- Die Arbeitsgruppen der Ampel-Parteien müssen am Abend Ergebnisse vorlegen. Dann übernehmen die Parteispitzen die weiteren Koalitionsverhandlungen.
- Die positive Aufbruchsstimmung ist inzwischen zum Teil verflogen. Beim Kampf um Details liegen SPD, Grüne und FDP bei vielen Fragen über Kreuz.
- Vor allem die Grünen sind unzufrieden und zweifeln am Zeitplan. Könnten die Koalitionsverhandlungen sogar noch scheitern?
- Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Stand der Ampel-Verhandlungen.
Die Vorgaben sind klar: höchstens fünf Seiten pro Gruppe, Schriftgröße 11, Schriftart Calibri, anderthalb Zeilen Abstand. So sollen mehreren Medienberichten zufolge die Berichte aussehen, die die gemeinsamen Arbeitsgruppen von SPD, Grünen und FDP bis 18 Uhr am Mittwoch abgeben müssen.
Damit geht die erste Phase der Koalitionsverhandlungen zu Ende. Die drei Parteien wollen noch in diesem Jahr das erste sogenannte Ampel-Bündnis auf Bundesebene auf den Weg bringen. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Wie wird verhandelt?
In den vergangenen zweieinhalb Wochen haben die Fachpolitikerinnen und -politiker der drei Parteien in Arbeitsgruppen zusammengesessen. Sie haben sich an unterschiedlichen Orten in Berlin – zum Beispiel in den Parteizentralen und Ministerien – getroffen und hinter verschlossenen Türen getagt. 22 Arbeitsgruppen gab es, insgesamt waren rund 300 Politikerinnen und Politiker an den Verhandlungen beteiligt.
Mit den strittigen Punkten, bei denen sich die Arbeitsgruppen nicht einig wurden, müssen sich in den nächsten Tagen nun die Generalsekretäre befassen und Kompromisse finden.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Die SPD wiederholt immer wieder: In der Nikolaus-Woche – also zwischen dem 6. und 10. Dezember – soll
Bevor der Bundestag Olaf Scholz zum Kanzler wählt, müssen die Parteien auch die Zustimmung ihrer Basis eingeholt haben. Bei SPD und FDP soll das auf Sonderparteitagen geschehen. Die Grünen dagegen lassen die komplette Basis bei einem Mitgliederentscheid abstimmen.
Der Zeitplan klingt recht ambitioniert. Die Grünen bezweifeln inzwischen, dass er sich einhalten lässt. Parteichefin
Was dringt aus den Verhandlungen nach außen?
Über den Inhalt der Gespräche lässt sich wenig erfahren. Vor allem während der Sondierungen und in den ersten Tagen der Koalitionsverhandlungen ist es den Ampel-Partnern gelungen, kaum etwas nach außen durchzustechen. Politikerinnen und Politiker wollten zum Teil auch nicht auf Fragen antworten, die nur entfernt etwas mit den Verhandlungen zu tun haben.
Die Heimlichtuerei soll Vertrauen schaffen – und den Verhandelnden erlauben, über neue Wege und Kompromisse nachzudenken, ohne dass sie gleich in der Öffentlichkeit zerredet werden. In den vergangenen Tagen sind allerdings immer mehr Inhalte nach außen getröpfelt. Meist ging es um Streitpunkte.
Wie ist die Stimmung in den Gesprächen?
Offenbar deutlich schlechter als am Anfang. Vor allem bei den Grünen scheinen die Nerven blank zu liegen. Sie mussten viel Kritik einstecken, nachdem die Ampel-Partner im Oktober ihr Sondierungspapier mit den ersten vagen Absprachen vorgelegt haben.
Die Öko-Partei konnte darin einen "wahrscheinlichen" Kohleausstieg 2030 und das Ziel einer Kindergrundsicherung durchsetzen. Doch viele Versprechen aus dem Wahlkampf wird sie wohl nicht erfüllen. Steuererhöhungen für massive Investitionen wird es genauso wenig geben wie ein Tempolimit. "Überall haben sich die Liberalen erkennbar durchgesetzt – während die Erfolge der Grünen bislang eher unter Vorbehalt zu genießen sind", schreibt die "Zeit".
Im Sondierungspaper sind Ziele festgelegt. Sich auf die nötigen Maßnahmen zu einigen, war aber die schwierige Aufgabe der Arbeitsgruppen. Wo soll zum Beispiel das Geld für den klimagerechten Umbau des Landes herkommen? Wie kann eine Kindergrundsicherung aussehen, die für arme Kinder wirklich einen Mehrwert bringt? Diese Fragen zu klären, ist deutlich schwieriger.
Wo hakt es?
Offenbar sind sich viele Arbeitsgruppen nicht einig. Ein zentraler Streitpunkt ist der Klimaschutz: Die Ampel bekennt sich zum Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Über die Maßnahmen ist man sich aber uneins.
Beim Thema Finanzen stehen die Partner vor einem kniffligen Problem. SPD und Grüne haben der FDP im Sondierungspapier zugestanden, dass es kein Rütteln an der Schuldenbremse und keine Steuererhöhungen geben wird. Alle drei Partner haben aber gleichzeitig massive Investitionen in Digitalisierung, Klimaschutz, Bildung, Infrastruktur versprochen.
Hier müssen sie ganz einfach Geld auftreiben – oder erklären, wie sie am Bundeshaushalt vorbei mit Investitionsgesellschaften agieren wollen.
Es gibt aber auch Themen, bei denen die Konfliktlinien anders verlaufen: Grüne und FDP können sich zum Beispiel vorstellen, Schienennetz und Infrastruktur der Deutschen Bahn vom Unternehmen abzuspalten und somit mehr Wettbewerb zu ermöglichen. Die SPD und die ihr nahestehende Gewerkschaft EVG seien da skeptisch, berichtet der "Tagesspiegel".
In der Außenpolitik steht die SPD ebenfalls für einen etwas anderen Kurs als Grüne und FDP, die gegenüber China und Russland stärker auf Abgrenzung setzen. In der Frage, ob die Bundeswehr bewaffnete Drohnen anschaffen soll, besteht sowohl in der SPD als auch bei den Grünen sogar innerhalb der Parteien keine Einigkeit.
Der "Spiegel" berichtet, dass auch die Atmosphäre stellenweise gestört sei: "Gerade die Grünen reagieren empfindlich auf alles, was sie als Arroganz des sozialdemokratischen Wahlsiegers wahrnehmen." Vor allem Olaf Scholz schlage von grüner Seite ein gewisses Misstrauen entgegen.
Mitten in die Koalitionsverhandlungen platzten zudem zwei Krisen, die jetzt schnelles Handeln und Einigkeit der ungleichen Partner erfordern: die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze und die massive vierte Coronawelle.
Ganz zu schweigen von den Personalfragen, die traditionell erst am Ende der Verhandlungen besprochen werden, aber schon jetzt Gesprächsthema sein dürften: Wer wird zum Beispiel Finanzminister? Christian Lindner oder Robert Habeck?
Kann die Ampel noch scheitern?
Theoretisch ja. Wenn man beim Klimaschutz nicht zusammenkomme, drohen Neuwahlen, hat Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann gesagt. Damit ist er zwar eher eine Einzelstimme bei den Grünen. Die Drohung dürfte auch taktischer Natur gewesen sein, um SPD und FDP unter Druck zu setzen. Allerdings wird, wie erwähnt, die grüne Basis über den Koalitionsvertrag abstimmen – und vor allem bei der Parteijugend gibt es diesbezüglich hohe Erwartungen.
Doch auch die SPD wird ihren Mitgliedern den Vertrag verkaufen müssen. In den Jahren der Großen Koalition hat sie es häufig auf die Union geschoben, wenn sich sozialdemokratische Herzensprojekte nicht durchsetzen ließen. Nun muss sie zeigen, dass die Ampel mehr Spielraum bietet als die GroKo – das ist mit der FDP als Partnerin keine Selbstverständlichkeit.
Trotzdem wäre ein Scheitern der Ampel eine Überraschung. Vor allem bei den Grünen ist die Lust aufs Regieren riesengroß. Annalena Baerbock hat zudem immer wieder erklärt, dass die nächste Bundesregierung die letzte sei, die noch Einfluss auf die Erderwärmung nehmen kann. Wenn sie jetzt davonlaufen (wie Christian Lindner mit der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen 2017), hätten die Grünen wohl Mühe, das zu erklären.
Zudem sind die Alternativen für die Parteien wenig attraktiv. Eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen? CDU und CSU gelten wegen ihrer internen Führungssuche und Querelen derzeit bei Liberalen und Grünen nicht als regierungsfähig. Und Neuwahlen? Die würden den dann gescheiterten Ampel-Parteien wohl kaum nützen – sondern nur das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Politik erschüttern.
Quellen:
- Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
- Spiegel.de: Nato, China, Nord Stream 2 - der große Ampel-Streit
- Süddeutsche.de: Interview mit Winfried Hermann: "Wenn wir beim Klimaschutz nicht zusammenkommen, drohen Neuwahlen"
- Tagesspiegel 6. November 2021: Weichenstellung
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