpolitik eine Chance, weil die Grünen sich sperren. In der Europäischen Union gibt es mittlerweile einen großen Konsens, dass man die Außengrenzen besser schützen will – aber bei den Grünen leider nicht. Deswegen sind die Grünen die Stolpersteine der Asylpolitik. Es bräuchte dringend sichere Grenzen und eine Grenzpolizei nach bayerischem Vorbild in ganz Deutschland. Zudem müsste die Bundesregierung mehr Rückführungsvereinbarungen schließen und die Liste der sicheren Herkunftsstaaten massiv erweitern. Und: Statt weiterer Sonderaufnahmeprogramme bräuchte es endlich Sonderrückführungsprogramme für kriminelle Straftäter.
Friedrich Merz hat die Grünen auf Bundesebene zum Hauptgegner erkoren. Bei Ihrer scharfen Kritik an der Partei hört sich das so an, als würden Sie das unterschreiben?
Der Systemgegner ist die AfD, weil sie eine andere Vorstellung von Demokratie hat. Deswegen gilt es, dafür zu kämpfen, dass die AfD keinen größeren Einfluss bekommt in Bayern. Die Grünen sind unser Gegenpol in allen Zukunftsfragen. Es gibt keine Partei, die im Vergleich so klar andere Vorstellungen hat. Die Grünen setzen auf Ideologie und immer neue Verbote. Wir setzen dagegen auf Wohlstand, Freiheit, Technologie und Bildung.
"Die Einführung neuer staatlicher Gebühren in der Krise ist falsch"
Beim Thema Wasser scheinen Sie sich aber grundsätzlich einig zu sein. Bayern hat vor dem Hintergrund der Klimakrise und immer längerer Trockenperioden vermehrt mit Wassermangel zu kämpfen. Trotzdem ist Wasser dort praktisch kostenlos. Andere Bundesländer verlangen eine Gebühr, einen sogenannten Wassercent. Im Freistaat soll der erst in der nächsten Legislaturperiode kommen. Warum?
Der Grund ist die hohe Belastung durch die Ukrainekrise. Die Energiepreise sind gestiegen, und die Lebensmittelpreise sind einer der Inflationstreiber. In so einer Phase braucht es Entlastungen und keine zusätzlichen Belastungen. Wir sind überzeugt: Die Erhöhung oder Einführung neuer staatlicher Gebühren in der Krise ist falsch. Aber wir wollen den Wassercent im nächsten Jahr strukturieren und einführen. Das Geld daraus soll dann auch als Finanzierungsquelle für weitere Wasserschutz- und Wasserprojekte verwendet werden.
Experten fordern schon länger, dass Bayern mehr Wasserschutzzonen ausweist. Aktuell machen Wasserschutzgebiete etwa fünf Prozent der Fläche des Freistaats aus. Warum findet sich keine Erhöhung im Regierungsprogramm der CSU?
Wir haben mit die beste Wassersituation in Deutschland. Andere Länder mögen vielleicht fünf Wasserschutzgebiete mehr ausweisen, verfügen aber dennoch nicht über die Qualität und Quantität unseres Wassers. Es kommt uns sehr darauf an, sorgsam mit Wasser umzugehen. Wir wissen, dass sich durch die schmelzenden Gletscher und durch weniger Schneefall im Winter das gesamte Wassergleichgewicht verändern kann.
Also sind Sie dagegen, neue Wasserschutzzonen auszuweisen?
Wir reden hier nicht über Prozentangaben. Wir haben bereits einen Runden Tisch einberufen, der alle Zukunftsfragen zum Wasser in den Blick nimmt. Klar ist: Wasser ist unser größter Schatz, den wir hüten werden.
Nicht nur beim Wasser gibt es Defizite in Bayern, sondern auch bei der Windkraft. In Bayern drehen sich derzeit rund 1.100 Windräder. Weitere 1.000 sollen bis 2030 gebaut werden. Im ersten Halbjahr 2023 wurden aber gerade einmal drei genehmigt.
Sie wissen, dass diese Zahlen aus der Vergangenheit stammen. Sie sprechen von Genehmigungsverfahren, die vor mehreren Jahren auf den Weg gebracht wurden. Denn so lange dauert das durchschnittliche Genehmigungsverfahren bislang – was viel zu lange ist. Deshalb werden wir diese Verfahren abkürzen und beschleunigen. Insgesamt wollen wir in Bayern beim Wind kräftig zulegen, deshalb haben wir auch unsere Staatswälder geöffnet. Bei uns entstehen etwa in den Industriestandorten Burghausen und in Rennsteig in Oberfranken zwei riesige Windparks. Die einseitige Fixierung auf eine bestimmte Energieform wäre aber falsch.
"Die Photovoltaik wollen wir als Sonnenland sogar verdreifachen"
In Ihrem Regierungsprogramm steht, dass Sie den Anteil der Erneuerbaren Energien bis 2030 verdoppeln und dafür beispielsweise den Wasserkraftanteil auf 25 Prozent erhöhen wollen. Viele Experten sagen jedoch, dass bei der Wasserkraft und auch bei der Biomasse die Potenziale schon weitgehend ausgeschöpft sind.
Dann sprechen Sie mit anderen Experten als wir. Bei der Wasserkraft planen wir zum Beispiel gemeinsam mit Österreich ein sehr großes Wasserkraftwerk an der Salzach. Wir haben Pumpspeicherkraftwerke, gegen die im Übrigen wiederum die Grünen Stellung beziehen. Zudem wird bei uns aktuell eine der größten Geothermie-Anlagen gebaut. Wir glauben, dass wir die Ziele zur Verdopplung der Erneuerbaren Energien bis 2030 absolut erreichen können. Die Photovoltaik wollen wir als Sonnenland sogar verdreifachen.
Besonders bei der Photovoltaik könnte Ihnen aber der schleppende Netzausbau einen Strich durch die Rechnung machen. Viele Netze sind bereits jetzt schon überlastet und müssen dringend ausgebaut werden.
Deshalb ist uns dieses Thema besonders wichtig. Wir haben beim Personal bereits kräftig aufgestockt, damit wir den Ausbau weiter beschleunigen. Außerdem haben wir ein Programm aufgestellt für zusätzliche Batteriespeicher, um den erneuerbaren Strom regional zu speichern und zu verteilen. Insgesamt bauen wir 50 Elektrolyseure, verteilt in ganz Bayern. Die erzeugen Wasserstoff aus überschüssigem erneuerbarem Strom. Wir haben dafür ein Förderprogramm von 150 Millionen Euro aufgelegt. Das ist insbesondere für den ländlichen Raum sehr wichtig.
Setzen Sie da nicht ein bisschen zu sehr auf Photovoltaik? Die hat immer noch das Problem, dass damit nicht durchgängig Strom erzeugt werden kann.
Das gilt auch für den Wind. Deshalb setzen wir auf alle verfügbaren Formen an Heimatenergien, also neben Photovoltaik auch auf Wasser, Wind, Biomasse und Geothermie. Wir machen alles. Es gibt keine Erneuerbaren Energien erster und zweiter Klasse. Wir sagen "all in".
Söder zum Fall Hubert Aiwanger: "Es gibt keinen Beweis, dass er es getan hat"
Wie haben Sie die Vorwürfe rund um Ihren Stellvertreter Hubert Aiwanger und das antisemitische Flugblatt wahrgenommen?
Dieses Flugblatt ist menschenverachtend, widerwärtig und in einem abstoßenden Nazi-Jargon verfasst. Die Bayerische Staatsregierung ist seit Jahrzehnten ein Bollwerk gegen Antisemitismus, dafür garantiere ich auch persönlich als Ministerpräsident. Für mich war entscheidend, mir selbst einen Eindruck zu verschaffen und mich nicht allein auf Medienberichte zu verlassen.
Was war Ihr Plan, nachdem Sie das erste Mal von der Flugblatt-Affäre gehört haben?
Ich wollte mir in einem geordneten und fairen Verfahren einen Eindruck verschaffen. Dazu gehörte auch ein langes persönliches Gespräch mit Hubert Aiwanger. Er hat mir mehrfach versichert, dass er dieses Flugblatt nicht verfasst hat. Am Ende gibt es keinen Beweis, dass er es getan hat.
Sie haben sich am Ende dafür entschieden, Hubert Aiwanger im Amt zu belassen. Wie blicken Sie jetzt rückwirkend auf die gesamte Causa Aiwanger?
Unstrittig ist, dass die Krisen-Kommunikation nicht ausreichend war. Das zeigen viele Reaktionen – unter anderem aus der jüdischen Gemeinde. Auch Überlebende des Holocaust üben Kritik. Die Entschuldigung von Hubert Aiwanger kam sehr spät, aber sie war richtig und wichtig. Mein gut gemeinter Rat: Nur wer ehrlich bereut und Demut zeigt, kann Vertrauen zurückgewinnen.
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