"Butchposition": Weil Leslie Feinbergs Roman "Stone Butch Blues" nicht dramatisiert werden darf, umkreist das Staatstheater Darmstadt ihn mit einer installativen Performance.

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Der 1993 erschienene Roman "Stone Butch Blues" der amerikanischen LGBT-Aktivistin Leslie Feinberg darf weder digitalisiert noch dramatisiert und verfilmt werden. Das hat die 1949 geborene und 2014 gestorbene Autorin verfügt, um zu verhindern, dass das Werk verändert, erweitert, vor allem aber verfälscht oder kapitalisiert werden kann. Wenn nun ein Theater einen ganzen Abend aus diesem Roman machen will, steht es vor einigen Schwierigkeiten.

Die Regisseurin Sascha Malina Hoffmann hat zusammen mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Yue Ying und der Videokünstlerin Seongji Jang am Staatstheater Darmstadt aus der Not eine Tugend gemacht und den Roman unter dem Titel "Butchposition" in den Mittelpunkt einer "installativen Performance" gestellt, ohne ihn in irgendeiner Form theatralisch umzusetzen.

Passagen aus dem Text, der im New York der Siebzigerjahre in der lesbischen Community spielt, werden vorgelesen und an die Wand projiziert. Zum besseren Verständnis erhält man zahlreiche Erläuterungen, vor allem, was es mit der Formulierung "butch" auf sich hat: "Sie beschreibt einen (betont) maskulinen Geschlechtsausdruck und/oder Geschlechtsidentitäten." Sowohl im Programmfolder als auch in der Performance wird überdies erklärt, was der Unterschied zwischen "trans" und "queer" ist und weshalb es so wichtig ist, das Leben von Menschen, die sich nicht klar einem Geschlecht zuordnen lassen wollen, sichtbar zu machen.

Es kommt keine Langeweile auf

Um die Lebensgeschichte nichtbinärer Menschen und ihre Suche nach einer eigenen Identität jenseits des biologischen Geschlechts geht es in einigen Selbstaussagen, die dem Publikum über Kopfhörer eingespielt werden. Auch die Texte, die von den Schauspielern Mona Kloos, Stefan Schuster und Jasha Eliah Deppe gesprochen werden, hört man über Kopfhörer, immer wieder untermalt von Musik. Da man zwischen drei verschiedenen Kanälen wechseln kann, wird der Abend für jeden Zuschauer zu einer individuellen Performance. Jederzeit kann und soll die Sitzposition im Bühnen- und Zuschauerraum der Kammerspiele gewechselt werden. Ganz individuell sind auch die Archivgegenstände, die man neben einem alkoholfreien Drink gegen eine beim Eintritt erhaltene Wertmarke von den Akteuren erhält: Walkmans mit für die LGBT-Bewegung bedeutsamen Songs, die lesbische Zeitschrift "Die Freundin", die von 1924 bis 1933 in Berlin erschien, zahlreiche Privatfotos und sogar Hormonsalben. Im Programmheft wird erläutert, weshalb "queere Archive" zur Konstruktion einer eigenen Identität benötigt werden, und die Performance selbst versteht sich als Teil eines solchen Archivs.

Man langweilt sich keineswegs in diesem aufklärerischen Theaterabend, der sich mit allerlei Tanz, direkter Publikumsansprache und medialer Unterstützung redlich bemüht, das allzu Volkshochschulhafte des Unternehmens zu kaschieren. Um das in hohen Dosen verabreichte Wissen über die Entstehung des "Christopher Street Day" oder über Klassismus, Sexismus und Rassismus leichter konsumierbar zu machen, unterbrechen sich die drei Akteure ab und zu, fügen schnaufend "Puuh, ich bin ein bisschen aufgeregt" ein oder tragen die Lerneinheiten im Ton ungläubigen Staunens vor. Das lockert einerseits auf, kann aber kaum darüber hinwegtäuschen, dass man es an diesem Abend mit Belehrungstheater zu tun hat, das sich aktionistisch ganz in den Dienst der queeren Sache stellt.

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Dagegen ist wenig einzuwenden, denn Hoffmann und ihr Team geben nicht vor, verschiedene Seiten der Medaille vorzustellen. Zudem darf man auf den verschiedenen Podesten und Sitzbänken in den Kammerspielen bequem herumlümmeln, bei Bedarf sogar liegen oder, wie am Anfang von den Schauspielern empfohlen, auch "jederzeit einen Ruheraum aufsuchen".

Butchposition: Nächste Aufführung 22. September, 18 Uhr, Kammerspiele, Staatstheater Darmstadt  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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