"Magic Town" in Mainz: Am Staatstheater Mainz führt "Magic Town" humorvoll in die Abgründe der Durchschnittlichkeit.

Mehr News aus Hessen finden Sie hier

Fast dreißig Jahre lang sind die Einwohner des pfälzischen Städtchens Haßloch als Versuchskaninchen für die gesamte Bundesrepublik benutzt worden. Dort wurden neue Produkte beworben und verkauft, ehe sie der Verwendung für den Rest des Marktes für wert befunden oder verworfen wurden. Haßloch war für die Gesellschaft für Konsumforschung ein Deutschland im Kleinformat, ein Ort, in dem sich der Durchschnitt manifestierte. Was aber bedeutet es, wenn alles so ganz normal und durchschnittlich ist, und will man überhaupt so leben?

Hannah Frauenrath hat aus der Frage zusammen mit vier Schauspielern des Ensembles am Staatstheater Mainz eine etwas mehr als eine Stunde lange Mini-Revue gemacht, ein unterhaltsames Bühnenfeature, in dem Haßloch als Chiffre für das steht, was die meisten von uns sind: durchschnittlich und normal. Wie banal und vorhersehbar das Leben unter solchen Umständen wird, zeigen die vier Akteure (Carl Grübel, Lennart Klappstein, Johannes Schmidt, Katharina Uhland) im Theaterkeller U17 gleich zu Beginn des Abends mit einem kleinen Quiz. Aus Einkaufszetteln schließen sie messerscharf auf die Identität des Käufers oder der Käuferin, erkennen, ob einer Single ist oder Kinder hat, hetero oder homo ist, alt oder jung. Sage mir, was du kaufst, und ich sage dir, wer du bist.

Die einzelnen Szenen werden etwas mühsam durch die Fiktion zusammengehalten, dass ein junges Paar von Berlin nach Haßloch zieht, weil es sich nach der vollkommenen Normalität sehnt und aufgehen will in der gelebten Durchschnittlichkeit. Dass das ganz Normale aber auch voller Abgründe ist, zeigt etwa das durchgespielte Leben eines Paares, in dem im schönsten Konjunktiv ein Leben nach der Norm am Zuschauer vorüberzieht: "Und wenn wir dreißig wären, würden wir in ein Reihenhaus am Stadtrand ziehen, wir würden unser erstes Kind erwarten, das würde Lia, Hannah, Emma oder Emilia heißen." Und mit circa achtzig Jahren ist so ein Leben dann vorbei, in dem alles fast genau so war wie bei allen anderen Menschen.

Im Mainstream schwimmt es sich gut

Neben solchen durchaus nachdenkenswerten Passagen gibt es immer wieder köstlich absurde Werbeblöcke, in denen für fragwürdige Köstlichkeiten wie "Beef-Beer" oder "Apfelstrudel aus der Tube" geworben wird. Das Programmheft, das ansonsten interessante Hintergründe über die in Haßloch getesteten Produkte von Ferrero oder Bahlsen liefert, klärt leider nicht darüber auf, ob das schlichtweg gut erfunden ist. Aber die fetzigen Werbejingles (Musik Carl Grübel) orientieren sich sehr an der Wirklichkeit der Fernseh-Clips und zeigen, wie herrlich leicht wir Durchschnittsmenschen uns manipulieren lassen, wie lustvoll wir im warmen Mainstream schwimmen.

Interessieren Sie die Artikel der F.A.Z.?
Uneingeschränkter Zugriff auf diesen und alle weiteren zahlungspflichtigen F+ Inhalte auf FAZ.NET. Jetzt Abo abschließen.

Seit 2021 haben die Haßlocher ihren Status verloren, seitdem wird mittels Künstlicher Intelligenz getestet. Der Durchschnittsmensch hat ausgedient. Am Schluss trauern die vier Musterdeutschen aus der Pfalz in einem melancholischen Abgesang der wunderbaren Epoche nach, in der sie etwas Besonderes waren, nur weil sie so waren wie alle.

Magic Town Nächste Aufführung am 1. Dezember von 20 Uhr an im U17, Staatstheater Mainz  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.