• Die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen haben ein neues Landesparlament gewählt: Die CDU wird klar stärkste Partei, die SPD bekommt eine Klatsche ebenso wie die FDP.
  • Von den Regierungsparteien im Bund punkten nur die Grünen.
  • Was das NRW-Ergebnis für Berlin bedeutet erklärt Politikwissenschaftler Benjamin Höhne.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin bzw. des zu Wort kommenden Experten einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Mit großer Spannung hat das politische Berlin auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen geblickt. Als bevölkerungsreichstes Bundesland gilt die dortige Landtagswahl als bedeutender Stimmungstest für den Bund.

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Laut des vorläufigen Endergebnisses wird die CDU mit 35,7 Prozent stärkste Kraft, die SPD kommt auf ein historisch schlechtes Ergebnis von 26,7 Prozent. Die Grünen fahren 18,2 Prozent der Wählerstimmen ein – ein Plus von fast zwölf Prozentpunkten im Vergleich zu 2017. Die FDP verliert deutlich und landet bei 5,9 Prozent. Auch die AfD verschlechtert sich um knapp zwei Prozentpunkte auf 5,4 Prozent der Wählerstimmen.

Wahlbeteiligung in NRW stark gefallen

Was also bedeutet dieses Ergebnis für den Bund? "Das starke Abschneiden der CDU ist überraschend – das haben auch die Meinungsumfragen vorab nicht so kommen sehen", sagt Politikwissenschaftler Benjamin Höhne. Ein Grund sei die niedrige Wahlbeteiligung.

Mit 55,5 Prozent ist die noch niedrigerer Wert als beim bisherigen historischen Tiefstand von 56,7 Prozent bei der Landtagswahl im Jahr 2000. Vor fünf Jahren hatten noch 65,2 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. "Die CDU hat traditionell viele ältere Wählerinnen und Wähler, bei denen die Norm zum Wählen noch stark ausgeprägt ist. Sie brauchen in geringerem Maße Mobilisierungsimpulse", sagt Höhne.

Ist Modell Merz das Richtige?

Am vergangenen Sonntag hatte CDU-Kandidat Daniel Günther, der innerhalb der Partei zum liberalen Lager gehört, in Schleswig-Holstein mit 43.4 Prozent einen satten Sieg eingefahren. Politische Beobachter hatten das als Signal gedeutet, dass die CDU damit erfolgreicher sei als mit einem konservativen Kurs.

"Hendrik Wüst tendiert ebenfalls eher zum liberalen und weniger zum konservativen Lager innerhalb der Union", sagt Höhne. Die Bedeutung für die Rolle von Friedrich Merz und die Ausrichtung der Bundes-CDU ist aus seiner Sicht aber bisher nicht eindeutig. "Unter dem Vorsitz von Friedrich Merz gab es bereits ein gutes und ein schlechtes Landtagswahlergebnis für die CDU", erinnert er.

Klatsche für die SPD

Das gute Ergebnis in NRW habe auch damit zu tun, dass die CDU unter Friedrich Merz ihre Reihen geschlossen habe und es keinen Gegenwind aus Berlin gab. Anders bei der SPD: "Die Bundespolitik und die scheinbar schwache Führung von Scholz im Ukraine-Krieg haben eine Rolle gespielt", ist sich Höhne sicher.

"Programmatisch wurden wenig mobilisierende Themen angeboten und der Spitzenkandidat war kaum bekannt", analysiert der Experte. Auf die SPD kämen nun kritische Analysen zu.

Bitteres Ergebnis für FDP

"Für die FDP ist das Wahlergebnis besonders bitter", meint Höhne. FDP-Chef Lindner hatte am Wahlabend selbst bereits von einer "desaströsen Niederlage" gesprochen. "NRW ist Lindner-Land – der Wiederaufstieg der FDP nach ihrem Rausfall aus dem Bundestag im Jahr 2013 gelang wesentlich über NRW und das dortige Personal", erinnert Höhne.

Dass sich das Ergebnis der FDP nun fast halbierte, hat aus Sicht des Experten mehrere Gründe: "Teile des Personals aus NRW wurden in die erste Reihe nach Berlin verlegt", sagt Höhne. In die zweite Reihe in NRW sei dann die dritte Reihe nachgerückt. "Die Köpfe in der Kampagne waren weniger erfahren", so Höhne.

Wenig Rückenwind vom Bund

Gleichzeitig habe die FDP in NRW weniger Rückenwind aus dem Bund erhalten als es bei den Grünen der Fall war. "Die Bündnisgrünen waren mit Blick auf den Ukraine-Krieg mit Annalena Baerbock sehr sichtbar, Positionen der FDP wurden weniger deutlich wahrgenommen", analysiert der Experte.

Die FDP habe nun erneut ein deutliches Signal bekommen: Sicher ist ihre Position im Parteiensystem längst nicht. "Sie muss sich immer wieder neu um Zustimmung bemühen", sagt Höhne. Dass die AfD trotz eines fehlenden mobilisierenden Themas und ihrer inneren Zerstrittenheit bei der Positionierung gegenüber Russland die Fünf-Prozent-Hürde nehmen konnte, bedeutet aus Höhnes Sicht hingegen, dass sich die rechtspopulistische Partei im Parteiensystem verankert hat.

Comeback der Volksparteien?

"Die Grünen profitieren weiterhin vom grünen Zeitgeist", meint Höhne. Aus der NRW-Wahl könne man aber auch mitnehmen, dass noch ein deutlicher Abstand zu den Volksparteien SPD und CDU bestehen bleibe. Trotz der teilweise hohen zweistelligen Ergebnisse von SPD und CDU bei den letzten Landtagswahlen, sieht Höhne kein "Wiederauferstehen der Volksparteien".

"Die prädominante Stellung der Volksparteien ist brüchig", sagt er. Sie könnten zwar noch gute oder sogar sehr gute Ergebnisse erzielen, dies sei aber keine Selbstverständlichkeit mehr. " Für ihre elektorale Maximierungsstrategie müssen sie sich von Wahl zu Wahl immer wieder neu mit ihren Themen und ihrem Personal aufstellen", so der Experte.

Spannende Koalitionsverhandlungen

Ein wichtiges Signal an den Bund dürften aus seiner Sicht die Koalitionsverhandlungen in Düsseldorf senden. Eine Fortführung der schwarz-gelben Landesregierung ist nicht möglich, neben einer großen Koalition gäbe es Mehrheiten sowohl für eine Ampel- als auch eine Jamaika-Koalition. Auch ein schwarz-grünes Bündnis ist denkbar.

"Eine schwarz-grüne Zweierkoalition dürfte vor allem für die Bündnisgrünen einen Reiz ausüben", sagt Höhne. Denn die Partei würde sich dadurch weniger sklavisch an die SPD binden und einmal mehr ihre Koalitionsfähigkeit gegenüber dem Mitte-Rechts-Lager untermauern. "Die parteiinternen Aushandlungsprozesse zwischen der Bundes- und Landesebene könnten zwar komplizierter werden, aber es wäre insofern folgerichtig als die Grünen auch im sogenannten bürgerlichen Spektrum nach Stimmen streben", erinnert Höhne. Ein Zugehen auf die CDU würde verdeutlichen, dass die grüne Partei auch dort einen Politikgestaltungsanspruch vertritt.

Über den Experten: Dr. Benjamin Höhne ist aktuell DAAD Research Fellow am American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) der Johns-Hopkins-Universität in Washington DC. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Parteien.
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