Wandel der Innenstadt: Lange lockte der Einzelhandel die Menschen in Scharen in die Innenstädte. Das funktioniert nicht mehr. Nicht nur die Frankfurter City steht vor einem tiefgreifenden Wandel.
Auf den ersten Blick sehen die Zahlen nicht schlecht aus: Mehr als zwei Millionen Passanten hat das auf automatisierte Zählungen spezialisierte Unternehmen Hystreet im Oktober auf der Frankfurter Zeil erfasst. Damit wurde der Durchschnitt der vergangenen Jahre um rund 18 Prozent übertroffen – obwohl große Häuser wie Karstadt, Esprit und Zara geschlossen sind und der Leerstand in den Ladenflächen an Frankfurts wichtigster Einkaufsmeile unübersehbar ist.
Kevin Meyer sieht diese Zahlen mit Skepsis. Der Geschäftsführer des Unternehmens Midstad, das die von dem Modehändler Peek & Cloppenburg genutzten Immobilien verwaltet, zeigt lieber eine andere Statistik, die auf der Auswertung von Handydaten beruht. Daraus lässt sich ermitteln, woher die Besucher der Zeil kommen und wie das Einkommensniveau am Wohnort ist. Es zeigt sich, dass dort überwiegend Menschen unterwegs sind, die in Quartieren mit einem geringeren Durchschnittseinkommen wohnen.
Vor allem junge, gut ausgebildete Singles würden die Innenstädte heute weniger häufig besuchen als noch vor einigen Jahren, so Meyer. Laut einer Befragung des Kölner Instituts IFH waren die Passanten in der Frankfurter Innenstadt 2023 im Schnitt 44 Jahre alt, 2018 lag dieser Wert noch bei 40 Jahren.
Jahrzehntelang war der Einzelhandel in den Zentren der großen Städte ein Selbstläufer. Große Ketten rissen sich um Ladenlokale, zahlten Mieten, bei denen kleinere Händler nicht mehr mithalten können. Immer noch werden je Quadratmeter bis zu 270 Euro erzielt. In der Folge ist auch nach Einschätzung der städtischen Wirtschaftsförderung eine gewisse "Eintönigkeit" entstanden.
Zu dieser fehlenden Abwechslung kommt zunehmend Leerstand. Künftig werde in der Innenstadt weniger Verkaufsfläche benötigt, sagt Joachim Stoll, Vizepräsident des Handelsverbands Hessen-Süd und Sprecher der neu gegründeten Interessengemeinschaft Cityhandel. "Standard-Artikel werden im Internet gekauft." Zahlen von IFH und des Beratungsunternehmens BBE bestätigen Stolls Erfahrung: Während bei innenstadtrelevanten Sortimenten wie Mode, Wohnaccessoires oder Schmuck das Internetgeschäft zwischen 2019 und 2023 um rund neun Prozent gewachsen ist, sind die Umsätze des stationären Handels um zwei Prozent gesunken.
Das hat Auswirkungen auf die angemietete Fläche. Allein um Personal zu sparen, würden viele Händler die oberen Geschosse meiden, sagt Stoll. Das bedeutet, dass die Eigentümer sich neue Nutzungen überlegen müssen, um Leerstände zu vermeiden. Studenten verschiedener Studiengänge der Frankfurt University of Applied Sciences haben sich im vergangenen Sommersemester Gedanken gemacht, wie das gehen könnte.
Platz für Kinder und Grün
Eine Idee lautet, leer stehende Räume oder Freiflächen in Zusammenarbeit mit Museen und Hochschulen für kulturelle Angebote zu nutzen. Auch ein "Lern-Café", Angebote für Kinder, Foodtrucks und zusätzliche Grünflächen stehen auf den Vorschlagslisten. "Vintage Stores" sollen auf den Trend zum nachhaltigen Einkaufen reagieren. Die Studenten sprechen von einer "Erlebnisstadt" oder von "Retailtainment", der Verknüpfung von Einkaufen und Unterhaltung.
Betreut haben die Studentenarbeiten Ralf Jasny und Alfred Hoffmann, die Marketing lehren. Nach ihrer Einschätzung führen die Vorschläge nur unter einer Voraussetzung zum Erfolg: "Die Menschen müssen sich wohlfühlen", sagt Jasny. Sicherheit, Sauberkeit und Aufenthaltsqualität spielten eine entscheidende Rolle. Von der Stadt komme da zu wenig, es gebe keinen einheitlichen Ansprechpartner, die Kompetenzen seien zersplittert, die Stadt habe kein Zukunftskonzept und wenig Kontakt zu Hauseigentümern. Hoffmann ist aber zuversichtlich, dass sich etwas ändert. Auch durch die studentischen Projekte sei bei der Stadt das Bewusstsein entstanden, dass sie an ihrer Positionierung arbeiten müsse.
Bei der Stadtverwaltung kümmern sich verschiedene Stellen um die Innenstadt: das Stadtmarketing im Wirtschaftsdezernat, das Projekt Post-Corona-Innenstadt im Stadtplanungsamt, die Wirtschaftsförderung mit einem neuen Leerstandsmanagement. An Geld fehlt es nicht. 30 Millionen Euro für Investitionen wurden aus dem städtischen Haushalt bereitgestellt, hinzu kommen Fördermittel des Bundes. "Die Mittel fließen zu langsam ab", sagte die Stadtplanerin Carola Scholz, Mitglied des Städtebaubeirats, bei einer Diskussion über die "Renaissance der City".
Zumindest die zur Terrorabwehr aufgestellten Betonsperren könnten durch schönere Lösungen ersetzt werden, findet sie. Und an der Hauptwache, dem zentralen Platz am Eingang zur Zeil, müsse man "einfach mal aufräumen". Aber Planungsdezernent Marcus Gwechenberger (SPD) warnt vor überzogenen Erwartungen. Die Hauptwache werde immer ein "rauer Ort" bleiben, sagt er. Zehn bis 15 Jahre werde an der Sanierung der unterirdischen B-Ebene gearbeitet, so lange werde sich an der Hauptwache nichts ändern.
"Wir haben in Deutschland Angst vor dem Scheitern"
So sind es in erster Linie private Unternehmen, die an der Innenstadt der Zukunft arbeiten. "Wir dürfen heute keine Immobilien bauen, die in zehn Jahren nicht mehr funktionieren", sagt Midstad-Geschäftsführer Meyer. In Gebäuden, die ausschließlich auf den Einzelhandel ausgerichtet sind, sieht er keine Zukunft.
Im Peek-&-Cloppenburg-Haus wird es deshalb eine Mischnutzung aus Sport, Bildung, Kultur, und Gastronomie geben. Der Einzelhandel beschränkt sich künftig auf die unteren Geschosse. Midstad investiert einen dreistelligen Millionenbetrag in das Gebäude. Diese Investition muss sich am Ende rechnen. Aber Meyer ist überzeugt: "Man kann den wertvollen Innenstadtraum wirtschaftlich und gleichzeitig auch sozial nutzen." Seine These lautet: Eine gemischt genutzte Immobilie ist auf lange Sicht werthaltiger.
Nach Ansicht von Daniel Reichwein zählt zu einem solchen Mix auch Wohnen. "Wir müssen die Innenstadt 24 Stunden an sieben Tagen bespielen", sagt der ehemalige Geschäftsführer des Immobilienentwicklers Hines, der das frühere Esprit-Haus an der Zeil umbaut. Das könne trotz hoher Grundstückspreise und Mieten funktionieren. Der entscheidende Hebel sei das Baurecht: Wenn man einem Eigentümer erlaube, ein Gebäude aufzustocken, könne dieser Flächen für eine kulturelle Nutzung bereitstellen.
Ob die neuen Konzepte funktionieren, kann heute noch niemand sagen. Man müsse sie aber ausprobieren, meint Stefan Müller-Schleipen, Geschäftsführer des in Hanau ansässigen Städtenetzwerkes "Die Stadtretter". Oft fehle dazu aber der Mut. "Wir haben in Deutschland Angst vor dem Scheitern." © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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